"Die Bibel wird uns natürlich manchmal den Spiegel kritischer vorhalten", sagt Theologieprofessor Michael Rosenberger.
"Die Bibel wird uns natürlich manchmal den Spiegel kritischer vorhalten", sagt Theologieprofessor Michael Rosenberger.
Aus der Sicht des Moraltheologen Michael Rosenberger bietet Religion und Spiritualität einige Ansatzpunkte für einen nachhaltigeren Lebensstil. Ein Interview im "Sonntag" zu Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit.
Wie ist das Leitbild der Nachhaltigkeit aus der Sicht christlicher Spiritualität zu beurteilen?
Michael Rosenberger: Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre im Rahmen eines Entwicklungsprozesses der Vereinten Nationen entstanden. Eine Komponente ist die Generationengerechtigkeit: Künftige Generationen sollen ihre Grundbedürfnisse genauso gut befriedigen können wie die jetzt lebende Generation. Zweitens: Nachhaltigkeit beruht auf drei Säulen: Ökonomie, Soziales und Ökologie. Wenn die Menschen eine Wirtschaft entwickeln, die mehr Geld ausgibt, als sie eigentlich zur Verfügung hat, dann wird sie irgendwann zu Grunde gehen. Ebenso spielt das Zwischenmenschliche eine große Rolle. Zudem kommt die Ökologie als dritte Säule. Wir leben von Ressourcen, die wir in der Natur vorfinden, und wenn wir jetzt Wirtschaft so gestalten würden, dass sie diese Ressourcenbasis zerstört, dann kann eine nachhaltige Wirtschaft nicht entstehen. Es gibt einige Parallelen zur christlichen Spiritualität. Bereits in den ersten Kapiteln der Bibel gibt es den Gedanken der Generationengerechtigkeit: Der Bund, den Gott Noach anbietet (Gen 9,1-17), umfasst Generationen, die noch sehr weit weg liegen. Er wird nicht nur mit Noach und seinen menschlichen Nachkommen geschlossen, sondern – hier kommt die Ökologie ins Spiel – es werden auch die Tiere mit einbezogen. Mensch und Tier sitzen in einem Boot, so ist es in der Geschichte von der Sintflut im Bild der Arche schon angedeutet.
Welche Sonderstellung hat der Mensch? Ist er die Krone der Schöpfung?
Michael Rosenberger: Diese alte Interpretation vom Menschen als Krone der Schöpfung war eigentlich eine Fehlinterpretation. Wir haben sie in den letzten Jahrzehnten aufgegeben, weil wir gemerkt haben, dass das eine Sackgasse ist. Denn der Mensch wird nicht am siebten Schöpfungstag erschaffen, sondern am sechsten. Mit den Landtieren ist er Teil dieses sechsten Schöpfungstages, des vorletzten Tages, und soll wie die Tiere fruchtbar zu sein und sich vermehren. Der Mensch erhält wie die Tiere die grünen Pflanzen als Nahrung angeboten. Aber er bekommt als Ebenbild Gottes auch den Auftrag, so mit der Schöpfung umzugehen wie Gott mit der Schöpfung umgeht. Die Schöpfung ist eine Leihgabe und der Mensch nicht der Besitzer, sondern nur der, der diese Leihgabe zu treuen Händen empfängt, aber sie irgendwann auch wieder an seinen Schöpfer zurückgeben muss. Wenn wir den biblischen Erzählungen des ersten Kapitels folgen, dann können wir sagen, die Krone der Schöpfung ist der Schabbat, also der Ruhetag. Sowohl der Mensch als auch die Tiere dürfen durchschnaufen und genießen, dass es ihnen gut geht. Sie haben einfach das Recht und die Möglichkeit, da zu sein und sich an ihrem Leben zu erfreuen.
Welche Grundhaltungen sind für einen neuen Lebensstil im Sinne der Nachhaltigkeit notwendig?
Michael Rosenberger: Für mich ist die allererste Grundhaltung die Dankbarkeit. Denn Schöpfung heißt, dass mir diese Erde anvertraut ist und dass es jemanden gibt, der sie mir schenkt. Wenn ich es wirklich als Geschenk verstehe, dann ist klar, dass ich diese Dankbarkeit auch gegenüber dem, der sie mir gibt, habe. Als zweite kommt unmittelbar die Ehrfurcht dazu. Wenn mir etwas geschenkt ist, was so zerbrechlich ist wie diese Welt, dann gilt es natürlich, ganz vorsichtig und behutsam mit diesem zerbrechlichen Geschenk umzugehen. Jedes Geschöpf ist letztlich mit derselben Zerbrechlichkeit fehlerbehaftet. Wir zerbrechen alle am Ende des Lebens, wenn wir sterben. Das führt mich schon zur dritten Grundhaltung, die Demut. Im Lateinischen heißt sie "humilitas" und das kommt wiederum von "humus". Ich weiß, ich komme vom Erdboden, am Ende meines Lebens kehre ich zur Erde zurück, in meinem Tod. In der Zeit zwischen Geburt und Tod ernähre ich mich von den Gaben der Erde, d.h. ich bin ein zutiefst irdischer Mensch. Das drückt sich im Lateinischen dann im Wort "homo" aus, das ebenfalls von "humus" kommt. Der Mensch als Erdling weiß, dass er nicht über den Dingen schwebt, sondern Teil der Schöpfung ist. Als solcher muss er bescheiden sein und in Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung leben.
Wie sieht es mit Verzicht aus?
Michael Rosenberger: Die Maßhaltung ist eine weitere Tugend, d.h. mich selber zurückzunehmen, dass auch die anderen Lebewesen Raum und Ressourcen haben, dass sie auch ihr Leben leben können. Dazu braucht es eine gewisse Beschränkung. Ich kann mir nicht alles selber aneignen, sondern ich muss bereit sein, mit anderen zu teilen. Die Genussfähigkeit – vermutet man vielleicht nicht als schöpfungsethische Tugend – ist eine sehr anspruchsvolle Sache. Denn sie fordert von uns ganz intensiv die Ereignisse, aber auch die materiellen Güter unseres Lebens wahrzunehmen und auszukosten. Es geht nicht darum, dass wir in der Schöpfungsspiritualität sagen: "Du musst verzichten, du musst weniger ..., du darfst das oder jenes nicht." Sondern: "Wenn du weniger Ressourcen verbrauchst, aber sie mehr genießt, dann hast du unter Umständen ein viel reicheres Leben als jener, der jeden Tag konsumiert.2
Kann der Mensch ohne Spiritualität überhaupt fähig und bereit sein, nachhaltig zu leben?
Michael Rosenberger: Grundsätzlich kann ein auch Atheist, der jetzt sagt, ich habe keine Spiritualität, weder eine christliche noch eine sonstige, nachhaltig leben. Ich denke aber, dass uns Christen, wenn wir eine Schöpfungsspiritualität entwickeln und auch praktizieren, die Möglichkeit gegeben ist, eine intensive Motivation zu einem solchen Leben zu haben. Indem wir tatsächlich um diese Gabe Gottes wissen und sie als Geschenk empfinden, können wir natürlich leichter sorgsam mit der Schöpfung umgehen. Die Bibel wird uns natürlich manchmal den Spiegel kritischer vorhalten. Also wir haben ständig dieses stärkere kritische Korrektiv, an dem wir uns messen lassen müssen und das den Anspruch sehr hoch legt, wenn man die Bibel aufmerksam liest. Wir haben vielleicht manches Mal noch diesen etwas weiteren Horizont, dass es bei der Nachhaltigkeit eben nicht nur darum geht, künftigen Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Das ist ein wichtiges Element. Aber wir wollen ein gutes Miteinander des Menschen und der nichtmenschlichen Schöpfung anzielen. Die große Vielfalt von Tieren und Pflanzen soll genauso gut leben können wie der Mensch.
Was heißt Religionen sind Lebensstilspezialisten?
Michael Rosenberger: Religionen empfehlen immer konkrete Modelle eines Lebensstils und haben einen sehr starken Gemeinschaftsbezug. Sie bringen die Menschen gleichen Glaubens zusammen, zum Gottesdienst, aber auch zum weltlichen Zusammenleben. In dieser Gemeinschaft werden bestimmte Lebensstile von einzelnen Personen in besonderer Dichte und Klarheit vorgelebt. Das haben wir, glaube ich, in allen Religionen. Deswegen sind im christlichen Bereich die Heiligen solche Vorbilder eines bestimmten Lebensstils. Da gibt es natürlich durchaus auch Heilige, die eben ein Vorbild für Schöpfungsnähe und Schöpfungsspiritualität sind. Man denkt wahrscheinlich unmittelbar an Franz von Assisi. Ihn würde ich durchaus als einen der ganz zentralen Heiligen in diesem Bereich halten. Aber man sollte nicht unterschätzen, dass auch manche andere wie etwa Benedikt von Nursia hier eine große Rolle spielt, der auf eine ganz andere Weise den Menschen die Nähe zur Schöpfung beigebracht hat, in einem Leben im mönchischen Kloster, wo man eben auch versucht hat, ganz im Einklang mit der Schöpfung zu leben.
Das vollständige Interview auf Radio Stephansdom:
Spirituelle Quellen nachhaltiger Lebensstile.
Religion und Spiritualität können zu einem nachhaltigeren Lebensstil beitragen. Das meint Michael Rosenberger, Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Er schlägt vor, das Leben nach bestimmten Tugenden oder Grundhaltungen auszurichten.
Mittwoch, 25. Februar 2015, 19.00-19.25 Uhr.
Eine Sendung von Monika Fischer und Markus Langer.
Podcast zum Nachhören und Herunterladen
Michael Rosenberger Im Zeichen des Lebensbaums
Ein theologisches Lexikon der christlichen Schöpfungsspiritualität |
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Wöchentliche Kolumne von Chefredakteur Michael Prüller im "Sonntag"
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