Angebliches Zitat Albert Einsteins: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Angebliches Zitat Albert Einsteins: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Philosophen und Theologen haben über das Unendliche nachgedacht. Doch die wahre Wissenschaft vom Unendlichen ist die Mathematik. Rudolf Taschner, Professor an der Technischen Universität Wien, gelingt es, diesen zentralen Begriff auch dem mathematischen Laien zu vermitteln. Ein Interview im SONNTAG
DER SONNTAG: Wenn wir über das Staunen über die Unendlichkeit reden, müssen wir irgendwo beginnen. Vielleicht mit den Anfängen des Zählens. Wie und wann hat sich der Mensch damit auseinandergesetzt?
RUDOLF TASCHNER: Sicher waren weder 1 noch 2 die ersten Zahlen, die der Steinmensch entdeckt hat. Denn zwei gleichartige Dinge erfasst man sofort als Paar.
Vielleicht war somit die 3 die erste und anfangs auch einzige Zahl: Der Urmensch sieht ein Paar von Dingen, und noch ein weiteres Ding tritt hinzu. Also steht die Zahl 3 für 2+1.
Zudem hat man die Kerben zwischen den Fingern zum Zählen benützt. Vier Kerben auf der einen und vier auf der anderen Hand. So entstand auch der Begriff: das Kerbholz. Hier wurde die Zahl als Delle eingekerbt.
Nun haben wir insgesamt acht Kerben auf den Händen und man ist darauf gekommen, da muss es eine weitere neue Zahl geben. Deshalb die 9. Neuf im Französischen heißt übrigens übersetzt „neun“ und „neu“ zugleich. Das Zählen muss also weitergehen und hört nicht auf.
Kommen wir zur Unendlichkeit zurück und machen einen großen Sprung in das 17. Jahrhundert. In dieser Zeit gilt der Mathematiker, Physiker und christliche Philosoph Blaise Pascal als einer der größten Denker Frankreichs. Wie hat er den Begriff Unendlichkeit geprägt?
RUDOLF TASCHNER: Blaise Pascal verglich das Zählen mit dem Erklimmen einer bis in den Himmel reichenden Jakobsleiter. Die Jakobsleiter, oder Himmelsleiter genannt, ist ein Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel. Diese erblickt Jakob laut der biblischen Erzählung in Gen 28,11 während seiner Flucht vor Esau in einer Traumvision. Sie stand auf der Erde und ihre Spitze reichte in den Himmel.
Nun überlegte sich Pascal: „Wenn ich auf dieser Leiter die erste Sprosse erklimme und immer wieder die nächste erreiche, dann gibt es beim Hinaufgehen kein Ende. Dann wäre dies eine unendlich lange Leiter, die hinaufführt bis zum Ewigen.“
Dieses Gedankenexperiment nennt man in der Mathematik die „vollständige Induktion“. Ich induziere, beginne mit eins und weiß, wenn man bei einer Zahl, welche ich „n“ taufe, angelangt bin, dann ist dies nicht die letzte Zahl, sondern es kommt noch „n+1“. Und die nächste wird wieder mit 1 addiert und immer so weiter.
Kann man dieses Prinzip auch in andere mathematische Richtungen anwenden?
RUDOLF TASCHNER: Die einfache andere Richtung wäre eine negative Zahl, beispielsweise -1.
Doch die Pythagoreer (nach den Lehren Pythagoras von Samos in den zwanziger Jahren des 6. Jahrhunderts vor Christus) wollten das Ganze von der Multiplikation her erfassen. Denn hier ist 1 ziemlich neutral.
Denn 1 mal 1 mal 1 mal 1 bleibt immer 1. So wird die nächste Zahl erst interessant: die 2. 2 x 2 = 4, 4 x 2 = 8, weitergefolgt von 16, 32, 64 und 128. Das sind jedoch nicht alle Zahlen.
Zwischen 2 und 4 gibt es noch eine weitere Zahl, die 3. Dann haben wir 2 x 3 = 6, 3 x 3 = 9. Fehlt jedoch noch die 5. Also nehmen wir 2, 3 und 5.
Können wir damit alle Zahlen erreichen? Nicht ganz, weil da ist noch die 7, die irgendwie gezählt werden möchte. So haben wir 2, 3, 4 =2 x 2, 5, 6 = 2 x 3, 7, 8 = 4 x 2, 9 = 3 x 3, 10 = 2 x 5.
Nun noch die Zahl 11, die sich nicht darstellen lässt. So kamen die Mathematiker auf die Idee der Primzahlen. Die andere Richtung wäre dann die Division. Die Annäherung gegen null.
Die Primzahl ist ein gutes Stichwort. Im antiken Europa wurde die Mathematik von den Griechen als Wissenschaft im Rahmen der Philosophie betrieben. Aus dieser Zeit datiert die Orientierung an der Aufgabenstellung des „rein logischen Beweisens“ und der erste Ansatz einer Axiomatisierung, nämlich die euklidische Geometrie. Unter Axiomatisierung versteht man daher seit Euklid die Erzeugung und Konstruktion von wahren Sätzen, also Ableitungen aus allgemeinen Prinzipien. Doch viel wichtiger ist doch Euklids Umgang mit den Primzahlen?
RUDOLF TASCHNER: Euklid war ein sehr kluger Mann. Er hat nämlich nicht gesagt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.
Sondern er sagte: „Eine endliche Liste von Primzahlen ist nie vollständig.“ Das hat er auch bewiesen, denn eine endliche Liste von Primzahlen könne man mit denselben Primzahlen multiplizieren. Da kommt eine riesige Summe heraus. Zu dieser Zahl gebe ich 1 dazu und versuche sie durch eine beliebige Primzahl zu dividieren.
Doch durch keine dieser Primzahlen wird diese große Zahl teilbar sein, weil immer 1 als Rest bleibt.
Also kann diese Liste nicht vollständig sein. Die Annahme, es gäbe nur endlich viele Primzahlen, führt Euklid damit auf einen logischen Widerspruch.
Und allgemein gilt in der Mathematik: Eine Aussage, aus der sich ein Widerspruch konstruieren lässt, muss falsch sein. Dieser Beweis ist fast 2300 Jahre alt und immer noch einer der schönsten der Mathematik.
Nun haben wir schon einiges über die Unendlichkeit erfahren, doch es scheint, mathematisch gesehen, immer nur Annäherungen zu geben. Eine Lösung dafür suchte doch David Hilbert im 19. Jahrhundert?
RUDOLF TASCHNER: Schon zu Lebzeiten erwarb sich David Hilbert den Ruf eines herausragenden Mathematikers. In der Algebra, der Zahlentheorie, der Geometrie, der mathematischen Physik und sogar bei der Allgemeinen Relativitätstheorie leistete er Beeindruckendes.
Die Lösung, so meinte Hilbert, bestehe darin, den Begriff des Unendlichen zu zähmen. Er entwarf ein formales Regelwerk, in dem akribisch genau der Gebrauch des Wortes „unendlich“ festgelegt wird.
Jedoch kam es immer wieder zu Schwierigkeiten, wenn das Unendliche mit ins Spiel kommt. Hier stolpert man über Paradoxien.
Abschließend hat es den Anschein, als gäbe es in der Mathematik zahlreiche Versuche, sich der Unendlichkeit anzunähern. Doch das Ziel ist in weiter Ferne. Ärgert Sie das nicht als Mathematiker?
RUDOLF TASCHNER: Ich glaube, dass es sehr sinnvoll ist, sich zu sagen: „Freunde: Nein, das Unendliche ist ein Grenzbegriff, und da müssen wir aufpassen.“
Das Unendliche ist mehr der Philosophie als der Mathematik zugehörig. Aber die Mathematik hat es trotzdem als Gegenstand.
Der Gegenstand der Mathematik ist das Unendliche, genauso wie der Gegenstand der Psychologie die Seele ist. Aber wenn Sie einen Psychologen fragen „Was ist denn die Seele?“, wird der Psychologe sagen: „Gehen Sie doch bitte zu einem Philosophen.“ So ist es auch in der Mathematik.
Wir kämpfen mit dem Unendlichen, wir ringen damit. Aber wissen, dass wir es nie begreifen werden.
Professor Dr. Rudolf Taschner
Bekannt wurde Rudolf Taschner hauptsächlich durch seine Bücher und durch seine allgemeinverständlichen Vorträge, insbesondere im „math.space“ im Wiener Museumsquartier.
2004 wurde er vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum „Wissenschafter des Jahres“ gewählt, 2007 vom Public Relations-Verband Austria zum „Kommunikator des Jahres“.
An der TU Wien lehrt Taschner Analysis und forscht an intuitionistischer Mathematik.
Eine Sendereihe auf radio klassik Stephansdom.
Nachzuhören auf www.radioklassik.at im Podcast, Kategorie Perspektiven.
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien