Father Pierre Cibambo schaut zuversichtlich in die Zukunft: „Wir können in Afrika positive Trends auch auf der wirtschaftlichen Seite beobachten.“
Father Pierre Cibambo schaut zuversichtlich in die Zukunft: „Wir können in Afrika positive Trends auch auf der wirtschaftlichen Seite beobachten.“
Der Caritas-Experte Pierre Cibambo Ntakobajira nimmt sich bei seinem Besuch in Wien kein Blatt vor dem Mund: „Gläubige Christen sollen Botschafter der Hoffnung sein und nicht Furcht und Hass säen.“ Er erzählt im Interview, wo sich die wirkliche Flüchtlingskrise abspielt.
Pierre Cibambo Ntakobajira ist seit fünf Jahren geistlicher Assistent bei Caritas Internationalis, dem in Rom ansässigen Dachverband von weltweit 162 Caritas-Organisationen.
Viele Jahre davor war der Priester aus dem Kongo in der Afrika-Abteilung der Weltcaritas-Dachorganisation tätig. Er kennt – wie kaum ein anderer – die aktuelle Situation auf dem afrikanischen Kontinent, die damit verbundenen Migrationsbewegungen und Auswirkungen auf Europa.
Bei seinem Besuch in Wien fragen wir ihn, warum mehr und mehr Politiker das Thema „Flüchtlinge und Migration“ im Wahlkampf aufgreifen, um damit auf Stimmenfang zu gehen.
Auch bei uns in Österreich haben ja diese Themen die Innenpolitik der vergangenen Wochen geprägt. „Man kann leicht sagen: Diese Menschen überrennen uns, sie nehmen uns die Jobs weg. Es kommen viele Kriminelle, wenn nicht sogar Terroristen. Leider kann auch das möglich sein, aber die Verbreitung von Angst kann nicht die Lösung sein.
Diese Botschaften sind nützlich für die Zeit des Wahlkampfs, aber was kommt danach?“, fragt Pierre Cibambo. Er spricht sich entschieden dafür aus, die wirklichen Probleme anzusprechen, offen mit den Menschen über Möglichkeiten zu diskutieren und wahre Lösungen anzubieten.
„Europa muss mehr bieten als zu sagen: ‚Europäer zuerst!‘ Das noch reiche Europa kann seine Grenzen schließen, aber wird man in Zukunft nicht auf andere Gemeinschaften außerhalb Europas angewiesen sein?
Gläubige Christen sollen Botschafter der Hoffnung, Solidarität, Gerechtigkeit sein – und nicht Furcht und Hass säen.“
Ist die Flüchtlingskrise in Europa ein Problem aufgrund der Anzahl der Flüchtlinge, oder eine Folge falscher Politik und Fehlens von internationaler Zusammenarbeit?
Wenn ich Menschen von einer Flüchtlingskrise in Europa sprechen höre, wundere ich mich immer wieder, worüber sie sprechen.
Denn die wirkliche Krise herrscht in Afrika. Beispielsweise beherbergt das arme Land Uganda an der Grenze zum Südsudan eines der größten Flüchtlingscamps mit 300.000 Menschen.
Europa, der reichste Kontinent der Welt, kann das Flüchtlingsproblem lösen, indem es jene willkommen heißt, die an die Türe klopfen, weil sie, um ihr Leben zu retten, geflüchtet sind. Papst Franziskus sagt es immer wieder: Europa hat die Kapazität und die Möglichkeit dies zu tun.
Verstehen Sie die Angst der Menschen vor Fremden, vor Flüchtlingen?
Ja, weil wir einfach nur Menschen sind und das irgendwie in uns steckt. Aber ich möchte nicht immer nur über das Negative sprechen.
Wir müssen die positiven Geschichten erzählen, über die großartige Arbeit in den Pfarren sprechen, wie etwa über das LeO-Projekt, bei dem in der Erzdiözese Wien Lebensmittel an Bedürftige verteilt werden. Auch viele Gemeinschaften außerhalb der Kirche leisten Großartiges. Wir haben nicht das Monopol, Gutes zu tun. Wir müssen uns mit den anderen Akteuren verbünden.
Es gibt aber auch gute Politiker, die den Menschen die Wahrheit sagen können. Wir sollten diese fördern, sie ermutigen und ihre Stimme hörbar machen.
Sie betonen immer wieder, dass wir die Grundursachen von Flucht und Migration beseitigen müssen. Wie?
Europa, ein wichtiger Akteur in der internationalen Gemeinschaft, kann dafür sorgen, dass zunehmend mehr afrikanische Länder oder Staaten auf der ganzen Welt eine gewisse Art von Stabilität, guter Verwaltung und sozialer sowie wirtschaftlicher Entwicklung genießen, so dass deren Einwohner gerne in ihrer Heimat bleiben.
Manchmal liegen die Ursachen auch in Europa, wenn europäische Länder mit kriegsführenden Ländern Geschäfte machen. Papst Franziskus sagt, wir müssen die Kriegsherrn stoppen. Aber wir müssen auch den Verkauf von Waffen an diese Länder beenden.
Wenn wir sagen „Lasst uns keine Waffen mehr produzieren!“, dann gehen die Menschen auf die Straße, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchten. In manchen Ländern ist es sehr schwierig bis unmöglich für Politiker, die gewählt und wiedergewählt werden wollen, diese Entscheidung gegen Waffenproduktion und -lieferung zu treffen.
Wie sieht die Situation in Ihrem Heimatland aus?
In der Demokratischen Republik Kongo, einem der rohstoffreichsten Staaten Afrikas, hatten wir in den vergangenen 20 Jahren Krieg. Ein Teil der Ursachen des Konflikts lag auch in der Ausbeutung der mineralischen und natürlichen Rohstoffe.
Internationale Firmen aus China oder Kanada handeln Verträge mit den Politikern aus, die nicht wirklich auf ihr eigenes Volk schauen.
Wenn ich in meiner Heimatdiözese Bukavu bin, sehe ich immer wieder die kleinen Flugzeuge starten und landen, die Gold oder Coltan ins Ausland abtransportieren.
Wie kamen Sie selbst zum Glauben und wie verspürten Sie die Berufung zum Priester?
Ich wurde im Alter von zehn Jahren getauft. Meine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt keine Christen. Ich begann mit dem Katechismusunterricht als Sechsjähriger gemeinsam mit meiner Mutter. Ich war aber beim Lernen schneller, so empfing ich vier Jahre danach noch vor meiner Mutter die Taufe.
Unsere Familiengeschichte ist außergewöhnlich. Nachdem ich im August 1985 zum Priester geweiht worden war, taufte ich im März 1986 meinen Vater, gab ihm die Erstkommunion und traute danach meine Eltern.
Mein Entschluss, Priester werden zu wollen, geht sicher auf die Begegnung mit einem jungen Priester der Afrikamissionare, auch „Weiße Väter“ genannt, zurück. Er war mein Vorbild: Er ging immer fröhlich durch unser kleines Dorf, sprach mit den Kindern, besuchte die Kranken.
Ich wollte so sein wie er. Das habe ich dem schwerkranken Pater René bei einem Besuch vor drei Jahren in Brüssel erzählt. Als er meine Worte vernahm, war er sichtlich berührt und lebte für einen Moment regelrecht auf.
Wie sehen Sie die Zukunft des afrikanischen Kontinents?
Wir sind ein Kontinent der Hoffnung und nicht immer verdammt zu Verzweiflung, Armut und Elend. Es ist nicht alles chaotisch, wir können positive Trends auch auf der wirtschaftlichen Seite beobachten.
Wir sprechen oft nur von dem einen Afrika, in Wahrheit sind es viele Staaten. Viele davon gehen schon in die richtige Richtung. Sie halten freie Wahlen ab, machen gute Wirtschaftspolitik, investieren in Bildung.
Wichtig ist, dass die Synergien zwischen den afrikanischen Ländern und mit dem Rest der Welt gefördert werden. Wir haben viel zu teilen und wir haben so viel gemeinsam. Wenn es für einen Kontinent wie Afrika keine Hoffnung gibt, kann ich mir auch keine Zukunft für die ganze Welt vorstellen.
Wie unterscheidet sich das Glaubensleben in Afrika im Vergleich zu Europa?
Die Kirche in Afrika ist sehr lebendig und vor allem sehr jung. Die jungen Menschen sind voller Enthusiasmus und wollen Veränderung sehen.
Viele Europäer haben ihre christlichen Wurzeln verloren. Wer diese vergisst, gerät in Gefahr, auch seine Identität zu verlieren. Aber es gibt Hoffnung: Das spirituelle Leben in Europa ist nicht tot.
In der Heilsgeschichte im Alten Testament ist oftmals vom „Rest Israels“, der aus dem Exil gerettet wird, die Rede. Ich bin zuversichtlich, denn ich sehe viele aktive Gemeinschaften.
Im Osten Kongos wird wertvolles Coltan mit dem Flugzeug abtransportiert. Aus dem Erz Coltan wird das seltene Metall Tantal gewonnen, ohne dem es keine Handys geben würde. Die Bevölkerung profitiert aber wenig von diesem Rohstoffreichtum des Landes.
Caritas Internationalis, ist der in Rom ansässige Dachverband von weltweit 162 Caritas-Organisationen.
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