"Religionen sind bei erfolgreicher Integration Teil der Lösung."
"Religionen sind bei erfolgreicher Integration Teil der Lösung."
Außenminister Sebastian Kurz fordert, dass wir Christen selbstbewusst zu unserer langen christlichen Tradition stehen. Wie bringt er seine Politik und christliche Werte wie Nächstenliebe und Gastfreundschaft in Einklang? Und welchen persönlichen Zugang hat er zum Glauben?
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat mit seinen 30 Jahren schon so manchem Politiker die Show gestohlen. International – aber auch bei uns in Österreich. In Bezug auf Sympathie und Glaubwürdigkeit erzielt er bei Umfragen hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung.
Deshalb pfeifen es die Spatzen vom Dach: Jung-Spund Kurz strebt nach Höherem. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis er den Chefsessel der ÖVP besteigen könnte. Es wird erwartet, dass Kurz bei der kommenden Nationalratswahl (spätestens Herbst 2018) als Spitzenkandidat der ÖVP ins Rennen geht.
Ist das sein erklärtes Ziel?
„Nein. Ich bin mit meiner aktuellen Aufgabe mehr als ausgelastet. Sie macht mir Freude und es gibt mehr als genug zu tun in meinen Bereichen,“ gibt sich Kurz im Interview mit dem SONNTAG diplomatisch.
Seit dem 16. Dezember 2013 ist er der jüngste Außenminister in der österreichischen Geschichte. Aufgrund seines jungen Alters stand der damals 27-Jährige im Fokus der gesamten Weltpresse, deren Aufmerksamkeit er sich schnell sicherte. Selbstbewusst bewegt er sich über das politische Parkett im In- und Ausland, meldet sich immer wieder entschlossen zu Wort.
Auch schwierige und umstrittene Themen greift er in seiner politischen Tätigkeit auf. Aktuell zum Beispiel die Verabschiedung eines Vollverschleierungsverbotes im öffentlichen Raum im Rahmen des Integrationsgesetzes: „Wir haben festgehalten, dass der Staat verpflichtet ist, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. In den jeweiligen Ressorts wird bei uniformierten Exekutivbeamten sowie Richterinnen und Staatsanwälten darauf geachtet, dass bei Ausübung des Dienstes dieses Neutralitätsgebot gewahrt wird“, sagt Kurz im Interview mit dem SONNTAG.
Im Christentum spielen Nächstenliebe und Barmherzigkeit eine große Rolle. Sie werden oft kritisiert, dass Ihre Haltung diesen Werten nicht entspricht. Was entgegnen Sie?
Keine Frage, die genannten Grundprinzipien sind ausgesprochen wichtig und ich versuche auch mein Handeln danach auszurichten. Menschen in Not bedürfen Schutz. Menschen auf der Flucht benötigen eine echte Perspektive. Und dabei leisten wir auch einen wesentlichen Beitrag. Österreich hat die Mittel für humanitäre Hilfe vervierfacht und wir setzen uns dafür ein, dass auch die EU mit ihren deutlich größeren Möglichkeiten viel stärker hilft.
Gleichzeitig nimmt Österreich über Resettlement-Programme aus den Krisenregionen eine Anzahl an Menschen auf, die wir bei uns auch integrieren können (Anm. der Red.: Resettlement bezeichnet die dauerhafte Neuansiedelung verletzlicher Flüchtlinge). Wir können nur nicht alle flüchtenden Menschen bei uns in Österreich aufnehmen und integrieren. Schweden, Deutschland und Österreich können nicht alleine die Herausforderungen der Flüchtlingskrise meistern.
Deshalb trete ich für den Ausbau der humanitären Hilfe vor Ort ein, um den Menschen in der Region zu helfen und sie nicht den Gefahren einer Flucht übers Meer aussetzen zu müssen.
Der Islam in Österreich wächst. Was können sich Christen von Muslimen abschauen?
Der Islam wächst in Österreich vor allem durch die Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern. Christen sollten selbstbewusst auftreten. Unser Land ist religionsfreundlich, aber gleichzeitig hat es eine lange christliche Tradition und zu der sollten wir auch stehen. Und wir müssen von jenen, die gerade in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge zugewandert sind, einfordern, dass sie jene Werte, die daraus gewachsen sind, uneingeschränkt respektieren.
Die jüngsten Ereignisse in Wien zeigen, dass die Radikalisierung Jugendlicher auch hierzulande ein ernstzunehmendes Problem ist. Was kann Ihrer Meinung nach helfen?
Zum einen müssen wir in unserer eigenen Wertehaltung klar und selbstbewusst auftreten. Gerade Jugendlichen müssen wir unmissverständlich vermitteln, dass Jihadismus kein Spiel, sondern eine todernste Angelegenheit ist.
Und es muss darüber aufgeklärt werden, dass die Hauptopfer der IS-Terroristen im Irak und in Syrien Muslime sind. Hier spielen die islamischen Religionslehrer eine wichtige Rolle. Sie müssen erklären, dass gläubige Muslime niemals solche Verbrechen begehen dürfen. Andererseits sollen die Religionslehrer Fehlentwicklungen auch melden und zur Anzeige bringen.
Ergänzend ist es mir auch ein Anliegen, dass die sozialen Medien Verantwortung übernehmen: Es gilt, die Internetplattformen wie Facebook und Youtube für das Thema Radikalisierung zu sensibilisieren. Es ist eine Aufgabe für die internationale Staatengemeinschaft eine Allianz zu bilden, damit Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen und gegen die Verbreitung von Hass im Internet vorgehen.
Zur Prävention haben wir eine Ombudsstelle gegen Extremismus im Familien- und Jugendministerium mit Dezember 2014 eingerichtet – damit ist auch ein regelmäßiger Austausch zwischen den Ministerien zu Präventionsmaßnahmen gewährleistet – parallel dazu wurde in meinem Ressort eine Hotline gegen Diskriminierung und Intoleranz Anfang 2015 eingerichtet.
Das Thema Radikalisierung haben Sie sich auf Ihre Agenda als OSZE-Vorsitzender geschrieben. Was genau wollen Sie in der Zeit, während der Sie den Vorsitz haben, erreichen?
Und welche anderen Themen verfolgen Sie?
Wir haben die Bekämpfung von Radikalisierung und Extremismus zu einer Priorität unseres OSZE-Vorsitzes gemacht. Diese Gefährdung der inneren Sicherheit durch externe Faktoren bereitet vielen Menschen in unseren Ländern zu Recht Sorge. Wir fördern Projekte, wir haben mit Prof. Neumann einen Top-Experten als eigenen Sonderbeauftragten gewinnen können. Ich spreche es auf jeder meiner Reisen an. Alle erkennen das Problem und sind umso dankbarer, dass wir es zum Thema machen. Die intensivierte Kooperation innerhalb der OSZE kommt in Gang und das ist gut so.
Nicht nur Radikalismus stellt eine Bedrohung für unsere Staaten dar. Bewaffnete Konflikte im OSZE Raum haben tausende Opfer gefordert und zu Vertreibung und Zerstörung geführt. Wir müssen alles daransetzen, bestehende Konflikte zu entschärfen und neue zu verhindern. Aus diesem Grund haben mich meine ersten Reisen in die Ukraine und nach Russland geführt. Der dortige Konflikt ist aus den Schlagzeilen verschwunden aber die Menschen vor Ort trifft es immer noch sehr hart. Es geht nur über den Dialog.
Nachhaltiger Friede in Europa gelingt nur gemeinsam, mit vereinten Kräften. Wir werden alles daran setzen die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. Dies ist nur möglich, wenn wir alle zusammenarbeiten und einen inklusiven Ansatz verfolgen.
Österreich wird als neutraler Staat für seine brückenbildende Außenpolitik geschätzt. Wir haben uns deshalb in diesem Jahr den nachhaltigen Wiederaufbau gemeinsamen Vertrauens zum Ziel gesetzt. Wir brauchen ein Ende des Blockdenkens.
Die EU scheint dem neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump ratlos gegenüberzustehen, weil sie ihn nicht einschätzen kann.
Welche Veränderungen erwarten Sie? Was wird Trump in Bezug auf die EU anders machen als Obama?
Es ist noch viel zu früh, eine konkrete Einschätzung über die künftige US-Innen- und Außenpolitik abgeben zu können. Präsident Trumps Kernaussage „America First“ lässt jedenfalls erwarten, dass die US-Politik zumindest zu Beginn stärker die US-Eigeninteressen in den Vordergrund stellen wird. Von der EU wird er mehr Eigenverantwortung, auch in finanzieller Hinsicht, einfordern und, da er die EU eher gering zu schätzen scheint, mehr auf die bilaterale Schiene setzen.
Sie haben nach einer Audienz beim Papst gesagt, Sie möchten sich gegen Christenverfolgung einsetzen. Wie genau?
Die weltweite Zunahme von religiös motivierten Konflikten und Gewalttaten, sowie der Diskriminierung von Anhängern anderer Glaubensrichtungen ist höchst beunruhigend. Fest steht, dass Christen weltweit die am meisten verfolgte Gruppe sind. Es ist einer der Schwerpunkte unserer Arbeit, uns für ihren Schutz einzusetzen. Diese Verpflichtung ergibt sich auch aus der historischen Prägung unseres Landes. Bei unseren laufenden Resettlement-Programmen legen wir ganz bewusst einen Schwerpunkt auf verfolgte Christen.
Halten Sie den konfessionellen Religionsunterricht in österreichischen Schulen für zeitgemäß und hilfreich?
Der konfessionelle Religionsunterricht ist heute genauso wichtig wie vor fünfzig oder gar hundert Jahren. Er gibt Gelegenheit, sich mit ethischen Grundfragen auseinanderzusetzen. Er vermittelt Grundwerte. Er gibt Halt, man kann dadurch die eigenen Wurzeln besser verstehen und das, was Glaube eigentlich ausmacht.
Religionen sind bei erfolgreicher Integration Teil der Lösung. Eine von anderen immer wieder propagierte Abschaffung oder Ausdünnung des konfessionellen Religionsunterrichts kommt daher für uns nicht in Frage. Vielmehr müssen wir sicherstellen, dass alle Schülerinnen und Schüler sich in ihrer Schulzeit mit diesen Fragen auseinandersetzen.
Jene, die keinen Religionsunterricht besuchen, sollen daher anstelle dessen verpflichtend einen Ethikunterricht besuchen.
Spielt Glaube eine Rolle in Ihrem persönlichen Leben? Beten Sie, besuchen Sie Messen?
Der Glaube spielt für mich eine wichtige Rolle. Durch meinem Beruf habe ich leider allzu oft wenig Zeit für den Messbesuch, aber mir sind die Besuche an den Feiertagen gemeinsam mit der Familie sehr wichtig. Auch in meinem Elternhaus waren der Glaube und christliche Werte immer wichtig.
Haben Sie in Ihrer Wohnung ein christliches Symbol?
Ja, ein Kreuz.
Sebastian Kurz. Geboren am 27. August 1986 in Wien
Was hat Ihr Interesse an Politik derart geweckt, sodass Sie mit erst 17 Jahren, als Sie noch Schüler waren, einer Partei beigetreten sind?
Ich war immer schon politisch interessiert und irgendwann wollte ich dann selbst etwas tun, mein Umfeld mitgestalten. Durch einige Gespräche bin ich dann zur Jungen ÖVP gekommen und habe dort begonnen, mich ehrenamtlich zu engagieren.Dort hat es mir gefallen – und ich bin geblieben.
Warum haben Sie sich damals für die ÖVP entschieden?
Ich wurde damals Mitglied der ÖVP, da ich die Grundwerte vertrete, die uns verbinden.
Treffen Sie Ihre Entscheidungen alleine oder im Team?
Im Team.
Freizeit bleibt Ihnen nicht viel. Man hört, dass Sie gerne Sport treiben. Welchen und warum?
Das stimmt, ich bin ein sportbegeisterter Mensch. Ich mag viele unterschiedliche Sportarten, wenn es die Zeit erlaubt: Tennis, Klettern, Laufen, Radfahren. Es ist alles natürlich eine Frage des „Zeitbudgets“.
Was hat sich mit Ihrem 30. Geburtstag geändert? Man sagt, mit 30 beginnt man allmählich über Familiengründung nachzudenken. Ist das bei Ihnen der Fall?
Mit meinem 30. Geburtstag hat sich nichts verändert, außer dass ein Dreier davorsteht.
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