In den Gesprächen, die Papst Benedikt XVI. mit dem Journalisten Peter Seewald kurz vor und nach seinem Rücktritt geführt hat, blicken sie auf das Pontifikat des deutschen Papstes zurück.
In den Gesprächen, die Papst Benedikt XVI. mit dem Journalisten Peter Seewald kurz vor und nach seinem Rücktritt geführt hat, blicken sie auf das Pontifikat des deutschen Papstes zurück.
Interviewbuch "Letzte Gespräche" von Peter Seewald mit Benedikt XVI.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat mit der offenen Art seines Nachfolgers Franziskus keinerlei Probleme. "Im Gegenteil, ich finde das gut", sagte er nach Angaben der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur KNA im neuen Interviewbuch des Journalisten Peter Seewald "Letzte Gespräche".
Überhaupt sei es ermutigend, dass mit einem südamerikanischen Papst in der Weltkirche auch andere Gewichte zur Geltung gebracht würden - "und Europa nun auch von außen her neu missioniert wird". Weiter kommt der emeritierte Papst zu dem Fazit: "Eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht, das ist schon etwas Schönes."
Die direkte Zuwendung zu den Menschen, wie sie Franziskus praktiziere, hält sein Vorgänger für "sehr wichtig". Zudem sei er durchaus auch ein Papst der Reflexion. So werde aus seinen Schreiben "Evangelii gaudium" oder auch aus seinen Interviews deutlich, dass er ein nachdenklicher Mensch sei, "einer, der mit den Fragen der Zeit geistig umgeht". Aber zugleich sei er jemand, der gewohnt sei immer unter Menschen zu sein. "Vielleicht bin ich ja tatsächlich nicht genug unter den Menschen gewesen", räumt der 89-Jährige selbstkritisch ein.
Franziskus habe auch den Mut, Probleme anzusprechen und nach Lösungen zu suchen, betont sein Vorgänger. Einen Bruch sieht dieser auch nicht bezüglich der Forderung nach einer Dezentralisierung der Kirche. Auch er habe sich immer gewünscht, dass die Ortskirchen möglichst lebendig in sich selber seien und "nicht so sehr der römischen Nachhilfe bedürfen". Deshalb sei die Stärkung der Ortskirche auch etwas sehr Wichtiges. "Wobei immer auch wichtig ist, dass alle aufeinander und auf den Petrusdienst hin offen bleiben, denn sonst entwickeln sich leicht Politisierung, Nationalisierung und kulturelle Verengungen."
Leichte Kritik schwingt in dieser Frage beim emeritierten Papst allerdings auch mit. Jene Bischöfe, die gegen die Zentralisierung seien, hätten zugleich entsprechende Initiativen vermissen lassen. "Insofern haben wir dann immer wieder nachgeholfen." Dabei gelte jedoch, je besser und lebendiger eine Ortskirche aus der Mitte des Glaubens lebe, desto mehr trage sie auch zum Ganzen bei.
In einer weiteren Passage des neuen Buchs erneuert Benedikt XVI. auch sein Bekenntnis, wonach er selbst nichts mehr schreiben wolle. "Ich habe mein Werk getan", wird der emeritierte Papst zitiert. Er könnte das auch nicht mehr, da ja methodisches Arbeiten dahinterstehen müsste. "Das wäre mir jetzt einfach zu mühsam", bekannte der langjährige Theologieprofessor.
Die Frage, ob er Tagebücher schreibe, verneinte der frühere Papst. Aber in gewissen Abständen habe er Besinnungen aufnotiert, die er aber nun im Begriffe sei wegzuwerfen. Als Grund führte er an, dass sie einfach zu persönlich seien, auch wenn es sich wohl um "ein Fressen für die Historiker" handeln würde.
Geistiges Arbeiten ist dem inzwischen 89-Jährigen indes immer noch wichtig. So mache er jede Woche seine Predigten für den Sonntag, auch wenn nur vier oder fünf Leute zuhörten. Ob für eine solch kleine Zahl oder für mehrere Tausend, sei ihm egal: "Es muss immer das Wort Gottes für den Menschen da sein."
Als seinen spirituellen Lieblingsort bezeichnete der emeritierte Papst den bayerischen Marienwallfahrtsort Altötting. Diesen hatte er schon als Kind kennengelernt und zuletzt vor zehn Jahren bei seiner Reise nach Bayern noch einmal besucht. Zugleich räumte er ein, dass auch ein Priester wie er bisweilen sich frage, warum Gott so viel Böses in der Welt zulassen könne. Von "dunklen Nächten" wolle er aber nicht sprechen, "da bin ich vielleicht auch nicht heilig genug, um dann so tief ins Dunkel zu geraten". Für ihn gelte, bei aller Problematik die Grundgewissheit des Glaubens nicht loszulassen.
Wie viele andere Menschen auch, gab der emeritierte Papst an, im Hinblick auf den Tod Furcht davor zu haben, durch eine lange Zeit der Behinderung anderen Menschen zur Last zu fallen. "Das würde ich als sehr betrüblich empfinden." Dazu aber komme, dass man je näher man vor Gottes Angesicht komme, desto stärker empfinde, "wie viel man falsch gemacht hat". Dabei sei jedoch das Vertrauen auch da, dass "der liebe Gott einen nicht wegwerfen" könne.
Die Entchristlichung schreitet nach den Worten des früheren Papstes Benedikt XVI. weiter voran. "Heute leben wir in einer positivistischen und agnostischen Kultur, die sich gegenüber dem Christentum zunehmend als intolerant zeigt", so der frühere Papst im n Interview-Buch "Letzte Gespräche". Insofern werde die westliche Gesellschaft, jedenfalls in Europa, nicht einfach eine christliche Gesellschaft sein. Umso mehr müssten sich daher die Glaubenden darum bemühen, dass sie das Werte- und Lebensbewusstsein weiterhin formten und trügen.
Für die Zukunft werde eine entschiedene Gläubigkeit der einzelnen Gemeinden und Ortskirchen wichtig werden, betonte der emeritierte Papst. Damit werde auch die Verantwortung größer. Eine Zeiteneinteilung wollte des frühere Kirchenoberhaupt nicht vornehmen. Aber dass die Kirche immer weiter aus dem alten europäischen Lebensgefüge heraustrete und eine neue Gestalt annehme sowie neue Formen in ihr lebten, sei offenkundig. Die Kirche habe die Aufgabe, eine neue Art der Präsenz zu finden.
Eine Krise sieht der frühere Wissenschaftler auch in der deutschen Universitätstheologie. Diese brauche neue Köpfe, neue Energien und eine neue Intensität des Glaubens. Aber die Theologie selbst sei immer neu unterwegs. "Ich bin dem lieben Gott dankbar für das, was ich tun konnte, auch wenn ich es in seinen bescheidenen Maßen sehe, mehr als Gelegenheitsfrüchte, als pastoral-spirituelle Arbeiten."
Die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) hat der frühere Papst Benedikt XVI. als "richtig" bewertet. Es sei ein Augenblick in der Kirche gewesen, wo man einfach auf Neues wartete, auf eine Erneuerung aus dem Ganzen, auf eine neue Begegnung der Weltkirche, so in "Letzte Gespräche". Allerdings seien die politischen Folgen und die faktischen Auswirkungen nicht richtig eingeschätzt worden. "Man hat da zu sehr im Theologischen gedacht und nicht überlegt, welche Außenwirkung diese Dinge haben werden."
Der Kölner Kardinal Joseph Frings hatte damals den jungen Bonner Theologieprofessor Joseph Ratzinger zu seinem Konzilstheologen gemacht. Rückblickend betonte der emeritierte Papst, habe er immer das Bewusstsein gehabt, "dass das, was wir faktisch gesagt und durchgesetzt haben, richtig war und auch geschehen musste". Von den Verantwortlichen sei damals in sich richtig gehandelt worden, "auch wenn wir sicher die politischen Folgen und die faktischen Auswirkungen nicht richtig eingeschätzt haben".
Der Wille der Bischöfe sei damals gewesen, den Glauben zu erneuern und zu vertiefen, erinnerte Benedikt XVI. Allerdings hätten immer stärker auch andere Kräfte eingewirkt, insbesondere Journalisten, die viele Sachen ganz neu interpretiert hätten. Irgendwann hätten sich dann die Leute gefragt, "ja, wenn die Bischöfe alles verändern können, warum können wir nicht alle das tun?" Dann habe die Liturgie angefangen zu bröckeln und ins Beliebige abzugleiten. Seit 1965 habe er selbst es als Auftrag empfunden, klarzumachen, "was wir eigentlich wirklich wollen und was wir nicht wollen", so das emeritierte Kirchenoberhaupt.