Jakob Kirchmayr: Ich war lange auf der Suche nach Medien, die es mir ermöglichen, den Zustand der Welt auszudrücken, ein Abbild der Gegenwart zu schaffen.
Jakob Kirchmayr: Ich war lange auf der Suche nach Medien, die es mir ermöglichen, den Zustand der Welt auszudrücken, ein Abbild der Gegenwart zu schaffen.
Die Fastenzeit stellt sich uns in den Weg, manchmal auch verstörend. Das Fastentuch von Jakob Kirchmayr in der Michaelerkirche ist dafür ein besonders gelungenes Beispiel.
„Die Welt liegt im Argen“ - leise, aber eindringlich erzählt Jakob Kirchmayr die Geschichte des Fastentuches, das er heuer für die Wiener Michaelerkirche gestaltet hat. Die Arbeit mit Stoff, Feuer und Wasser war die erste Erfahrung mit diesen Medien für den gebürtigen Tiroler Maler.
Was ihn dazu bewog, war der Schmerz, den er angesichts der vielfältigen Krisen in der Welt empfand. Das 6 mal 12 Meter große Tuch ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit den Elementen, sondern auch eine groß angelegte Näharbeit. Am Entstehungsprozess waren auch Flüchtlinge beteiligt mit nicht selten erschütternden Lebensgeschichten.
Entstanden ist es unter freiem Himmel, in einem Weingarten südlich von Wien. Feuer, Rauch und Wasser haben das Tuch verfärbt und brüchig gemacht. Bis Ostern wird so die barocke Pracht des Altarraums von unserer Welt mit ihrer Zerbrechlichkeit und Fragwürdigkeit verhüllt. Für Kirchmayr schiebt es sich aber auch über den Eingang zu Wiens großer Einkaufsmeile am Kohlmarkt.
Es ist kein Tuch zum Wohlfühlen, es geht auch nicht um Meditation und fromme Gefühle, sondern es zeigt schonungslos die Nacktheit unserer Welt und der erschütternden Wunden, die in uns und um uns sind. Das kann wütend machen, nachdenklich, ja, und es kann auch wehtun, sich dem auszusetzen. Es ist im besten Sinne Weltfrömmigkeit, was Jakob Kirchmayr hier vorlegt. Wenn sie skandalös ist, dann im Sinne des scandalum crucis - der irritierenden Überzeugung von uns Christen, dass Gott sich dieser widersprüchlichen Welt bis in den Tod hinein er-lösend ausgesetzt hat.
Fastentücher haben eine lange, aber nicht ungebrochene Tradition. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden sie als faszinierende Medien der Zeitunterbrechung auf dem „Weg zum Osterfest“ wiederentdeckt. St. Michael nahe der Hofburg hat eine lange Tradition als Ort der Begegnung zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche. Eine Begegnung, die laut Jakob Kirchmayr derzeit eine Wiederbelebung erfährt.