Mathematikprofessor Rudolf Taschner versucht immer wieder unterhaltsam die ernsten Dingen der Mathematik zu erklären unter dem Motto "Nur mit Humor den Dingen nahe kommen".
Mathematikprofessor Rudolf Taschner versucht immer wieder unterhaltsam die ernsten Dingen der Mathematik zu erklären unter dem Motto "Nur mit Humor den Dingen nahe kommen".
Rudolf Taschner lehrt Mathematik an der Technischen Universität Wien. Wie bei seinem Lieblingsphilosophen und berühmten Mathematikerkollegen Blaise Pascal lässt ihn die Frage nach Gott nicht ganz los, auch wenn er keine persönliche Gottesbegegnung erfahren hat. Ein Interview im "SONNTAG".
Am Freitag, 3. Februar, erhalten die Schülerinnen und die Schüler in Wien und Niederösterreich die sogenannte Schulnachricht, die fälschlicherweise auch als Halbjahres- oder Semesterzeugnis bezeichnet wird. Spätestens dann wird ihnen bewusst, wo sie momentan im Fach Mathematik stehen. Viele Kinder und Jugendliche haben mit dem Schulfach Probleme, wie eine Studie der Arbeiterkammer zum Thema Nachhilfe im vergangenen Jahr gezeigt hat: Zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler mit Nachhilfe bekommen diese in Mathematik.
Rudolf Taschner, heute Mathematikprofessor an der Technischen Universität Wien, unterrichtete viele Jahre Mathematik an der Theresianischen Akademie (Theresianum, Wien 4), die er selbst absolvierte. „Das Wichtigste beim Lehrerdasein ist, dass man die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes ernst nehmen muss“, sagt Taschner. "Das gelingt wirklich nicht immer, die Kinder können manchmal sehr herausfordernd sein. Bei manchen ist es mir sicherlich nicht gelungen. Ich muss mich heutzutage noch bei ihnen entschuldigen, dass ich versagt habe."
Irgendwie haben wir den Eindruck, dass Sie nicht gerne ein "Nicht genügend" gegeben haben.
Rudolf Taschner: Jedes "Nicht genügend“ ist für mich selbst eine Schande. Ich habe es nicht zusammengebracht, es so zu erklären, dass keine schlechte Note entsteht. Ich bereue heute noch, dass ich doch „Nicht genügend“ geben musste. Das ist der Trick in der Mathematik. Es gibt einen Unterschied zwischen Mathematiker und Mathematiklehrer. Der Mathematiklehrer bestraft Fehler, der Mathematiker beherrscht Fehler. Fehler sind unglaublich wichtig. Wir müssen lernen, sie zu beherrschen. Das kann man in der Mathematik so gut üben, weil man immer so viele Fehler macht und dabei lernt, seine Fehler irgendwie einzuschätzen. Deshalb ist Mathematik wirklich auch ein persönlichkeitsbildendes Fach. Es ist schlimm, wenn man als Lehrer im Mathematikunterricht aufhört, wenn ein Kind einen Fehler macht, und sagt: "Du bekommst jetzt einen Fünfer." Das ist falsch. Ich muss gerade erst dann beginnen und sagen: "Jetzt machen wir uns über den Fehler Gedanken."
Auch viele Erwachsene erinnern sich an die Mathematik als verhasstes Fach. Warum ist das so?
Rudolf Taschner: Schade eigentlich. Der französische Mathematiker Blaise Pascal hat gesagt, man muss Mathematik unterhaltsam unterrichten, weil es so etwas Ernstes ist, dass man eigentlich nur mit Unterhaltung und mit einem gewissen Humor diesen Dingen nahe kommen kann. Das habe ich in meinem Unterricht schon immer wieder versucht. Auch in meinen Vorlesungen.
Sie bezeichnen sich in Ihrem neuesten Buch "Woran glauben" als frommen Agnostiker. Wie ist das zu verstehen?
Rudolf Taschner: Agnostiker sind Leute, die nicht wissen. Ich weiß von Gott gar nichts, vielleicht habe ich eine Ahnung. Mir ist bekannt, dass andere Menschen Gottesbegegnungen hatten. Mein Haus- und Lebensphilosoph Blaise Pascal hatte in den Novembertagen 1654 eine wirkliche Gottesbegegnung. Er hat es genau auf einen Zettel aufgeschrieben, was ihm alles widerfahren ist. Zweimal hat er notiert: "Gewissheit!" Ein Zeichen, dass er vorher eher ein Skeptiker war. Aber plötzlich spürte er Freude und Frieden. Es gibt aber auf der anderen Seite das Empfinden, dass Gott so unglaublich weit fern ist, dass man eigentlich überhaupt keinen Bezug hat. Wenn das Leid unglaublich groß ist, die Mutter sieht, dass das Kind stirbt. Wo bist du, Gott? Man weiß die Antwort nicht. In dieser Weise bin ich Agnostiker.
Ich persönlich bin nicht wie Pascal, ich hatte diese Gottesbegegnung nicht. Ich würde, wenn ich sie hätte, eigentlich sagen: Wenn sie vorbei ist, ist sie vorbei. Und war es wirklich wahr? Ich bezeichne mich selbst als fromm, weil ich bete. Ich spreche kein Bittgebet, ich erwarte mir von Gott nichts. Ich habe einfach das Bedürfnis eines Lobpreisgebets zu einem Gott, den ich nicht kenne.
Ist Religion eine reine Glaubenssache, unberührt von aller Vernunft?
Rudolf Taschner: Von Vernunft überhaupt nicht unberührt. Von Wissen ist sie natürlich nicht berührt, weil wenn ich etwas weiß, dann brauche ich es nicht zu glauben. Das meiste Wissen ist sogenanntes Implikationswissen, denn aus gewissen Voraussetzungen ergeben sich gewisse Folgerungen. Man muss wirklich fragen: Was sind die Grundvoraussetzungen, wo fange ich an, wo sind die Axiome wirklich gefestigt, was ist wahrhaft evident? Man kommt dann darauf: Eigentlich ist sehr viel auf Glauben beruhend. Deshalb ist der Glaube viel wertvoller als das Wissen. Ohne ihn wird es kaum irgendein Wissen geben.
Bedarf der Glaube nicht der Religion?
Rudolf Taschner: Man kann auch diesseitig glauben. Manche Menschen glauben an die Zukunft. Andere glauben an den Genuss, das Lustprinzip ist durchaus legitim. Ich weiß nicht, ob es wirklich hält, aber es ist ein Glaube. Es muss kein Glaube an Gott sein. Viele glauben an die Natur. Alles ist in einem schön geordneten Kosmos eingebunden. In diesen werden sie wieder hineinwachsen, wenn sie gestorben sind. Ich habe meine Skepsis. Wenn man nur an die Natur glaubte, würde es schwer sein, eine Moral zu finden. Wo ist die Moral, die mir die Natur mitteilt? Die sehe ich nicht.
Ist Gott ein Mathematiker, wie es Gottfried Wilhelm Leibniz und Carl Friedrich Gauß formulierten?
Rudolf Taschner: Das weiß ich nicht. Das Unendliche, mit dem sich die Mathematik beschäftigt, ist natürlich ein Grenzbegriff. Das führt schon irgendwie in diese Richtung. Die Jakobsleiter (Genesis 28,11) stellt wie in der Mathematik das Prinzip der vollständigen Induktion dar. Wenn du eine Leiter hast und bringst es zustande, auf die erste Sprosse zu steigen, und du weißt, dass du von jeder Sprosse auf die nächste kommst, dann gelangst du, so weit du möchtest. Auf der Jakobsleiter steigen die Engel rauf und runter. Diese sind die ersten Mathematiker gewesen, weil sie die vollständige Induktion erkannt haben. Was ist dann oben? Was bedeutet oben? Die Künstler haben noch eine Wolke und einen Himmelsvater gezeichnet, aber das ist eine Verhöhnung dessen, dass man sich kein Bildnis machen darf. Die Leiter geht einfach nach oben. Aber was oben ist, wie gesagt, das weiß ich nicht. Aber das Unendliche ist zum Beispiel schon ein kleines Türchen, wo man sagen kann: "Ich berühre einen Saum von etwas, von dem ich sonst nichts verstehe."
Der Wiener Mathematiker Kurt Gödel hat einen mathematischen Beweis für die Existenz Gottes erbracht. Was heißt: Ein göttliches Wesen existiert? Und was bringt so ein Beweis für den Glauben?
Rudolf Taschner: Warum müssen wir Gott beweisen? Ein Gott, von dem man weiß, dass er existiert, davon habe ich gar nichts. Das Wissen ist nicht so wirklich das Interessante, das Glauben ist es. Ein Gott, an den man glaubt, ist ein interessanter Gott. Diese ganzen Gottesbeweise sind ein Zeichen dafür, dass diese Menschen den Glauben fast verloren haben. Sie sehen Gott als beweiswürdig an. Gott ist mehr als beweiswürdig, sonst wäre er uninteressant. Für Gödel stellt sich außerdem die tiefe Frage, was bedeutet: „Es existiert!“ Er gibt dafür eine ganz einfache Antwort: "All das existiert, was widerspruchsfrei in ein System eingebaut werden kann. Sobald es widerspruchsfrei ist, ist dieses auch existent." Das ist ein rein formaler, mathematischer Existenzbegriff. Gödel hat auch gesagt, es existieren Gespenster. Denn sie waren in seinem System einbaubar.
Rudolf Taschner wurde am 30. März 1953 in Ternitz geboren. Er studierte an der Universität Wien Mathematik und Physik, promovierte 1976 und lehrt seit 1977 an der Technischen Universität Wien. Bekannt wurde Rudolf Taschner durch seine Bücher und durch seine allgemeinverständlichen Vorträge, insbesondere im "math.space" im Wiener Museumsquartier.
Rudolf Taschner
Woran glauben
10 Angebote für aufgeklärte Menschen
2016, Verlag Brandstätter
ISBN: 978-3-7106-0063-0
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen