"Mein Buch ist der Versuch, ein möglichst authentisches Porträt vom Stephansdom zu zeichnen, so wie man versucht, einen lieben Freund behutsam zu charakterisieren", sagt Reinhard Gruber.
"Mein Buch ist der Versuch, ein möglichst authentisches Porträt vom Stephansdom zu zeichnen, so wie man versucht, einen lieben Freund behutsam zu charakterisieren", sagt Reinhard Gruber.
Domarchivar Reinhard Gruber wollte schon als Kind den Schlüssel zum Stephansdom haben. Sein Buch „Der Wiener Stephansdom. Porträt eines Wahrzeichens" erscheint in der zweiten überarbeiteten Auflage. Ein Interview über seine Dom-Liebe, Skurriles aus der Geschichte und den grinsenden Dom-Esel.
Das Buch „Der Wiener Stephansdom. Porträt eines Wahrzeichens“ erscheint in der zweiten überarbeiteten und aktualisierten Auflage. Was hat Sie zur Neuauflage bewogen?
Das Vorgängerbuch aus dem Jahr 2011 war zum heurigen Jahresbeginn erst seit einigen Wochen vergriffen, da kam schon von verschiedenen Seiten der Wunsch nach einer Neuauflage. Die Nachfrage ist also nach wie vor erfreulicherweise recht groß.
Bemerkenswert: Für dieses Buch – immerhin das offizielle Dombuch – gab es kein Budget und die Fotografinnen und Fotografen haben dankenswerterweise um Gottes Lohn gearbeitet. Die Tantiemen gehen, wie schon bei der Erstauflage, an das Kirchenmeisteramt. Das ist unser Beitrag für die Erhaltung des Domes.
Für wen ist Ihr Buch geschrieben? Welche Zielgruppe möchten Sie erreichen?
Dieses Buch ist für all jene geschrieben, die etwas mehr über den Dom wissen wollen, als man im Internet über ihn finden oder in einem herkömmlichen Domführer lesen kann. Darüber hinaus soll dieses Buch vor allem jenen, denen die spirituelle und religiöse Bedeutung der Stephanskirche ein Anliegen ist, als Inspirationsquelle dienen.
Was fasziniert Sie besonders am Stephansdom?
Dass er so viele Menschen auf so vielfältige Weise fasziniert.
Haben Sie einen Lieblingsort im Dom?
Der Stephansdom an sich ist schon einer meiner Lieblingsorte. Im Kirchenraum gibt es dann mehrere. So lasse ich mich zum Beispiel sehr gerne am Wiener Neustädter Altar vom Esel in der Weihnachtsdarstellung angrinsen oder schmunzle über die Segelohren des Jesusknaben bei der Anbetung der Heiligen Drei Könige.
Ganz besonders lieb und teuer ist mir aber der Ort zu Füßen der Dienstbotenmuttergottes. Da schau ich auf zu ihr und ihrem göttlichen Kind und lasse mir von beiden ein Lächeln schenken, oder wie es Christine Busta (+1987) so treffend formulierte:
„Zuerst sind wir heimgegangen
zur Dienstbotenmuttergottes.
Wir brauchten ihr nichts zu erzählen,
sie wusste schon alles
und lächelte liebevoll versonnen.
So schön war sie nie zuvor.“
Die Dienstbotenmuttergottes im Wiener Stephansdom ist einer der Lieblingsorte von Reinhard Gruber.
Wie hat sich Ihre Beziehung zum Stephansdom im Laufe der Jahre entwickelt?
Anlässlich des Österreichischen Katholikentages und des Papstbesuchs 1983 war ich als zwölfjähriger Tiroler Bub zum ersten Mal mit meinen Eltern in Wien und hörte die Domglocken. Damals habe ich zu meinem Vater gesagt, dass ich einen Schlüssel zu dieser Kirche haben möchte.
Im nächsten Jahr sind es nun schon 30 Jahre, dass ich am Dom arbeite und gleichzeitig sind es dann 25 Jahre, dass ich als Domarchivar Verantwortung für das Archiv trage. In dieser Zeit hat sich die Qualität des ersehnten Domschlüssels kontinuierlich verbessert.
Gleichzeitig ist die Archivarbeit gleichsam ein „Schlüssel“ zur Domgeschichte. Der Dom wurde mir in dieser langen Zeit im wahrsten Sinne des Wortes lieb und teuer, er wurde mir zum vertrauten Freund, vor dem ich aber nach wie vor großen Respekt habe.
In meinem Buch geht es mir genau darum, wie es der Untertitel schon sagt: Es ist der Versuch, ein möglichst authentisches Porträt vom Stephansdom zu zeichnen, so wie man versucht, einen lieben Freund behutsam zu charakterisieren.
Welche Rolle spielt diese jahrhundertealte Kathedrale im modernen Wien und Österreich?
Der Stephansdom ist nach wie vor zentrales Symbol Österreichs und das Wahrzeichen der Bundeshauptstadt schlechthin. Dank seiner Lage im Herzen von Wien ist er eines der meistbesuchten Bauwerke dieser Stadt. Und wir machen immer wieder die Erfahrung, dass er über alle konfessionellen Grenzen hinaus den Menschen, die hier leben, ein besonderes Anliegen ist, ja vielen sogar wirklich am Herzen liegt und sie stolz auf ihn ist. Man kennt seine Geschichte und „zeigt seinen Dom her“, wenn Besuch kommt.
Und etwas ist dem Dom eigen, was sich schwer beschreiben lässt. Zum Beispiel wird in Österreich das Neue Jahr über alle Medien von den Klängen einer Kirchenglocke, unserer Pummerin, eingeläutet. Erst im Anschluss an den Klang der sakralen Glocke erklingt der profane Donauwalzer und es wird getanzt. Dieses Faktum wird nicht hinterfragt, nicht kritisch reflektiert, ist eine liebgewonnene Tradition. „Das ist eben so.“
Im laizistischen Frankreich, dem Land mit der strikten Trennung zwischen Kirche und Staat, wäre dies unmöglich. Bei uns ist das nicht nur möglich, sondern würde kritisiert werden, wenn man es ändert. Die Pummerin wird bei uns sogar als „Stimme Österreichs“ bezeichnet.
Die Pummerin wird als "Stimme Österreichs" bezeichnet und läutet als großte Glocke Österreichs nur zu besonderen Anlässen.
Was ist das Skurrilste über den Stephansdom, auf das Sie in Ihrer Arbeit als Domarchivar gestoßen sind?
In jedem Archiv gibt es Dinge, die eigentlich nicht dorthin gehören, und man erfährt von Begebenheiten, die man nicht erwarten würde. 1642 hat der gebürtige Tiroler Johannes Prugger, Domkustos von St. Stephan, begonnen, sein „Protocollum Curiae Episcopalis Viennensis“ zu schreiben. Darin finden sich chronikartige Aufzeichnungen, Läutordnungen, Anweisungen für die Musiker und Mesner sowie ein liturgischer Jahreskalender für die Domkirche.
Und so erfahren wir durch ihn, dass damals am Palmsonntag die Kinder einen echten Esel mit einer hölzernen Christusfigur bei der Palmprozession mitführten. Zur Zeit, als Kardinal Melchior Khlesl (+1630) Bischof von Wien war, ist es nun passiert, dass diese Christusfigur angeblich altersbedingt vom Esel gefallen und am Boden zerschellt ist. Unter den Kindern brach ein Wehklagen aus, da so schnell kein Ersatz gefunden werden konnte.
Da setzte sich der alte „Bahrleiher“, also der Totengräber des Friedhofs, Philipp Egger „an Christi statt“ auf den Esel und ließ sich bekleidet mit einem Chorrock, einem weißen Hut auf dem Kopf und einer Taufkerze in der Hand von den Kindern herumführen. Die Kinder hatten – auf gut Wienerisch – ihre „Gaudi“ und die Erwachsenen haben wohl auch herzhaft gelacht.
Für mich ist das einerseits ein schönes Beispiel für den Sitz der Liturgie im Leben und andererseits auch dafür, dass ein Archiv nicht nur eine Sammlung von schwer lesbaren Schriftstücken, sondern eine sprudelnde Quelle von Geschichte und Geschichten ist.
Der Wiener Stephansdom
Porträt eines Wahrzeichens. Überarbeitete Neuuaflage. Das Standardwerk mit allen Infos zur Geschichte des Doms, seinen Kunstwerken und seiner religiösen Botschaft. Von Reinhard Gruber.
Hardcover
192 Seiten; Verlag Tyrolia 2024
ISBN 978-3-7022-4243-5
Mittwoch, 2. Oktober 2024, 18:00 Uhr
Festsaal des Erzbischöflichen Palais, Wollzeile 2, 1010 Wien
(Achtung: nicht barrierefrei zugänglich)
Bitte um Anmeldung unter office@stephansdom.at