Santa Anastasia am Palatin: Von frühchristlichen Märtyrern über byzantinische und mittelalterliche Umbauten bis zur heutigen Nutzung durch die syro-malabarische Kirche spiegelt sie den Wandel der Jahrhunderte – ein lebendiges Zeugnis christlicher Einheit im Herzen Roms.
Am Fuße des Palatin, unweit des Forum Romanum und des Circus Maximus, erhebt sich die Basilika Santa Anastasia, ein Ort, an dem sich Antike und Christentum, Ost und West begegnen. Einst feierte der Papst hier in der Morgendämmerung des Weihnachtstages die zweite Weihnachtsmesse, nachdem er von der Christmette in Santa Maria Maggiore gekommen war. Die Basilika ist zudem die Stationskirche des Dienstags der ersten Fastenwoche, Zeichen ihrer jahrhundertealten liturgischen Bedeutung.
Die Kirche trägt den Namen der Heiligen Anastasia von Sirmium, einer frühchristlichen Märtyrerin aus einer der wichtigsten Städte des spätantiken Römischen Reiches. Sirmium, das heutige Sremska Mitrovica in Serbien, war im 3. und 4. Jahrhundert ein kaiserlicher Regierungssitz und ein bedeutendes Zentrum der frühen Kirche.
Anastasia, eine Frau aus vornehmer römischer Familie, widmete ihr Leben der Unterstützung verfolgter Christen. Als ihr geistlicher Lehrer, der Heilige Chrysogonus, hingerichtet wurde, folgte sie seinem Beispiel. Sie wurde verhaftet, auf einem leckgeschlagenen Boot ausgesetzt – doch als es nicht sank, brachte man sie in Sirmium auf den Scheiterhaufen.
Ihr Gedenktag, der 25. Dezember, fiel mit der frühen Weihnachtsfeier zusammen und verlieh ihr daher die besondere Stellung in der Liturgie des hohen Festtages. Bis heute wird sie sowohl in der katholischen als auch in der orthodoxen Kirche verehrt. Die Westkirche bewahrt ihre Reliquien in Rom und Zadar, während die Ostkirche sie als Pharmakolytria („Befreierin durch Arznei“) verehrt und sie als Schutzpatronin gegen Krankheiten anruft.
Die Ursprünge von Santa Anastasia reichen tief in die Zeit der ersten christlichen Gemeinden Roms zurück. Sie entstand wohl im 4. Jahrhundert, als das Christentum unter Kaiser Konstantin dem Großen langsam seinen Platz in der Stadt fand. Die Nähe zur Höhle des Lupercal, in der Romulus und Remus gesäugt worden sein sollen, deutet darauf hin, dass ihr Bau auch als bewusster Kontrast zur heidnischen Vergangenheit gedacht war.
Der erste Kirchenbau war vermutlich eine schlichte, einschiffige Saalkirche, die sich auf den Fundamenten eines älteren römischen Gebäudes erhob. Möglicherweise handelte es sich dabei um eine Insula, ein mehrstöckiges Wohnhaus mit Läden und Lagerräumen, deren Strukturen noch heute unter der Kirche nachweisbar sind.
Im Laufe des 5. Jahrhunderts erweiterte man die Kirche erheblich. Die ursprüngliche Saalkirche wurde zu einer dreischiffigen Basilika mit einer halbrunden Apsis ausgebaut. Papst Damasus I. (366–384) ließ das Innere mit Fresken schmücken, die später durch ein Mosaik ersetzt wurden. Auch ein Baptisterium wurde hinzugefügt, von dem heute allerdings keine Spuren mehr erhalten sind. Unter Papst Leo III. (795–816), einem der großen Förderer der karolingischen Bautätigkeit in Rom, wurde Santa Anastasia erneut umgestaltet. Sie erhielt eine neue Portikus am Eingang sowie ein nicht vorstehendes Querhaus. Zudem wurden ionische Marmorsäulen als Trennung zwischen den Kirchenschiffen aufgestellt, Spolien aus älteren römischen Bauten. Die Basilika war nun ein großzügiger, monumentaler Bau mit klaren Strukturen und einer Flachdecke über dem Mittelschiff.
Im Mittelalter blieb Santa Anastasia eine der wichtigen Kirchen Roms, erfuhr jedoch einige Umgestaltungen. Papst Innozenz III. ließ im 12. Jahrhundert zwei Ambonen errichten, von denen heute jedoch keine Spuren mehr sichtbar sind. Zum Heiligen Jahr 1475 ordnete Papst Sixtus IV. eine umfassende Renovierung an. In dieser Phase erhielt die Basilika gotische Elemente, darunter Spitzbogenfenster, die das Innere mit mehr Licht durchfluteten. Auch die Außenmauern wurden verstärkt, da die Kirche durch Erdbeben und Verfall beschädigt worden war.
Die tiefgreifendste Umgestaltung erlebte die Basilika im 17. und 18. Jahrhundert. Die mittelalterliche Struktur wurde weitgehend überformt, um der Kirche eine prächtige barocke Erscheinung zu verleihen. Zunächst ließ Papst Urban VIII. um 1640 die Fassade erneuern, möglicherweise nach Plänen von Gian Lorenzo Bernini oder seinem Schüler Luigi Arrigucci. Das schlichte, aber elegante Design wird von zwei kleinen Glockentürmen flankiert – eine in Rom seltene Gestaltung. 1721 begann der maltesische Architekt Carlo Gimacchi mit der völligen Neugestaltung des Innenraums. Die alten antiken Säulen wurden durch kräftigere barocke Pfeiler ersetzt, die Struktur wurde symmetrischer und großzügiger gestaltet. Die Kassettendecke erhielt im 19. Jahrhundert Malereien, die das Martyrium der Heiligen Anastasia darstellen.
Zu den künstlerischen Höhepunkten dieser Epoche gehört die Marmorfigur der Heiligen Anastasia unter dem Hochaltar, ein Werk von Ercole Ferrata, sowie das Deckenfresko von Michelangelo Cerruti, das den Triumph der Märtyrerin zeigt.
Santa Anastasia liegt in unmittelbarer Nähe weiterer bedeutender Kirchen:
San Giorgio in Velabro: Diese schlichte, romanische Kirche ist dem Heiligen Georg geweiht und bewahrt mittelalterliche Fresken und Santa Maria in Cosmedin: Bekannt für die „Bocca della Verità“, ist sie heuete Sitz der griechisch katholischen Kirche des melkitischen Patriarchats von Antiochia in Rom.
Santa Anastasia heute – Ein Zentrum der syro-malabarischen Kirche
Im Jahr 2020 erhielt die Basilika eine neue liturgische Funktion: Papst Franziskus übertrug sie der syro-malabarischen Kirche, der zweitgrößten katholischen Ostkirche. Diese Kirche, die ihre Wurzeln in Indien hat, folgt dem ostsyrischen Ritus, gehört aber zur römisch-katholischen Kirche. Heute ist Santa Anastasia das spirituelle Zentrum der syro-malabarischen Gemeinde in Rom.