Kardinal im Weihnachtsinterview: "Es muss eine internationale Lösung gefunden werden. Das geht nur, wenn die Beteiligten ihre Partikularinteressen um eines Größeren willen zurückzustellen".
Im Nahostkonflikt kann es nur dann eine Lösung geben, wenn sich die gesamte Staatengemeinschaft engagiert. Davon hat sich Kardinal Christoph Schönborn im Weihnachtsinterview mit Kathpress und den Wiener diözesanen Medien "Der Sonntag" und "Radio Klassik Stephansdom" überzeugt gezeigt. "Der Terrorüberfall der Hamas mit den grausamsten Menschenrechtsverletzungen muss benannt werden. Die Lösung dieses Konflikts, der schon viele Opfer gekostet hat, ist eindeutig eine dringende Aufgabe der Staatengemeinschaft", so der Kardinal.
"Dieser Konflikt kann nicht alleine zwischen den beiden Konfliktpartnern gelöst werden. Und es ist die Weltpolitik in einem hohen Maße involviert", sagte der Wiener Erzbischof wörtlich. Diese Situation beobachte er auch beim Überfallskrieg von Russland auf die Ukraine: "Das kann nicht bilateral gelöst werden."
Beim aktuelle Nahostkonflikt fühle sich Schönborn an den Dreißigjähriger Krieg erinnert: "Es muss ein Frieden passieren nach einer Friedensordnung, so wie es nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist, und wie es nach dem Ersten Weltkrieg leider nicht geschehen ist." Dazu gehöre eine internationale Lösung. Jedoch brauche es dazu den Willen aller Konfliktparteien: "Das geht nur, wenn die Beteiligten ihre Partikularinteressen um eines Größeren willen zurückzustellen".
Der Wiener Erzbischof sah im Nahostkonflikt auch die drei abrahamitischen Religionen - Christentum, Islam, Judentum - gleichermaßen gefordert: "Die abrahamitischen Religionen zusammen sind die Hälfte der Weltbevölkerung. Sie bestimmen doch sehr die Geschichte und die gegenwärtige Situation." Darum seien alle Schritte, die in Richtung der gemeinsamen Verantwortung geschehen, unbedingt zu begrüßen.
Eine Dimension, die allen drei Religionen gemein sei, betreffe "die Verantwortung vor dem Ewigen". Das sei der Glaube daran, "dass es so etwas wie das universale Gericht gibt, in dem wir Rechenschaft geben müssen, nicht nur über uns eigenes Leben, sondern über das Leben unserer Gemeinschaften." Und im Blick auf die Letztverantwortung vor dem Ewigen sei die oberste Frage: "Was hast du getan, um mehr Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen?", so der Wiener Erzbischof: "Und diese gemeinsame Frage, die kann sozusagen einen Kern bilden für strategische Überlegungen, wie wir als abrahamitische Religionen dieser Glaubensanforderung gerecht werden."
Für 2024 erhoffe er sich an erster Stelle Frieden, "denn ohne Frieden können die Menschen nicht leben". Der Friede sei freilich "Frucht der Gerechtigkeit". Er erbitte deshalb auch soziale Gerechtigkeit.
Der Kardinal kam auch auf die rund 90.000 aus der Ukraine nach Österreich Geflüchteten zu sprechen und verknüpfte dies mit seiner eigenen Biografie. Seine Mutter musste 1945 - Schönborn war damals noch kein Jahr alt, mit den Kindern aus Böhmen nach Österreich fliehen. Seine Mutter habe immer wieder gesagt: "Kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat." Die Menschen aus der Ukraine, die nun in Österreich leben, zum großen Teil Frauen und Kinder, "haben sicher nicht freiwillig ihre Heimat verlassen".
Schönborn: "Wie es in meiner Familie war, ist sicher auch hier die Hoffnung: Es wird Frieden sein und wir können zurückkehren. Es sieht in vieler Hinsicht aber so aus, dass ein Teil nicht zurückkehren wird können. Nicht weil die Menschen nicht wollen, sondern weil die Unsicherheit eine Zukunft schwer vorstellbar macht." Die Rückkehr in das eigene Land sei aber natürlich das anzustrebende Ziel. Nachsatz: "Nach einem hoffentlich gerechten Frieden."
Auf das 75-Jahr-Jubiläum der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte angesprochen, meinte Schönborn, dass die Erklärung sicher eine "Gnadenstunde in der Weltgeschichte" gewesen sei; nach dem Horror des Nazi-Regimes, des Zweiten Weltkriegs, der mit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki endete. Schönborn: "Den Menschen ist der Schock tief in den Knochen gesessen. In dieser Stunde war ein seltener Konsens da: Das darf nicht mehr passieren."
Die Menschenrechtserklärung sei stark vom christlichen Menschenbild geprägt, betonte der Kardinal: "Wer sich an der Bibel und dem Evangelium orientiert und an der Gestalt Jesu, kommt unweigerlich zu den Menschenrechten. Inwieweit es gelingt, sich an ihnen zu orientieren, ist eine Frage, die sich an jeden von uns persönlich richtet."
Es sei zudem eine große Frage, ob und wie sich Staaten und UNO an diesem Maßstab orientieren. "Das verschärft sich noch, da nicht alle Religionen darin übereinstimmen und auch säkulare Menschenbilder diesen Maßstab nicht unbedingt übernehmen", fügte Schönborn hinzu.
Zum derzeit laufenden Synodalen Prozess in der Katholischen Kirche sagte der Kardinal: "Von der Taufe her sind alle in vollem Maß Träger der Kirche. Das kann nicht beschränkt sein auf einen kleinen Kreis von 5 Prozent, die Hierarchie. Eine Kirche, die hinausgeht, wie Papst Franziskus es sagt, das sind wir alle. Das wird in der säkularen Gesellschaft viel deutlicher." Als zentrale Themen, die ihm sehr wichtig seien, nannte der Kardinal u.a. die Armen und die Frauen.
Schönborn äußerte sich auch zum finanziellen Sparkurs der Erzdiözese Wien: Die Erzdiözese stehe nicht vor dem Bankrott, "aber wir müssen mit den Ressourcen sorgsam umgehen, so wie es die meisten tun müssen". Es gebe aber auch Teilbereiche, die wachsen würden, etwa die Bereiche Bildung und Soziales.
Er wünsche sich für die Kirche und Gesellschaft als Ganze, "dass wir die Zuversicht nicht verlieren, dass wir uns nicht in einer Schockstarre verlieren". Die gegenwärtigen Zeiten seien schwierige Zeiten, "es geht uns in Österreich aber noch immer unvergleichlich besser. Wir haben ein Sozialnetz, das zu den besten der Welt gehört. Wir haben ein Gesellschaftskonzept, in der die Sozialpartnerschaft wesentlich ist. Das heißt, wir tragen Konflikte nicht auf der Straße aus, sondern am grünen Tisch. Und es gibt einen Rechtsstaat mit einer hohen Rechtssicherheit." Ein Thema, dem man nicht entkommen könne, sei die Migration.
Schönborn abschließend: "Mein Herzensanliegen ist, dass wir ein tiefes Gottvertrauen haben. Wir sind nicht am Ende. Jesus sagt: 'Fürchtet euch nicht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.' Also auch 2024."