Bei der Industrie 4.0 geht es um die Optimierung der Produktion mit modernster digitaler Informations- und Kommunikationstechnik.
Bei der Industrie 4.0 geht es um die Optimierung der Produktion mit modernster digitaler Informations- und Kommunikationstechnik.
"In Deutschland und Österreich entstehen durch den digitalen Wandel zusätzliche Jobs", sagt Daniel Küpper, Partner der Boston Consulting Group, im SONNTAG-Interview.
In Zusammenhang mit künftiger wirtschaftlicher Entwicklung taucht immer wieder der Begriff "Industrie 4.0" auf. Was verstehen Sie darunter?
Daniel Küpper: Es ist die vierte Stufe der Industrialisierung. Die erste war im späten 18. Jahrhundert ausgehend von England mit der Entwicklung der Dampfmaschine, die zweite Stufe zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Einführung der elektrischen Energie, die dritte Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der Einführung der Automatisierungstechnik. Jetzt stellt sich eben die Frage: Was kann man mit moderner Daten- und Kommunikationstechnik machen, um die Produktion weiter zu verbessern?
Ist Industrie 4.0 eine Chance der Reindustrialisierung Europas und kommt es zur Rückkehr der Produktion? Punktet Europa in Zukunft mit Know-how und hat damit Wettbewerbsvorteile?
Daniel Küpper: Beides kann man eindeutig mit Ja beantworten. Es bleibt natürlich abzuwarten, ob das tatsächlich passiert. Die Voraussetzungen dafür sind zunächst gegeben. Der Hintergrund dafür ist, dass Industrie 4.0 einen Einfluss auf die Kostenstruktur hat und damit Dinge, die bislang nicht mehr in Westeuropa stattgefunden haben, nach Osteuropa abgewandert sind oder sogar nach Asien, damit wieder wettbewerbsfähig auch in Europa produziert werden können.
Mit der Entwicklung der Industrie 4.0 wird es zu enormen Arbeitsplatzverlusten kommen, meinen die einen Experten. Andere sagen, dass viele neue Jobs entstehen könnten. Wie sehen Sie die Lage?
Daniel Küpper: Unsere Studie mit einem sehr starken Fokus auf Deutschland zeigt: Es werden zusätzliche Jobs entstehen. Das ist sicherlich ein Stück weit eine Sondersituation für Deutschland und Österreich. Hier sitzen sehr viele Hersteller, die genau die Technik, die in Zukunft benötigt wird, produzieren. Dafür brauchen sie eine ganze Menge an neuen Kompetenzen und damit neue Mitarbeiter. Deshalb ist der Nettoeffekt positiv für diese Länder. Ob es ein globaler Effekt ist, bin ich nicht so optimistisch. Am Ende des Tages ist es schon so, dass bei Industrie 4.0 Unternehmen mit weniger Ressourceneinsatz mehr Output produzieren können. Damit nehme ich aus dem produzierenden Gewerbe global betrachtet sicherlich tatsächlich Arbeitskräfte aus dem Prozess. Dieser Effekt – das erwarten wir dann auch auf globaler Ebene – wird natürlich durch einen zweiten ausgeglichen: Wenn man produktiver und effizienter wird, dann werden diese Produkte günstiger. Das ermöglicht auch mehr Leuten, die Produkte nachzufragen. In Summe führt der Anstieg an produzierten Stückzahlen wiederum zu zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Produktion. Man kann davon ausgehen, dass im Nettoergebnis es nach wie vor die gleiche Anzahl an Arbeitsplätzen geben wird, auch wenn wir in der Produktion selber deutlich produktiver geworden sind.
Sind die Unternehmen in Deutschland und Österreich auf die Entwicklung vorbereitet?
Daniel Küpper: Der deutschsprachige Raum ist laut unserer Umfrage gar nicht so schlecht aufgestellt: 19 Prozent der Unternehmen in Deutschland und Österreich sagen, dass sie erste Initiativen zu Industrie 4.0 bereits laufen bzw. erste Dinge schon implementiert haben. Der Vergleichswert in den USA liegt bei 16 Prozent. Deutlicher wird der Unterschied bei der Frage: „Haben Sie denn Industrie 4.0 in Ihren Planungen berücksichtigt? Planen Sie konkrete Aktivitäten?“ 47 Prozent antworten in den deutschsprachigen Ländern mit Ja, die USA liegt mit 29 Prozent etwas zurück. Deutschsprachige Unternehmen verspüren einen besonderen Zwang, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Einerseits haben wir sehr hohe Lohnkosten und Unternehmen beschäftigen sich daher per se permanent mit der Frage, wie kann ich neue Dinge anwenden, um meine Produktivität zu steigern und im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Auf der ganz anderen Seite, wie ich schon angesprochen habe, produzieren viele Unternehmen in dieser Region diese Technologie.
Steigt die Nachfrage nach hochqualifizierten Facharbeitern? Wie muss denn die Bildung der Zukunft aussehen?
Daniel Küpper: An Bedeutung verlieren werden Profile, die rein auf mechanische Arbeit ausgerichtet sind. Gewinner sind diejenigen, die mit Automatisierung und Robotik tatsächlich zu tun haben, aber auch ganz besonders solche Dinge, wo es um planerische Tätigkeiten geht: Wie muss ich meine Roboter in der Fabrik einsetzen? Es wird zu dramatischen Veränderungen kommen. Wenn ich etwas vor 30 Jahren gelernt habe, dann konnte ich sicher davon ausgehen, immer in der einer gleichen Tätigkeit mit der gleichen Qualifikation klar zu kommen. Wenn ich heute etwas lerne, ist es vielleicht noch in den nächsten fünf Jahren aktuell, aber ich muss flexibel sein und mich permanent weiterqualifizieren, um sicher zu sein, dass ich auch in zehn oder 15 Jahren auf der Höhe der Zeit bin und mit meinen Fähigkeiten tatsächlich einen echten Beitrag leisten kann.
Was passiert mit den ungelernten und gering qualifizierten Kräften?
Daniel Küpper: Roboter programmieren ist heute eine relativ komplexe Aufgabe, die eine qualifizierte IT-Fachkraft erledigen muss. Das wird sich aber in Zukunft deutlich vereinfachen und die Programmierung ist keine große Herausforderung mehr. Sie führen den Roboterarm mit den eigenen Händen und der Roboter macht diese Bewegung nach. D.h. wir haben auch in Zukunft andere, aber immer noch einfachere Aufgaben, die von ungelernten oder gering qualifizierten Kräften durchgeführt werden können.
Wie muss die Standortpolitik aussehen?
Daniel Küpper: Deutschland und Österreich profitieren von ihrer starken Exportindustrie. Deshalb sollte von der Gesetzgebung alles getan werden, um diese Unternehmen in ihrem Versuch, global erfolgreich zu sein, zu unterstützen. Es kommen erhebliche Investitionen auf sie zu, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Sie müssen einmalig 7 bis 9 Prozent vom Umsatz in die Hand nehmen, um Industrie 4.0 flächendeckend einzuführen. Ein Modell könnte sein, dass etwa staatliche Banken wie z.B. in Deutschland die Kreditanstalt für Wiederaufbau günstige Kredite zur Verfügung stellen.
Dr. Daniel Küpper ist Partner bei der Boston Consulting Group in Köln. Er leitet die Operations-Praxisgruppe in Deutschland und Österreich.
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