In den heiligen Schriften wie der Bibel oder dem Koran komme nie nur Gott zu Wort, immer spiegeltenn sich darin auch menschliche Ansprüche und Bedürfnisse, die mit Gewalt einhergehen, sagte Zulehner
In den heiligen Schriften wie der Bibel oder dem Koran komme nie nur Gott zu Wort, immer spiegeltenn sich darin auch menschliche Ansprüche und Bedürfnisse, die mit Gewalt einhergehen, sagte Zulehner
Wiener Theologe und Religionsforscher: Erkennen, dass in heiligen Schriften nie nur Gott zu Wort kommt, sondern auch menschliche Bedürfnisse, die mit Gewalt einhergehen - Österreichs Muslime neigen zu Autoritarismus, aber Säkularisierung in zweiter und dritter Generation - Neben Pressefreiheit auch andere demokratische Rechte hochhalten
Der Islam braucht laut Prof. Paul Zulehner einen "inneren Läuterungsprozess", um verlorenen Kredit wiederzugewinnen.
Konkret meint der Wiener Theologe und Religionsforscher damit, dass eine theologische Sondierung im Islam Platz greift, wo gewaltförmige Elemente die Religion durchdringen und wie sie davon gereinigt werden kann. In den heiligen Schriften wie der Bibel oder dem Koran komme nie nur Gott zu Wort, immer spiegeltenn sich darin auch menschliche Ansprüche und Bedürfnisse, die mit Gewalt einhergehen, sagte Zulehner am Montag in einem "Kathpress"-Gespräch". Von dieser "importierten Gewaltneigung" müsse sich der Islam etwa durch eine für die Bibel seit langem gepflogene wissenschaftlich fundierte Exegese befreien.
Nach den jüngsten Anschlägen von Paris, aber auch durch die Gewaltakte der Terrormilizen IS und Boko Haram werde der Islam insgesamt in der medialen Berichterstattung nur noch als gewaltaffin und bedrohlich wahrgenommen, auch Karikaturen zeigten nur noch das bösartige Gesicht dieser Religion. Die "hochgradige Irritation" über Morde im Namen von Gott in den westlich-demokratischen Gesellschaften findet sich nach Einschätzung des Theologen, dessen demographische Studien über "Religion im Leben der Österreicher" auch Muslime und ihre Einstellungen erfassten, auch unter aufgeklärten Muslimen. Und Verantwortungsträger des Islam seien in einer permanenten Verteidigungssituation, diesen Missbrauch ihrer Religion zurückzuweisen.
Wie Zulehner aus Umfragen weiß, sind Österreichs Muslime, sofern sie ihre Wurzeln in einer vormodernen Kultur wie jener Ostanatoliens hätten, anfällig für Autoritarismus und somit auch für das Durchsetzen von Interessen mit Gewalt. Allerdings gebe es in der zweiten und dritten Generation der Muslime neben einem "schicksalshaft übernommenem Islam" auch nachweislich einen enormen Säkularisierungsschub. Gerade junge Frauen hätten viele Freiheiten für ihre Lebensgestaltung zu gewinnen, wenn sie zu den Vorgaben eines traditionalistisch verstandenen Islam auf Distanz gehen.
Maßgebliche "Gegengewalt" zum Autoritarismus ist laut Zulehner eine Bildung, die Ich-Stärke und Pluralitätstoleranz vermittle. Gebildete Muslime erwiesen sich in den westlichen Gesellschaften fast immer als überzeugte Demokraten; islamische Theologen wie Ednan Aslan oder Mouhanad Khorchide stünden für eine "Wiener Schule des Islam", in der Menschenrechte und demokratische Werte nicht nur opportunistisch übernommen, sondern als mit dem religiösen Kern dieser "Religion der Liebe" vereinbar betrachtet würden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Islam durch solche aufgeklärten Strömungen "europaförmig" wird, schätzt Zulehner, wie er betonte, als sehr groß ein. Ein "Schönwetter-Islam", der vorhandene Probleme kleinrede oder leugne, helfe dabei aber nicht weiter.
Konterkariert werde die Harmonisierung von Islam und demokratischer Kultur freilich durch prekäre Lebenssituationen und mangelnde Zukunftsperspektiven junger Muslime. Gefordert sei eine staatliche Bildungspolitik, die allen Kindern gute Chancen einräume, abseits von "vererbter Bildung" Lebenschancen wahrzunehmen - etwa auch durch staatlich finanzierte islamische Fakultäten an den Unis, so Zulehner.
Paul Michael Zulehner geb. 20. Dezember 1939 in Wien Theologe und katholischer Priester seit 2008 emeritierte Universitätsprofessor
Internet: www.zulehner.org |
Ihn habe an der Solidaritätskundgebung am Sonntag in Paris gestört, dass keiner der dort auftretenden Politiker ein selbstkritisches Wort über die Mitschuld der Politik an terrorbegünstigenden Verhältnissen gefunden habe. Statt etwa die ungelöste Palästinenserfrage als stets von neuem sprudelnde Quelle von Gewalt zu benennen, werde wie schon nach "9/11" "reine Symptompolitik" gemacht, ärgerte sich der Theologe.
Eine kritische Anmerkung machte Zulehner auch im Blick auf die nun allseits beschworene Pressefreiheit: Er halte es für fragwürdig, auf ein demokratisches Recht auf Kosten anderer Rechte zu pochen. Gefordert sei auch eine Ethik jener Journalisten und Karikaturisten, die Unbeteiligte in Lebensgefahr brächten. Auch wenn die Schuldigen am Massaker von Paris zunächst die mordenden Islamisten seien, gebe es auch eine Verantwortung jener, die in "liberalistischer Unverschämtheit" durch ihr Wirken Gefühle und Menschen bedrohten.