In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet.
In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet.
Ökumenischem Gottesdienst in Wiener Ruprechtskirche. Wiener Superintendent Geist erinnert an NS-Opfer Jochen Klepper, einen der bedeutendsten religiösen Dichtern des 20. Jahrhunderts.
Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen haben am Mittwoch, 9. November 2022, in der Wiener Ruprechtskirche der Novemberpogrome von 1938 gedacht.
In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Nazi-Terrors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.
Die Predigt beim ökumenischen Gedenkgottesdienst hielt der Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist, der an einen der bedeutendsten religiösen Dichter Deutschlands erinnerte: Jochen Klepper. Um Verhaftung, KZ und Ermordung zu entgehen, wählte der Dichter mit seiner Familie vor 80 Jahren den Weg in den Tod.
Das Schicksal der Familie Klepper "wirft ein Licht auf Schuld, auf Versagen, ja im Grunde auf menschenverachtende und unwürdige Gemeinheit, wie wir sie aus der unbeschreibbaren Nazi-Zeit kennen und zu erinnern haben. Und ein Licht auf dieses unsägliche sinnlose Leid der völkischen und religiösen Verachtungspolitik", so Geist wörtlich.
Klepper habe sein Leben der literarischen Kunst christlicher Frömmigkeit gewidmet: "Seine Gedichte und Liedtexte erfassen das Heil und die Neuheit unter Gottes Himmel, die uns auch zu Mechaye Hametim erreichen will: Der die Toten auferweckt!", so der Superintendent und weiter: "Das Leben, das Jochen Klepper mit seiner Frau und Stieftochter sein lassen musste, war vorbei. Und er blickte auf das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. Weil er sich aufgegeben wusste und eine Deportation wohl seelisch nicht überlebt hätte und beiden Frauen nicht zumuten wollte, darum wusste er, dass auch das letzte irdische Ringen nicht vergeblich sein würde."
Geist: "Der Fingerzeig an uns als Christinnen und Christen, als Jüdinnen und Juden, als muslimische Geschwister und auch als Religionsabweisende oder 'Ferne', mahnt uns: Behaltet diese Erinnerung wach, dass wir auf ein Ziel zugehen, das nicht unseres mehr ist. Die Auferweckung, die Neuheit der überwundenen Erde wird kein zaghaftes Ringen mehr sein, sondern Gottes Gerechtigkeit neu einsehen lassen. Diese Einsicht möge uns über alle Völker hinweg neu zum Leben führen. Zum Leben aus Frieden, Nächstenliebe, Wertschätzung und Barmherzigkeit."
Veranstalter des ökumenischen Gedenkens waren die Gemeinde der Ruprechtskirche gemeinsam mit einer Reihe von christlichen und jüdischen Organisationen. An dem Gottesdienst nahmen u.a. auch der Rektor der Ruprechtskirche, P. Alois Riedlsperger, und der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld teil. Nach dem Gottesdienst fand wieder ein Schweigegang zum Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoa auf dem Judenplatz statt. Dort trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit jenen des "Light of Hope"-Marsches vom Heldenplatz zum Judenplatz zusammen, zu dem die "Jüdische Jugend Wiens" eingeladen hatte.
Jochen Klepper gehörte zu den bedeutendsten religiösen Dichtern des 20. Jahrhunderts. Seine Kirchenlieder fanden Eingang auch in evangelische und katholische Kirchengesangbücher des deutschsprachigen Raumes, auch in das "Gotteslob" und das österreichische "Evangelische Gesangbuch". Um der Verhaftung, KZ und Ermordung zu entgehen, wählte die Familie Klepper in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 den Weg in den Tod.
Geboren am 22. März 1903 im schlesischen Beuthen an der Oder, entstammte Jochen Klepper einem evangelischen Pfarrhaus. In Breslau und Erlangen studiert er Theologie, wegen seiner äußerst labilen Gesundheit beendet er aber das Theologiestudium nicht zur Gänze und verzichtet darauf, Pfarrer zu werden. Stattdessen ging er in die kirchliche Presse- und Rundfunkarbeit. Sein eigentliches Berufsziel war Schriftsteller.
1929 lernte Klepper Johanna Stein, seine spätere Frau, kennen. 1931 heirateten sie. Johanna Klepper stammte aus einer jüdischen Familie. Sie brachte zwei Töchter in die Ehe mit. Die Hochzeit bedeutete zugleich einen Bruch mit dem Elternhaus und der Heimat. Die Familie übersiedelte nach Berlin; Johanna Klepper trat bei der Heirat zur evangelischen Kirche über.
In Berlin arbeitete Klepper beim Rundfunk. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er 1933 wegen seiner Ehe entlassen. Er verlor 1935 auch eine folgende Tätigkeit beim "Ullstein"-Verlag Berlin. 1937 wurde er aus der Reichsschrifttumkammer ausgeschlossen.
1932 begannen Kleppers Tagebuchaufzeichnung, die unter dem Titel "Unter dem Schatten deiner Flügel - Aus den Tagebüchern der Jahre 1932-1942" im "Brunnen"-Verlag (Gießen) neu herausgegeben wurden. 1933 schrieb er: "Mir ist, als gäbe die Heilsgeschichte der Juden der Weltgeschichte den Sinn".
1937 erschien Kleppers Roman "Der Vater". Das Buch wurde zum Bestseller. Das Buch sollte ihm persönlich einen gewissen Schutz bringen. Er beschrieb darin das Leben des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I., ein König, der nach Klepper nur das Beste für sein Volk gewollt und unter dessen Unfolgsamkeit gelitten habe. Den nationalsozialistischen Ideologen kam die in diesem Buch enthaltene Obrigkeitshörigkeit gerade recht. 1938 erschien dann unter dem Titel "Kyrie" ein Sammelband geistlicher Gedichte und Lieder.
Nach 1938 wuchs die Gefahr für Johanna Klepper und insbesondere für die beiden Töchter. Brigitte emigrierte im Frühjahr 1939 nach England. Renate konnte sich ebenso wenig von den Eltern trennen, wie sie von ihr. Im Dezember 1940 wurde Klepper Wehrmachtssoldat und machte die Feldzüge am Balkan und in die Ukraine mit. Am 22. September 1941 wurde er wegen seiner Ehe mit einer Jüdin "wehrunwürdig".
Klepper hatte enge Beziehungen auch zu evangelischen Kreisen der Schweiz. Im November 1939 wurden erstmals Schritte unternommen, die am meisten gefährdete Renate in die Schweiz zu bringen. Am 10. Dezember 1939 schrieb Klepper in sein Tagebuch: "Nachdem im Vorjahr unsere Verzweiflung über den möglichen Abschied von Renerle so groß war, sind wir nun ganz ruhig, arbeiten an der Auswanderung in die Schweiz mit aller inneren Geduld".
Zum ersten Mal tauchten nun im Tagebuch Selbstmordgedanken auf. Unter dem 25. November 1940 heißt es: "Renerle wird in dem Entschluss zum Selbstmord, wenn die Auswanderung scheitert und die Deportation unentrinnbar wird, immer fester, so sehr sie noch hofft. Bemühungen laufen in Schweden und der Schweiz".
Die Tagebuchaufzeichnungen geben erschütternden Aufschluss über die Ängste und Sorgen, die die ständig bedrohte Familie durchmacht. Die Berichte aus der Schweiz klangen nicht gut. Der schweizerische Bundesrat lehnte Einwanderungen ab - wegen Überfremdung. "So namenlos schwer ist es, einen geliebten Menschen mit menschlichen Mitteln retten zu wollen", schrieb Klepper in der Folge in sein Tagebuch. Nachdem ihm wieder einmal einer zur Flucht in die Schweiz geraten hatte, hieß es am 15. November 1942: "Wir wissen, dass auch das längst Utopie ist. Es ist nun so gekommen, dass man lebt von Angst und Schrecken gepeinigt". Die Gefahr wuchs von Tag zu Tag. "Der Untergang des Judentums in Deutschland ist nun wohl auch schon nach den Tatsachen in sein letztes Stadium getreten. Durch welche Ängste muss unser Herz auch in dieser Adventzeit", schrieb Klepper kurz vor seinem Tod.
Am 10. Dezember 1942 hatte Klepper einen Termin bei Adolf Eichmann und sollte dessen endgültige Antwort abholen. Die Antwort muss negativ ausgefallen sein. Denn die letzte Tagebucheintragung Kleppers an diesem Tag lautete: "Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott. Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der uns trägt. In dessen Anblick endet unser Leben".