Gehen wir diesen Weg im Bewusstsein, dass wir gemeinsam ein priesterliches Volk sind, Träger eines gemeinsamen Priestertums.
Gehen wir diesen Weg im Bewusstsein, dass wir gemeinsam ein priesterliches Volk sind, Träger eines gemeinsamen Priestertums.
Kardinal Christoph Schönborn ist seit 20 Jahren Erzbischof von Wien. Im SONNTAG zieht er Bilanz und blickt nach vorn.
Vor einigen Jahren habe ich die Pfarre Pachfurth visitiert. Der mittlerweile – viel zu früh – verstorbene Pfarrer Heinrich Galgan hatte sich etwas Besonderes ausgedacht:
Er hatte den Motorradklub gebeten, mich am Ortsanfang abzuholen und mit ihren schweren Maschinen zur Kirche zu begleiten. „Nach der Messe gibt’s dann für jeden einen Segen“, sagte der Pfarrer den Bikern. So harrten sie geduldig aus, bis ich wieder aus der Kirche kam und freuten sich wie Kinder über den Segen. In die Messe aber hatten sie doch nicht mitgehen wollen.
Als ich diese Geschichte einmal in einem Kreis von Mitarbeitern bei der Stadtmission erzählte, sagte ich dazu: „Die Motorradfahrer waren leider der Kirche fern.“ Aber eine aus der Runde widersprach mir: „Nein, Herr Kardinal, Sie müssen das anders sehen: Die sind der Kirche schon ganz nahe!“
Dieser Satz hat mich gepackt. Er hat meinen Blickwinkel verändert und damit wohl auch den Weg, den wir heute gehen.
Vor 20 Jahren, da lag das alles noch gar nicht so klar vor uns. Aber wenn ich in diesen Jahren eines immer gespürt habe, dann das: dass der Herr uns wirklich in seine Schule nimmt und dass er der beste, geduldigste und weiseste Pädagoge ist. Und dass sich die Lernerfahrungen, die uns der Herr machen lässt, oft ganz unverhofft einstellen.
So auch diese Erkenntnis: Wie nahe die Menschen der Kirche schon sind, wie nahe sie mit ihren Hoffnungen und Sorgen, ihren Freuden und ihren Ängsten dem Erlöser sind, den wir bezeugen.
Und dass wir uns die Frage stellen müssen, die am vergangenen Freitag auch einer der 280 Teilnehmer am diözesanen „Tag der Räte“ gestellt hat: Wer steht eigentlich wem fern? Sind nicht auch wir den anderen fern, fremd geworden?
Müssten wir nicht viel mehr tun, um uns aufzumachen zu denen, die uns doch schon so nahe sind?
Gastfreundliche weil missionarische Kirche In der Schule des Meisters, in der wir seine Jünger, seine Lehrlinge sind, hat sich der Weg der Erzdiözese Wien in einer Weise geformt, wie sie vor 20 Jahren noch nicht absehbar war, als ich unter dramatischen Umständen meinen Dienst als Erzbischof begann.
Ja selbst noch nach der 3. Diözesanversammlung im Jahr 2010 war spürbar, dass Mission und Jüngerschaft, die ich als Schlüsselbegriffe unseres Weges genannt hatte, noch verstörten, verunsicherten. Nun sind sie aber in der Mitte unseres Denkens angekommen.
Dass wir uns nun am „Tag der Räte“ intensiv und einmütig über Mission und Jüngerschaft austauschen konnten, unsere Mission gemeinsam in den Blick nehmen konnten, das war das schönste Geschenk zu meinem Bischofsjubiläum und für mich eine echte Ermutigung.
Die Kirche Wiens hat am Anfang meiner Amtszeit so viel Leid, Enttäuschung, Prüfungen, Spannungen, Entfremdung erlebt.
Aber aus dieser Erfahrung heraus haben wir einen neuen Blick auf die Menschen „da draußen“ gewonnen. Auf die hungrige Menschenmenge, wie es der Papst ausgedrückt hat, die auf uns wartet, während Jesus uns pausenlos sagt: „Gebt ihr ihnen zu essen!“
Jesu Jünger zu werden ist ein Weg, der nie aufhört.
Und doch mutet uns Christus jetzt schon zu, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen. Wir sind selbst noch mit der Lehre nicht fertig und sollen schon Lehrer sein!
Das geht nur, wenn wir uns als Gäste in die Welt der anderen einladen lassen und wenn wir selber gastfreundlich sind. Eine missionarische Kirche ist eine gastfreundliche Kirche.
Im Gast nehmen wir Christus auf – und für den Gast wird die Liebe Christi erlebbar. Gastfreundliche Menschen lassen sich auf das Neue, Unerwartete, Fremde ein. Sie können sich damit abfinden, dass der Gast alles durcheinanderbringt, womit wir uns so sorgfältig unser Leben eingerichtet haben. Gastfreundliche Menschen teilen, was sie haben, ohne Gegenleistung zu erwarten oder gar zu verlangen. Und sie sehen es als Geschenk, dass die Gäste nicht genau so sind wie sie selber. Eine gastfreundliche Gemeinde ist eine missionarische Gemeinde.
Wo Christus verkündet wird, dort entsteht Kirche. Wenn Menschen sich zusammentun, weil sie nicht schweigen können über die erfahrene Gnade Gottes, dann entsteht Gemeinde. Die Struktur kommt aus der Mission und muss der Mission dienen.
Auch uns Hirten muss das klar sein, und ich sehe meine Aufgabe als Diözesanbischof auch darin, dem Aufbau missionarischer Strukturen zu dienen: Strukturen, die so weit und offen sind, dass sie uns aus den Zitadellen des Gewohnten herauslocken – und gleichzeitig allen werdenden Jüngerinnen und Jüngern helfen, mit Christus bei allen Menschen zu sein.
Der missionarische Weg ist immer ein Weg ins Ungewisse. Auf unserem gemeinsamen Weg ist das Unvorhersehbare das Einzige, mit dem ich sicher rechne.
Und Mission ist so vielfältig, dass es mir immer schwerer fällt, sie zu definieren. Aber jede konkrete, echte Missionserfahrung gehört zu den glücklichsten Erfahrungen meines priesterlichen Dienstes, ja meines Christseins.
Jede Begegnung, bei der man auf einmal merkt: Jetzt steht der Herr in unserer Mitte. Das sind kostbare Perlen des Lebens, die man, wie das Evangelium sagt, suchen muss. Und wenn man sie gefunden hat, weiß man: Ja, das ist es. Das ist das Glück. Und genau um dieses Glück geht es bei dem Weg, den wir gehen.
Auf diesem Weg wird uns trotzdem die Erfahrung von Konkurrenz, Machtkonflikt, Herrschenwollens begleiten. Aber das soll uns nicht schrecken, das ist ganz normal. Solche Erfahrungen sind für uns jedes Mal eine Herausforderung zur Umkehr. Der Herr hat das, wie wir aus dem Evangelium wissen, mit seinen Jüngern vorexerziert, und jetzt tut er das mit uns.
Gehen wir diesen Weg im Bewusstsein, dass wir gemeinsam ein priesterliches Volk sind, Träger eines gemeinsamen Priestertums.
Das ist heute, wo wir uns in Europa als Minderheit erleben, vielleicht erfahrbarer geworden: dass wir, alle gemeinsam, Sauerteig sind, Salz der Erde – die Wenigen, die für die Vielen da sind.
Wir Weihepriester haben die wunderbare Aufgabe, diesem königlichen Priestertum aller zu dienen - durch Sakramente, Lehre und Leitung. Aber das ganz Große, das ist der uns allen gemeinsam aufgetragene Dienst: die Großtaten Gottes zu bezeugen, und durch unser Gebet, unser Leben, unser Opfer die Welt Gott darzubringen.
Was für eine Aufgabe! Und was für eine unverdiente Gnade, dabei mitwirken zu dürfen, gleich an welchem Ort, in welcher Funktion oder in welcher Struktur.
Missa est! Es ist ausgesendet! Lasst uns gehen!
Kardinal Christoph Schönborn
Ein Interview von vor 20 Jahren zum Amtsbeginn von Erzbischof Schönborn in der Wiener Kirchenzeitung.
20 Jahre Erzbischof von Wien Information und Plakat
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