Die katholische Kirche in China unterstützt die Landbevölkerung. Projektpartnerin ist die Jesuitenmission Österreich.
Die katholische Kirche in China unterstützt die Landbevölkerung. Projektpartnerin ist die Jesuitenmission Österreich.
"Das Wort Gottes zu verkündigen, ist sehr wichtig, aber auch das Evangelium mit Liebe zu bezeugen und die Liebe Christi zu zeigen", sagt ein chinesischer Priester und Sozialpionier, der lieber nicht mit seinem Namen genannt werden möchte, bei seinem Wienbesuch.
Wie kamen Sie zum Glauben? Wie spürten Sie den Ruf Gottes zum Priestertum?
"Father Anonymous": Nach der Kulturrevolution war ich in der ersten Gruppe, die in den frühen 1980er Jahren in das Priesterseminar eintrat. Zu Beginn der Kulturrevolution war ich ein kleiner Junge. Meine Mutter lehrte mich zu beten. Sie erinnerte mich stets daran, nichts den anderen darüber zu erzählen. Ansonsten würde sie verhaftet werden, wie mein Onkel, ein katholischer Priester, der im Gefängnis starb. Sie war sehr vorsichtig, mich zu Hause zu unterrichten. Als die Priester nach der Kulturrevolution aus dem Gefängnis freigelassen wurden und zurückkamen, nahm mich meine Mutter zur Heiligen Messe mit. Ich war sehr beeindruckt von der Liturgie. Allmählich entdeckte ich ein Gefühl des Rufes Gottes, Priester zu werden. Nach fünf, sechs Jahren der theologischen Studien wurde ich zum Priester geweiht. Das Gefühl der Berufung war in diesem Moment sehr stark und ist es immer noch. Letztes Jahr feierte ich mein 25-jähriges Priesterjubiläum.
Sie gelten als Pionier von Sozialarbeitsprojekten. Wie kam das?
"Father Anonymous": In den 1990er Jahren haben uns Freunde, Studenten, Schüler eine sehr scharfe theologische Frage gestellt: "Jesus Christus ist ein Retter, und er ist sehr gut. Wir haben viele Geschichten über ihn gehört und gelesen, aber welche Bedeutung hat Jesus für uns Chinesen? Die Kirche ist eine sehr gute Gemeinschaft, welche Bedeutung hat sie für unsere chinesische Gesellschaft?" Damals dachten wir, wir müssten die Bedürfnisse und Herausforderungen der Gesellschaft verstehen lernen. Mir war klar: Das Wort Gottes zu verkündigen, ist sehr wichtig, aber auch das Evangelium mit Liebe zu bezeugen und die Liebe Christi zu zeigen. Deshalb haben wir in den späten 1990er Jahren mit der sozialen Arbeit begonnen. In China sind die Katholiken eine Minderheit. Wir müssen der Gesellschaft gewährleisten, dass die Kirche keine Gefahr für die Regierung und das Volk darstellt. Die Kirche hilft einfach, wir sind nicht in politische Fragen involviert. Wir sind da, um Priester des Reichs Gottes zu sein und zu lieben.
Wie geschieht das konkret?
"Father Anonymous": Sowohl die "Staatskirche" als auch die "Untergrundkirche" erkennen die Bedeutung der sozialen Arbeit an und beteiligen sich dabei. Es gibt 20 Sozialdienstleistungszentren und mehrere Stiftungen, die in den letzten 20 Jahren gegründet wurden. Es gibt 100 Heime für ältere Menschen und 200 Krankenhäuser. Wir kümmern uns um Waisen, Leprakranke und Obdachlose.
Chinas Wirtschaft wächst rasant. Wird die Kluft zwischen Reich und Arm immer größer?
"Father Anonymous": Dies ist ein ernstes soziales Problem. Wenn Sie Peking oder Shanghai besuchen, sehen Sie nur einen Teil von China, nicht das ganze. Im ländlichen Raum gibt es eine Menge von Nöten. Menschen brauchen Hilfe. Wir wollen die Menschen in den Städten dazu bewegen, den Armen in den ländlichen Gebieten oder den Migranten in der Stadt zu helfen. Die Wirtschaft entwickelt sich gut, ist aber nicht fair. Als katholische Kirche erhalten wir sehr begrenzt Spenden von der chinesischen Gesellschaft. Es ist notwendig, dass die europäische Kirche und die Weltkirche weiterhin unsere Kirche unterstützen. Es ist Zeit zu helfen, dass die Kirche in China sich entwickeln kann. Wenn das geschieht, hilft es anderen in der Zukunft.
Ist die Normalisierung zwischen Rom und Peking der einzige Weg, um die ganze katholische Kirche in China zu heilen?
"Father Anonymous": Sie ist ein Schlüssel. Ohne Normalisierung kann sich die Kirche von China nicht entwickeln. Sie bringt ein neues Bild von China und hilft der Regierung, an der internationalen Gemeinschaft teilzuhaben. Aber für die Versöhnung zwischen den beiden Gruppen "Staatskirche" und "Untergrundkirche" ist gegenseitiges Verzeihen und Verstehen essenziell. Außerhalb von China sollte die Kirche in Europa und der Welt versuchen, uns zu verstehen, und nicht ständig die Unterscheidung zwischen den zwei Gruppen treffen, dies hilft wirklich nicht weiter. Ich habe eine gute Beziehung mit der Untergrundkirche und der Regierung. Ich unternehme den Versuch, zwischen den Seiten zu vermitteln. Wir treffen einander und diskutieren. Im Dialog werden wir eine Lösung finden.
Gibt es wirklich Religionsfreiheit in China?
"Father Anonymous": Sicherlich, ansonsten könnte ich meine Arbeit nicht machen. Fünf Religionen sind offiziell von der Regierung anerkannt, deren Entwicklung hat sich verbessert. In Wirklichkeit ist die Religionsfreiheit vielleicht anders als in Europa oder in vielen anderen Ländern in der Welt. Wir Chinesen praktizieren eine besondere Situation, das ist wahr. Aber wir sind glücklich und zufrieden mit unserer Religionsfreiheit, denn im Vergleich mit der Vergangenheit können wir eine Menge an Freiheit genießen. Die Kirche wurde in der Kulturrevolution zerstört. Als ich ein kleiner Junge war, gab es keine öffentliches Liturgieleben, aber jetzt haben wir es. Im Seminar hatten wir kein Bild des Heiligen Vaters und konnten nicht öffentlich für ihn beten. Wir erleben Verbesserungen und wollen gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft gehen. Dies ist unsere Zukunft.
Wie sieht die Entwicklung der Zahl der Katholiken in Ihrem Land aus?
"Father Anonymous": Wir wachsen sehr langsam. Konservative Untersuchungen sagen, dass es sechs Millionen Katholiken in China gibt. Acht Millionen ist vielleicht die wahre Zahl. In der gleichen politischen und gesellschaftlichen Situation hat sich die evangelische Kirche zu 30 Millionen oder, wie einige sagen, 50 Millionen Mitgliedern entwickelt. Wir müssen darüber nachdenken, warum die Mitglieder der katholischen Kirche sehr begrenzt sind, und uns vermehrt auf die Evangelisierung konzentrieren.
Die Gründung der Patriotischen Union in den tief kommunistischen Zeiten in China hat so etwas wie eine patriotische Kirche entstehen lassen und die sogenannte Untergrundkirche – Priester und Bischöfe, die mit ihren Gemeinden in den Untergrund gegangen sind. Lange Zeit war die Aufmerksamkeit ganz darauf gerichtet, dass diese "bekennende Kirche" die wahre katholische Kirche in China ist.
In den 1980er Jahren gab es eine Öffnung. Es kam auch mehr und mehr zum Dialog zwischen Vatikan und chinesischer Regierung. Es ging um die vielen Schwierigkeiten u.a. wie weit kann der Staat Einfluss nehmen in die Bestellung der Bischöfe, gibt es eine Bischofskonferenz usw. Untergrundbischöfe und Bischöfe, die von der Patriotischen Union anerkannt werden, trafen aufeinander.
Über die Jahrzehnte hat sich eine Kooperation mit sehr vielen Hindernissen herausgebildet. Die Frage ist immer, wie sehr lässt sich die Kirche auf den Einfluss des Staates ein. Zudem kommt es zwischen der ehemaligen Untergrundkirche und der patriotischen Kirche zu Spannungen und Vorwürfen: Kollaboration ist natürlich der heftigste.
So wie es sich jetzt abzeichnet, gibt es sicher noch einige Bischöfe, die im Untergrund sind, und auch Christen, die sich als Untergrund-Christen verstehen und keine Kooperation mit der eher kapitalistischen und autoritären als kommunistischen Regierung haben.
Bischöfe werden in Kooperation mit dem Vatikan bestellt: Die Diözese erwählt einen Mann, er soll der Patriotischen Union vorgelegt werden. In Wirklichkeit wird er Rom vorgelegt, und wenn er die Anerkennung bekommt, dann wird er im Einvernehmen mit dem Staat zum Bischof der Diözese ernannt und geweiht. Es kommt da natürlich auch immer wieder zu Reibereien und Schwierigkeiten – siehe die Bischofsbestellung in Shanghai.
Ich glaube, es gibt in China keine zehn Bischöfe, die nicht von beiden Seiten, Rom und der Regierung, gleichzeitig anerkannt sind. Es gibt ein Problem bei den Nachbesetzungen der Bischofssitze. Der Staat nimmt viel zu viel Einfluss und versucht auch die Bischöfe zu maßregeln (das erinnert an die Monarchien in Europa!). Grundsätzlich aber gibt es einen Versöhnungsprozess zwischen den beiden Gruppen in der katholischen Kirche in China.
P. Hans Tschiggerl SJ, Missionsprokurator der Österreichischen Jesuitenprovinz
Weitere Informationen zu Der SONNTAG - die Zeitung der Erzdiözese Wien