Der Schriftsteller und Essayist Ilija Trojanow in seiner Poetikvorlesung aan der Universität Wien.
Der Schriftsteller und Essayist Ilija Trojanow in seiner Poetikvorlesung aan der Universität Wien.
Gegen scharfe Trennlinien zwischen religiösen Traditionen.
Warum sollte es gerade im spirituellen Bereich keine Wahlfreiheit geben, wo Vielfalt doch geradezu ein Merkmal des Göttlichen und zugleich ein Kontrapunkt zur weltanschaulichen Einfalt etwa der Fundamentalisten ist? Dies war die Leitfrage, unter die der Schriftsteller und Essayist Ilija Trojanow seine Poetikvorlesung am Dienstagabend, 22. Mai 2018 an der Universität Wien stellte. Der selbst vielgereiste Autor des ausgezeichneten Romans "Der Weltensammler" wies darauf hin, dass es in bestimmten Kulturkreisen und Epochen weit verbreitet war und ist, religiöse Rituale und Versatzstücke wie Kleidung an- und auch wieder abzulegen, ja geradezu "auf interreligiöse Wanderschaft zu gehen".
Eine derartige synkretistische Haltung werde vornehmlich von den Fahnenträgern des Monotheismus als oberflächlich oder gar heuchlerisch denunziert - zu Unrecht, wie Trojanow meinte. Denn: "Ist es überhaupt möglich, dass zwei Menschen dasselbe meinen, wenn sie 'Gott' sagen?"
Mit seinen Ausführungen unter dem Titel "Vielfalt der Religionen als Gottesbeweis?" setzte der Schriftsteller die Reihe der vom Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück initiierten Poetikvorlesungen an der Katholisch-Theologischen Fakultät fort, die schon literarische Größen wie Sibylle Lewitscharoff, Thomas Hürlimann, Nora Gomringer oder zuletzt Michael Köhlmeier und Hartmut Lange nach Wien geführt hatten.
Der aus Bulgarien stammende deutsche Autor, der in Nairobi, Paris, München und Mumbai lebte und jetzt in Wien ansässig wurde, zeigte anhand vieler Beispiele aus der Mystik verschiedener Kulturen - etwa aus dem Hinduismus, dem islamischen Sufismus oder der Palo-Monte-Religion auf Kuba - auf, dass scharfe Trennlinien zwischen religiösen Traditionen oft bewusst nicht gezogen werden. Im Alten Rom sei es verpönt gewesen, fremde Götter zu beleidigen; sie wurden im Gegenteil sogar verehrt. Trojanow zitierte einen indischen Swami, wonach nur Unwissende bloß einen Standpunkt hätten. Und auch Mahatma Gandhi sei geprägt gewesen vom unbefangenen Zugriff auf hinduistische wie auch islamische Weisheit während seiner Erziehung, berichtete Trojanow.
Er betonte, dass es die "Goldene Regel" aus der Bergpredigt Jesu - derzufolge andere so behandelt werden sollen, wie man selbst behandelt werden will - in vielen religiösen Traditionen gibt. Auch die von der britischen Ex-Nonne und Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong propagierte "Charta des Mitgefühls" als Grundlage einer Ethik des 21. Jahrhunderts rekurriere auf die Goldene Regel. Trojanow sieht - wie er in der Diskussion erklärte - Religionen als verschiedene Manifestationen des einen Göttlichen. Auch die vermeintliche Vielgötterei des Hinduismus, mit dem sich der Autor für seinen mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Bestseller "der Weltensammler" intensiv befasste, kenne diesen letzten Urgrund.
An den monotheistischen Religionen störe ihn, wie Trojanow weiter sagte, deren Anthropomorphismus: Der Mensch als alle anderen Geschöpfe überragendes Ebenbild Gottes begünstige einen ausbeuterischen Zugriff auf die Natur, der heute zunehmend zum Problem werde. Insofern müsse der Ausdruck "Anthropozän" als Bezeichnung einer neuen, vom Menschen dominierten geochronologischen Epoche besser "Kapitalozän" heißen, merkte der Referent an. Gerade das Christentum sei mit dem heute ausufernden Kapitalismus oft eng verbunden gewesen, nahm Trojanow Bezug etwa auf die protestantische Arbeitsethik. Religionsangehörige mit einen zyklischen Weltbild gingen wohl sorgfältiger mit der Schöpfung um als solche mit dem Glauben an ein auf Gott ausgerichtetes Ende der Geschichte, mutmaßte der vielfach ausgezeichnete Autor - zuletzt mit dem Heinrich-Böll-Preis 2017.
Zwischen Religion und Literatur gebe es eine Verwandtschaft, die nicht zu sehen ihm unverständlich sei, sagte Trojanow eingangs. Vermittelten doch beide, dass es mehr gibt als profitorientierte Ökonomie und zweckrationale Berechnung, dass "der Mensch mehr ist als die Summe seiner Egoismen".
Die vom Institut für Systematische Theologie an der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät organisierte Poetikdozentur bringt jedes Semester Schriftsteller an die Universität Wien. Im Hintergrund steht laut Initiator Tück das "Anliegen, eine Begegnung von Literatur und Religion zu ermöglichen - zweier Sphären, die manches trennt, aber auch einiges verbindet". Am 12. Juni 2018 wird die Reihe von Barbara Frischmuth mit einer Vorlesung zum Thema "Zeit - Gott - Schreiben" fortgesetzt.