Kardinal Schönborn gab der "Wiener Zeitung" ein großes Interview.
Kardinal Schönborn gab der "Wiener Zeitung" ein großes Interview.
Reform der Pfarrstrukturen laufe gut, mehr Zusammenarbeit sei "das Gebot der Stunde".
Kardinal Christoph Schönborn sieht Spielraum für mehr Frauen in kirchlichen Ämtern, will sich aber in der angebrochenen Debatte über den Diakonat der Frau derzeit noch nicht festlegen. "Unzweifelhaft" stehe für ihn fest, "dass es mehr Frauen in kirchlichen Ämtern braucht und hier bei Weitem die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft sind", sagte Kardinal Schönborn in einem Interview für die "Wiener Zeitung", Ausgabe Samstag, 8. April 2017. Die theologische Diskussion über die Weihe von Diakoninnen in der katholischen Kirche sei ihm aber "nicht reif genug", plädierte der Wiener Erzbischof dafür, die Ergebnisse der vom Papst eingesetzten Kommission zu diesem Thema abzuwarten. Die Tatsache, dass es Diakoninnen gegeben hat und in der Ostkirche bis heute gibt, "muss uns in der lateinischen Kirche zu denken geben", fügte er hinzu.
Wenn etwa heute mehrere Priester bei einer Messe konzelebrierten, könne er den Eindruck einer "Männerriege da vorne" durchaus nachvollziehen. Der "starke Eindruck der Dominanz einer Männerkirche" ist dabei aus Sicht Kardinal Schönborns zum Teil erst durch die "paradoxe" stärkere Fokussierung auf den Priester im Zuge der Liturgiereform nach dem Zweiten Vaticanum entstanden. Mit der heutigen Form der Liturgie sei man "ein bisschen in Gefahr, dass der Priester in die Rolle des Moderators gerät, so wie in den Medienauftritten", gab der Kardinal zu bedenken. Das frühere Empfinden sei anders gewesen, als der Priester vorne als Haupt der Gemeinde gestanden habe und die Gläubigen nicht auf ihn, sondern auf den Altar konzentriert gewesen seien. "Früher war der Priester weniger im Mittelpunkt als heute."
Gleichzeitig betonte Kardinal Schönborn, er wolle "absolut nichts zurückdrehen und idealisiere auch nicht die alte Liturgie", bei der "dringendster Reformbedarf" bestanden habe. Entwicklungen, wie die neue Wahrnehmung von Priestern bei Gottesdiensten, hätten "auch ihre Berechtigungen und gute Seiten", so der Kardinal: "Aber jede Reform hat auch ihre symbolischen Veränderungen, die es zu bedenken gilt."
Thema des großen Interviews war auch die laufende Strukturreform in der Erzdiözese Wien, die unter anderem die Schaffung sogenannter "Pfarren Neu" vorsieht, in denen jeweils mehrere bisher bestehende Pfarrgemeinden zusammengefasst werden. Der Reformprozess sei aufgrund der rückläufigen Katholikenzahl notwendig, sagte Kardinal Schönborn, der sich "mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden und eigentlich überrascht von den guten Ergebnissen" zeigte. Der Erzbischof verwies auf eine bessere Zusammenarbeit in größeren Räumen sowie zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, mehr Rücksicht auf Begabungen Einzelner und ein lebendigeres Gemeindeleben dank "Synergien". Auch auf Seiten der Priester erlebe er es positiv, dass nicht alle als Pfarrer Leitungsfunktionen übernehmen müssten "sondern auch einfach als Seelsorger tätig sein können".
Er verstehe zwar, dass einzelne Gemeinden an ihrer Identität festhalten wollten. Mehr Zusammenarbeit sei aber schlicht "das Gebot der Stunde", sagte der Kardinal. Es bewähre sich, wenn Pfarrgemeinden miteinander einen Weg gingen, sich austauschten und einander gegenseitig bereicherten: "Man kann zum Beispiel die Erstkommunion in einer Gemeinde konzentrieren und nicht in allen vier oder fünf Gemeinden dasselbe Programm durchführen."
Kardinal Schönborn kündigte an, dass den ersten sechs Schenkungen von katholischen Wiener Kirchengebäuden an andere christliche Konfessionen noch weitere folgen würden. "Wir haben eine erheblich wachsende Zahl von anderen christlichen Gemeinden in Wien, und wir sind froh, wenn wir Gebäude, die wir selber nicht mehr erhalten können, nicht als Shoppingcenter oder Nachtclubs hergeben müssen, sondern wenn sie anderen christlichen Kirchen dienen", sagte der Erzbischof.
"Positiv überrascht" äußerte sich der Kardinal darüber, dass es unter den Seelsorgern in seiner Erzdiözese eine "hohe Berufszufriedenheit" gebe, und dass Augenmerk auf die Spiritualität hier ein besonderer Vorteil sei. "Wo Mitarbeiter intensiv in die Spiritualität investieren, sind die Berufszufriedenheit und auch die Teamfähigkeit signifikant hoch", sagte er. Dies sei für ihn "das markanteste Ergebnis" der im Februar präsentierten Seelsorgerbefragung gewesen. Negativ sei ihm hingegen die mediale Thematisierung des Alkoholkonsums bei jedem vierten hauptamtlichen Seelsorger sowie des Übergewichts-Problems in dieser Berufsgruppe aufgefallen: Zwar gebe es in der Erzdiözese auch "gewichtige" Mitarbeiter, deren Anteil weiche aber nicht von jenen der Gesamtbevölkerung ab.
"Der in seinem Pfarrhof einsam lebende Priester ist sicher nicht das Ideal für die Zukunft", kommentierte Kardinal Schönborn ein weiteres Ergebnis der Befragung, wonach ein Viertel der Priester im Zusammenhang mit ihrer Verpflichtung zur Ehelosigkeit von einer "Belastung" sprachen. Weil alleine zu leben belastend sei, sei es ein Anliegen des diözesanen Entwicklungsprozesses, dass Priester künftig "mehr Gemeinschaft untereinander" haben, also mehrere von ihnen an einem Ort zusammen leben. Zugleich sprach sich der Kardinal gegen eine Lockerung des Zölibats aus. "Ein offiziell zölibatäres Leben, das eine Schattenseite hat, ist nicht die ideale Lebensform. So wie eine Ehe mit Seitenpartnerschaften nicht die ideale Lebensform ist", sagte der Erzbischof. Derartige ungeordnete Verhältnisse würden bloß den Betreffenden zur Doppelmoral nötigen sowie auch zum schwerwiegenden Unrecht gegenüber dem versteckten Partner.
Zum ersten Jahrestag der Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens "Amoris laetitia" am Samstag bekräftigte Kardinal Schönborn auch seine Position in der Frage nach dem Sakramentenempfang von wiederverheirateten Geschiedenen. Der Kardinal forderte erneut den genauen Blick auf die Lebenssituation und das Schicksal der Betroffenen. Die Frage nach der Kommunion komme da erst ganz am Schluss, "zuerst geht es darum, wie sie mit ihrer Situation umgehen", sagte Kardinal Schönborn. Besonders gehe es hier etwa um das Verhalten gegenüber den Kindern im Zuge der Trennung oder gegenüber dem übrig gebliebenen Partner.
"In gewissen Situationen" gebe es hier die Hilfe der Sakramente, sagte der Kardinal, "und das ist nicht nur die Kommunion, das ist auch das Sakrament der Buße und der Versöhnung, das meistens vergessen wird". Auch müsse geklärt werden, ob Wiederverheiratete durch die Zulassung zur Kommunion tatsächlich Hilfe für das eigene Leben und dessen Brüche suchten oder bloß "die Bestätigung, das eh alles in Ordnung ist".
Er selbst werde "niemanden von der Kommunionbank wegweisen", erklärte der Wiener Erzbischof. "Ich kann nicht ins Gewissen von Wiederverheirateten schauen und vertraue darauf, dass sie verantwortungsvoll entscheiden." Aber als ihr Seelsorger würde er mit ihnen jedoch das Gespräch suchen - "wie ihre Situation ist, wie sie damit umgehen, was der beste Weg für sie ist".
Deutlich wurde der Kardinal im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" auch beim Thema Freier Sonntag. Hier plakatiert die Wiener ÖVP seit einigen Wochen ihren Landesparteichef Gernot Blümel mit dessen Ruf nach einer Freigabe der Ladenöffnung an Sonntagen. Ihm sei wichtig, dass dieser Tag frei bleibt, entgegnete Kardinal Schönborn. Er halte es für "sehr problematisch, wenn gewisse politische Kreise versuchen, ganz Wien zur Tourismuszone erklären zu lassen, damit alle Geschäfte am Sonntag geöffnet sein können", sagte der Wiener Erzbischof: "Das halte ich für einen Irrweg, und wir werden nach wie vor mit einer breiten Allianz gemeinsam mit Gewerkschaften, Gewerbetreibenden und Teilen der Industrie dafür kämpfen, dass der Sonntag frei bleibt."