Christlicher Gottesdienst heißt, freie Zeit zu schaffen, für sich selbst, für die Mitmenschen und für Gott.
Christlicher Gottesdienst heißt, freie Zeit zu schaffen, für sich selbst, für die Mitmenschen und für Gott.
„Der eigentliche Gottesdienst des Christentums ist, freie Zeit zu schaffen“, sagt der Schweizer Jesuitenprovinzial Christian Rutishauser in einer gesellschaftlichen Situation, in der der freie Sonntag zu verschwinden droht. Welche Rolle die Freiheit im Christentum spielt, erklärt der Jesuitenpater im SONNTAG-Interview.
Ende April durfte ich im Stift Göttweig den Provinzial der Schweizer Jesuiten, Pater Christian Rutishauser, kennenlernen. Er hielt dort einen Vortrag zum Thema „Kraft aus der Spiritualität der Freiheit schöpfen“. Nach seinen Ausführungen plauderten wir zunächst über seine Heimat Schweiz. Ich wollte wissen, aus welchem Kanton der Jesuitenpater ursprünglich stammt. Seine Antwort:
„St. Gallen.“ Ich erzählte dem Ordensmann, dass mein Onkel auch in diesem Kanton geboren wurde und dass ich mich gerne an meine Erlebnisse als Jugendlicher und junger Erwachsener beim Besuch in der Schweiz zurückerinnere.
Da ich erfahren habe, dass eines der Spezialgebiete von Pater Rutishauser die „Theologie des Spiritualität“ ist, kam mir die Frage in den Sinn, was denn für ihn selbst Spiritualität, ein Begriff der heute sehr inflationär verwendet wird, bedeutet. „Spiritualität kommt vom Lateinischen „Spiritus“ für Geist, damit ist der menschliche Geist gemeint, insofern er nicht einfach nur rational ist, sondern auf Gott hin ausgerichtet ist“, antwortete der Jesuit. „Spiritus heißt auch Gottes Geist (lateinisch Spiritus Sanctus).
Spiritualität ist im Grunde genommen ein Leben, das sich durch den Geist Gottes formen und prägen lässt. Vielleicht ist die Spiritualität ein moderneres Wort für Frömmigkeit. Früher wollte man fromm sein, das klingt heute verstaubt, heute möchte man spirituell sein.“
Sie haben einen interessanten Ansatz: Ausgehend von Worten des heiligen Ignatius von Loyola sind Sie der Auffassung, dass Ihr Ordensgründer der Erfinder einer „spirituellen Relativitätstheorie“ ist. Wie können wir uns das vorstellen?
Die Werte, die wir Menschen untereinander haben, wie Gesundheit, Wohlstand, Ehre sind relativ und müssen auch hinterfragt werden dürfen.
Sie entstehen durch Vergleich untereinander und durch das Begehren der Menschen. Oft kommen wir unter Druck: Wir müssen gesund sein wie die anderen, wir müssen so viel Geld verdienen wie die anderen, ob es uns glücklich macht oder nicht. Wir glauben, es wäre ein Wert, wenn wir die Ferien da oder dort verbringen können.
Das Religiöse sagt: Die wesentlichen Werte kommen von der letzten Berufung des Menschen her, von Gott aus gesehen: Werte wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Freiheit, zu sich stehen können, authentisch zu sein.
Warum suchen die Menschen verstärkt nach Rückhalt?
Wir leben in einer Zeit, die etwas geschichtsvergessen ist. Die meisten von uns schauen nur nach vorne, haben Visionen, wollen immer etwas Neues. Das Alte hat weniger Wert und das führt dazu, dass wir den Boden unter den Füßen verlieren.
Die Zeit wird unübersichtlich, weil wir so viel Kommunikation und so viele Güter haben. Wir versinken zusehends in einem Individualismus. In dieser Situation sucht der Mensch wieder nach einem Fundament. Wenn ein falsches Fundament gelegt wird, dann führt es zu Fundamentalismus. Dort, wo der Grund weggebrochen ist, entsteht Fundamentalismus. Wenn man einen Grund behauptet, der nicht mehr da ist. Spiritualität wäre eben keine falsche Rückführung auf ein Fundament, sondern ein Rückführen zum Religiösen.
Sie sagen, Geschichte des Christentums ist eine Geschichte der Freiheit. Was meinen Sie damit?
Der Apostel Paulus schreibt: „Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit. Ihr Christen, ihr seid zur Freiheit berufen.“ Erlösung bedeutet nicht mehr entfremdet, sondern innerlich frei zu sein.
Natürlich hat das real existierende Christentum und die Kirche in ihrer Geschichte oft dieses Ideal nicht verwirklicht. Oft waren da auch unfreie Zustände, aber im Großen und Ganzen gesehen, ist die ganze christliche Tradition auf Freiheit hin aufgebaut.
Der Mensch wird nicht als ein Organismus wahrgenommen, der einfach durch die Neurobiologie, durch die Gene festgelegt ist, sondern der Mensch ist als Abbild Gottes geschaffen. D.h. er hat etwas von diesem Geist, von dieser Freiheit. Ohne die Freiheitsgeschichte des Christentums hätten wir nie einen so freien modernen Menschen. Es ist nicht nur das Verdienst des Christentums, auch die Philosophie hat viel dazu beigetragen.
Warum ist uns dieser Freiheitsbegriff abhandengekommen?
In den vergangenen Jahrzehnten wurde er stark überlagert. Wir sind verführt durch den Fortschritt der technischen Möglichkeiten, das wirtschaftliche Florieren bringt neue Güter und neue Möglichkeiten wie etwa die digitale Kommunikation und das wird zur neuen Freiheit.
Viele sagen: „Früher, als wir geglaubt haben, waren wir unfreier.“ Tatsächlich haben wir viel Freiheit gewonnen, aber es ist eine äußere. Die Frage ist, ob wir jetzt nicht langsam wieder spüren, wie wir durch wirtschaftliche Zwänge und selbst durch die Sozialstrukturen, die wir geschaffen haben, begrenzt sind. Von daher müssen wir zurückgehen auf einen Freiheitsbegriff, der größer ist als die Moderne. Da kann dem Christlichen wieder eine größere Rolle zukommen, wenn es sich nicht gegen die Moderne, die Aufklärung, den Fortschritt stellt, sondern mit dem Fortschritt zusammenarbeitet.
Ihnen ist es ganz wichtig, von der Heilsgeschichte als Heilsökonomie Gottes zu sprechen. Was sind die Gründe dafür?
In der Antike wurde die Sprache der Ökonomie für die Theologie verwendet. Ökonomie bezeichnete in der Antike die Verwaltung und Bewirtschaftung eines Hauses (griechisch: oikos=Haus). Das Christentum sagt, Gott bewirtschaftet diese Welt, indem er das Volk Israel aus der Sklaverei befreit, indem er es in das Gelobte Land führt, indem er Christus schickt, die Menschen zu erlösen.
Heilsökonomie lädt uns als Christinnen und Christen ein, in diese Art der Bewirtschaftung, wie das Gott macht, mit einzuschwingen oder die eigene Aktivität an der Art und Weise zu messen, wie Gott in dieser Gesellschaft und Wirtschaft handelt.
Es gibt eine Imitatio Dei, die Nachahmung Gottes, in dieser Heilsökonomie. Eine Einladung an uns, weil in unserer Gesellschaft die Ökonomie die grundsätzliche Denkweise vorgibt. Das war auch einmal die Sprache der Religion und hier können neue Brücken geschlagen werden.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang vom Christentum als Freizeitgestaltung.
Das ist natürlich sehr salopp gesagt. Zu dieser Heilsökonomie gehört selbstverständlich dazu: Der eigentliche Gottesdienst des Christentums ist es, freie Zeit zu schaffen. Jeder siebte Tag ist ein Ruhetag. Das Sabbatsgebot ist das einzige rituelle Gebot in den Zehn Geboten. Es wird gesagt: Gott hat sechs Tage gearbeitet und am siebten Tag ruht er. Er hat die Israeliten aus Ägypten in die Freiheit herausgeführt, deshalb ist der siebte Tag zu halten.
Christlicher Gottesdienst ist nicht einmal so sehr, einfach in die Kirche zu gehen oder einen Kult zu betreiben, Gott gnädig stimmen zu müssen, sondern eine freie Zeit zu schaffen. Der Mensch wird von dem Leistungsdruck und der Arbeit befreit und hat Zeit für sich selbst, für die Mitmenschen und für Gott. Von daher ist eine Sonntagskultur überlebenswichtig.
Woher kommt die Kraft der Freiheit?
Der Mensch ist nicht nur Instrument und Mittel, sondern hat seine eigene Würde und ist Selbstziel. Wenn in einem Wirtschaftsbetrieb der Mensch nur noch Arbeiter ist, rennt er früher oder später ins Burnout hinein.
Wenn ein Arbeitgeber nur Arbeitskräfte will und nicht Menschen, die auch mit ihm zusammen eine Firma gestalten, wird es früher oder später die Menschen auslaugen und sie werden wieder kündigen. Von daher kommt die Kraft gerade aus dieser Unterbrechung, heraus aus dieser Würde, aus diesem nicht nur Zweckbestimmten, obwohl das natürlich Sinn der Arbeit ist.
Dieser Freiraum muss geschaffen werden, dann kommt die Kreativität. Kreativität kann nur aus der Freiheit kommen, sonst wird der Mensch zur Maschine – mechanisch – entfremdet.
zur Person
Pater Christian Rutishauser: „Die wesentlichen Werte kommen von der letzten Berufung des Menschen her, von Gott aus gesehen: Werte wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Freiheit.“
Christian Rutishauser wurde am 3. Dezember 1965 in Niederuzwil im Schweizer Kanton St. Gallen geboren. Seit 31. Juli 2012 ist er Provinzial der Schweizer Jesuiten. Er studierte Theologie an der Universität Fribourg und erwarb sein Doktorat an der Universität Luzern in Judaistik.
1998 wurde Christian Rutishauser zum Priester geweiht. Von 2001 bis 2012 war er Bildungsleiter im Lassalle-Haus Bad Schönbrunn (Kanton Zug) mit Schwerpunkten in christlicher Spiritualität, jüdisch-christlichem Gespräch und interreligiösem Dialog.
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