Seit Jahrzehnten gehört Lieselotte Wohlgenannt zu den Vordenkerinnen eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens für alle.
Seit Jahrzehnten gehört Lieselotte Wohlgenannt zu den Vordenkerinnen eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens für alle.
Langjährige Sozialakademie-Mitarbeiterin widerspricht Stöger-Einschätzung, dass Grundeinkommen "nicht funktionieren kann".
Seit Jahrzehnten gehört sie zu den Vordenkerinnen eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens für alle: Am 15. Juli 2016 vollendet Lieselotte Wohlgenannt, langjährige Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), ihr 85. Lebensjahr. Aus diesem Anlass gibt die ksoe ihren gemeinsam mit Herwig Büchele SJ verfassten "Buchklassiker" aus dem Jahr 1985, "Grundeinkommen ohne Arbeit", neu heraus, ergänzt um aktuelle Beiträge von Ina Prätorius, Ronald Blaschke, Margit Appel und Markus Blümel. Der Band erscheint im September im ÖGB-Verlag.
Die Idee dazu brachten die österreichischen Jesuiten und Sozialethiker Büchele und P. Alois Riedlsperger aus den USA mit, wo es in den 1980er-Jahren viel Lobbyismus für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) gab, berichtete Wohlgenannt im "Kathpress"-Interview. Das daraus entstandene Buch sei "viel angegriffen" worden, aber auch von vielen als eine gute Idee erkannt worden, die weiterzuverfolgen sich lohnen würde. Heute, 31 Jahre später, stehen die Vorzeichen dafür nach Einschätzung der Sozialwissenschaftlerin sogar günstiger als damals. Denn die Grenzen des Wirtschaftswachstum mit krisenhaften Begleiterscheinungen wie hoher Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung seien offenkundig geworden, man sei gezwungen, sich um neue Finanzierungsquellen für die Absicherung des sozialen Netzes umzusehen als allein durch die Besteuerung von Lohnarbeit.
Die zuletzt von Bundeskanzler Christian Kern wieder in Diskussion gebrachte Idee des Sozialministers der Kreisky-Ära, Alfred Dallinger, einer Wertschöpfungsabgabe ("Maschinensteuer") wäre laut Wohlgenannt ein gangbarer Weg zur Absicherung des Sozialstaates. Sie würde - wie sie sagte - den Begriff "Ressourcensteuer" bevorzugen, ausgehend von der Idee, dass Profite aus den Gütern dieser Erde wie Land, Luft, Energie etc. allen Menschen zugute kommen sollten.
Dem aktuellen Sozialminister Alois Stöger sei somit zu widersprechen, der im Medium "Zeitzeichen" der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) das BGE u.a. deswegen abgelehnt hatte, weil damit grundlegende Verteilungsfragen nicht gelöst würden. Es sei eine Grundeinkommen sei "eine Maßnahme, die nicht funktionieren kann", so Stöger.
Wohlgenannt dazu: Auch eine schrittweise Umsetzung des Grundeinkommens sei vorstellbar - etwa in Form einer von der EU ausgeschütteten Zuwendung für alle EU-Bürger in derselben Höhe. Dies hätte einen Umverteilungseffekt zugunsten der ärmeren Mitgliedsländer, die ohnehin auf EU-Investitionen angewiesen seien. In reicheren Staaten wie Österreich würde das BGE dann einen ergänzungsbedürftigen Grundstock für die Existenzsicherung bilden.
Impulse zur Umsetzung solcher Ideen erwartet die 85-Jährige weniger von der Politik, die heute meist unter dem Einfluss mächtiger Lobbys stehe, als vielmehr von weitblickenden Ökonomen und der Zivilgesellschaft. Auch die Kirche könne wertvolle Beiträge leisten, um Bedenken gerade von einkommensschwachen Schichten auszuräumen, das BGE würde viele in die "soziale Hängematte" und zum Nichtstun verlocken.
Christen haben nach Überzeugung Wohlgenannts auch die Pflicht gegen nationalstaatliche Egoismen auf eine globale Solidarität hinzuarbeiten. Auch Papst Franziskus habe in seiner Enzyklika "Laudato si" auf das Missverhältnis zwischen nationalstaatlich ausgerichteter Politik und transnational agierender Wirtschaft und Finanzwelt hingewiesen, die den Ruf nach einer politischen Weltautorität nahelege. Nur so hätten Friedenssicherung und Abrüstung, Umweltschutz oder die Regulierung von Migrationsströmen echte Erfolgsaussichten, so Wohlgenannt mit Verweis auf den argentinischen Papst und seine Vorgänger.
Lieselotte Wohlgenannt wurde 1931 in Stuttgart geboren. Nach Abschluss der Handelsakademie in Bregenz arbeitete sie in der Vorarlberger Lebensmittelindustrie, ehe sie zum Studium der Sozialwissenschaften nach Paris ging. Von 1968 bis 1977 war sie im Nationalbüro der Katholischen Schulen von Zaire (jetzt Demokratische Republik Kongo) tätig. Von 1977 bis 1992 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie. Seit ihrer Pensionierung arbeitet sie ehrenamtlich in Projekten weiter.
Ksoe-Leiterin Magdalena M. Holztrattner würdigte Wohlgenannt als "herausragende Sozialwissenschafterin, die den sozialpolitischen Diskurs der letzten Jahrzehnte in Österreich mitgeprägt hat". Nach wie vor sei die Jubilarin in das Weiterdenken des Grundeinkommens-Konzeptes involviert, seit Jahrzehnten sei sie "kritische Beobachterin und Kommentatorin des österreichischen Sozialstaates". Wohlgenannt habe zu Themen wie "Zukunft der Arbeit", Frauenarmut oder Pensionsreform gearbeitet, engagierte sich für aktiven Gewaltlosigkeit im Internationalen Versöhnungsbund und war Mitdenkerin beim Ökumenischen Sozialwort der christlichen Kirchen in Österreich. 2011 wurde Wohlgenannt von Unterrichtsministerin Claudia Schmied mit dem Bundes-Ehrenzeichen für "hervorragende Leistungen im Bereich der Erwachsenenbildung" und als "Ausdruck für besondere Verdienste um das Gemeinwesen" ausgezeichnet.
Das Buch "Grundeinkommen ohne Arbeit. Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft", herausgegeben von der Katholischen Sozialakademie Österreichs im ÖGB-Verlag, ist ab 15. September für 24,90 Euro erhältlich.
Katholische Sozialakademie Österreich:
www.ksoe.at