Martina Hagspiel spricht über Tabus.
Martina Hagspiel spricht über Tabus.
Die Unternehmerin Martina Hagspiel erlebte eine Lebenswende und eine damit verbundene Neuorientierung. Heute macht sie denen Mut, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben.
Martina Hagspiel ist eine willensstarke und herzliche Frau mit Handschlagqualitäten. Beruflich immer zielstrebig unterwegs, gründet sie in jungen Jahren ein erfolgreiches Unternehmen und wird Versicherungsmaklerin mit einem großen Kundenstock.
Im Jahr 2010, Hagspiel ist gerade 32 Jahre alt, ändert sich ihr Leben schlagartig. Bei einer Routineuntersuchung erfährt sie, dass sie Brustkrebs hat.
„Ich war so unter Schock und konnte es lang nicht wahrhaben. Definitiv angekommen ist es bei mir, als mir die Haare ausgegangen sind. Ich wusste, jetzt bin ich mitten drinnen“, erinnert sich Hagspiel im Gespräch mit radio klassik Stephansdom.
Die Angst während der Krebserkrankung macht Wellenbewegungen, sagt Martina Hagspiel. Manchmal poppt sie einfach so auf, manchmal wird sie ausgelöst durch einen speziellen Moment.
Der Umgang mit Angst ist herausfordernd. Der Umgang mit den Schmerzen ebenso. Als Krebspatienten habe man den Stempel des Todes auf der Stirn, sagt die junge Frau. „Die Medikamente verursachen starke Knochenschmerzen, die Gelenke tun weh.
Ich war immer konzentriert auf die Stärke meiner Schmerzen, um nichts zu übersehen. Irgendwann habe ich beschlossen, mich nicht mehr selbst so fertig zu machen.“
Die Reaktionen auf eine Krebsdiagnose seien unterschiedlich und viele nicht besonders hilfreich, sagt Martina Hagspiel. Die Variante Mitleid sei furchtbar. Manche reagieren großartig, in dem sie viele Fragen stellen.
Viele aber würden in Schweigen verfallen. Auch Krebspatienten selbst würden oft nichts erzählen. „Der Schein soll gewahrt werden. Die Machtlosigkeit ist so groß, dass man sich entscheidet, nicht darüber zu sprechen. Aber ich wollte immer ganz viel darüber sprechen, um meiner Krankheit den Schrecken zu nehmen.“
Martina Hagspiel hat sich das Thema Tabu zum Projekt auserkoren. Sie setzt ihre unternehmerischen Fähigkeiten ein und gründet noch während ihrer eigenen Krebserkrankung mit voller Kraft das Projekt „Kurvenkratzer“ – eine Plattform im Internet, auf der Patienten und Angehörige sowie Ärzte und Pflegepersonal über Krebs sprechen, über Tabus und Dinge, die man während der Chemotherapie einfach wissen muss.
Hagspiel führt viele Interviews und findet heraus, dass mit der Krankheit auch Gutes entstehen kann. Das hat sie selbst auch erlebt: „Ich gebe jetzt viel mehr Acht auf meine eigenen Ressourcen. Es haben sich Beziehungen zu Menschen vertieft, die mich begleitet haben. Energieraubendes konnte ich ziehen lassen“, sagt Hagspiel.
Heimat entstehe in einem selbst, weiß Martina Hagspiel heute. Heimat sei an keinen Ort gebunden, sondern in Freundschaften, in der Familie, in Bindungen zu finden.
Hagspiel musste lernen, wann es für sie genug ist, wann sie rasten muss. Und das muss sie früher tun, als in ihrem Leben vor dem Krebs. Wenn sie nicht genug rastet, bekommt sie einen „Rheumaschub“, wie sie es nennt.
Sieben Jahre lang hat sie jetzt Medikamente zu sich genommen, 2017 war damit Schluss. „Ein Paar Sachen bleiben. Ich habe zum Beispiel noch kein Gefühl in den Fingerspitzen. Anfangs sind mir die Gläser oft runtergefallen.
Mittlerweile weiß ich schon, an welchen Tagen ich vorsichtiger sein muss.“
Martina Hagspiel ist ein Stehaufmädchen. Mit ihrer Energie steckt sie andere an. Und so wird auch das Projekt Kurvenkratzer ein großes werden.
Ihre Krebserkrankung hat ihrem Leben eine Wendung gegeben. Sie konzentriert sich jetzt auf die wesentlichen Dinge im Leben.
„Wesentlich sind für mich ein paar fixe Beziehungen, um die ich mich kümmern mag. Sie helfen mir, gesund und glücklich zu bleiben. Ich möchte das Haus, in dem ich lebe, gut pflegen. Gut essen, Bewegung machen, glücklich sein. Und was in fünf Jahren ist? Wer weiß das schon.“
Humor als Ressource habe ihr während der Krebserkrankung geholfen, sagt Hagspiel. Die ganze Familie habe so eine Möglichkeit gefunden, über alles mit einer gewissen Erleichterung zu sprechen.
„Meine Mutter und meine Schwester waren am Tag der Diagnose bei mir und gemeinsam haben wir geweint und gelacht. Ich weiß noch, dass wir in einem Restaurant in der Speisekarte nach Gerichten mit Krebs gesucht haben. Ich habe mit ‚Crepe Suzette‘ gewonnen“, erinnert sich Hagspiel.
Martina Hagspiel wirbt selbst für das Projekt Kurvenkratzer.
Die Aufgabe vom Kurvenkratzer ist es, Geschichten von Menschen zu erzählen, die vom Lebensumstand Krebs betroffen sind.
Es wird von ihrer Herangehensweise, ihren Gefühlen, ihren Erfolgsmomenten, den größten Hürden, den Ängsten und den Ressourcen berichtet.
Nähere Infos:
www.facebook.com/Kurvenkratzer.Influcancer
www.kurvenkratzer.at
www.stehaufmaedchen.at
„Das Stehaufmädchen“. Die Sendung von Michaela Necker hören Sie am Samstag,
3. März 2018, von 19 - 20 Uhr.
DaCapo am Mittwoch, 7. März 2018, von 19 - 20 Uhr.
Nachhörbar auf www.radioklassik.at als Podcast.
weitere Informationen zu
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at