"Nur wer sich selber, seine Liebsten und sein Hab und Gut innerlich loslassen kann, wird verstehen, dass das scheinbar so strenge Wort Jesus eine Einladung zur Freiheit ist", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Nur wer sich selber, seine Liebsten und sein Hab und Gut innerlich loslassen kann, wird verstehen, dass das scheinbar so strenge Wort Jesus eine Einladung zur Freiheit ist", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 4. September 2016. (Lukas 14,25-33)
Dieses Evangelium schockiert. Eigentlich sagt doch Jesus hier: Überlege es dir gut, ob du wirklich mein Jünger sein willst! Lass lieber die Hände davon, ehe du es nur halb machst. Ein halber Christ ist gar kein Christ, scheint Jesus zu sagen. Will er um sich nur Hundertprozentige? Der Schlusssatz scheint das nahezulegen: „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“
Darf Jesus sich wundern, dass so viele lieber nicht mit ihm gehen? Er schreckt ja geradezu ab, Christ zu werden. Lass es lieber gleich bleiben, wenn du siehst, dass du es nicht ganz schaffst, scheint Jesus zu sagen. Wer nicht alles hintanstellt, „der kann nicht mein Jünger sein“. Da dürfen die Eltern nicht wichtiger sein als Jesus, und auch nicht die eigenen Kinder. Die Geschwister dürfen Jesus nicht vorgezogen werden, ja nicht einmal der Ehepartner. Und sogar das eigene Leben darf uns nicht mehr wert sein als Jesus. Darum setzt euch hin, berechnet eure Kräfte wie ein Bauherr, der einen Turm baut, oder wie ein Feldherr, der einen Krieg plant. Überlege es dir gut, ob du es schaffst, ein Jünger Jesu zu sein!
Ich gestehe, dass dieses Evangelium mich ziemlich schockiert hat. Wenn ich meine eigenen Kräfte ansehe, dann habe ich den Eindruck: Das schaffe ich nie! Das ist mir zu steil! Ich bin ein schwacher Mensch und werde nie ein hundertprozentiger Christ sein können. Wer kann dann überhaupt ein echter Christ sein? Überfordert Jesus seine Anhänger? Und gibt es vielleicht deshalb so viele, die sich vom Christentum abwenden, weil es einfach zu anspruchsvoll ist?
Doch dann kam mir wie eine Befreiung eine ganz wichtige Einsicht. Was Jesus da fordert, um sein Jünger zu sein, ist eigentlich ganz vernünftig und einfach. Was sagt er im Wesentlichen? Im Grunde nur das Eine: Gibt Gott den ersten Platz! Stelle mich, Jesus, den Herrn, vor alles andere! Nur dann kannst du mein Jünger ein.
Papst Franziskus hat mir da sehr geholfen. Er erinnert zum Beispiel die Eheleute an eine Grundregel des guten Zusammenlebens: Dein Partner ist nicht der liebe Gott! Erwarte nicht von ihm, was er nicht geben kann! Deine Kinder gehören nicht dir, sie sind zuerst Kinder Gottes. Ja du selber bist ein Geschöpf und ein Geschenk Gottes. Daher hat er den ersten Platz.
Papst Franziskus sagt, dass diese Einsicht „die größte Befreiung“ bedeutet. Sie schenkt die wahre Selbständigkeit, weil sie den anderen freilässt und loslässt. Auch wenn wir noch so sehr miteinander verbunden sind, als Partner in der Ehe, als Familie, als Freunde: Immer ist jeder Einzelne mit Gott noch mehr verbunden als mit allen anderen. Keiner darf auf den Anderen Besitzansprüche erheben. Das gilt natürlich auch vom materiellen Besitz: Er ist uns anvertraut, aber auch ihn müssen wir einmal loslassen. Wir können ihn nicht mitnehmen. Nur wer sich selber, seine Liebsten und sein Hab und Gut innerlich loslassen kann, wird verstehen, dass das scheinbar so strenge Wort Jesus eine Einladung zur Freiheit ist.
In jener Zeit, als viele Menschen Jesus begleiteten, wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertig stellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, so lange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden. Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.
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