‚Welcher Reiche kann gerettet werden?‘ „Clemens von Alexandriens Antwort war, dass ein reicher Mensch, wenn er verantwortungsvoll mit seinem Reichtum umgeht, auf jeden Fall durch dieses berühmte Nadelöhr kommen kann.“
‚Welcher Reiche kann gerettet werden?‘ „Clemens von Alexandriens Antwort war, dass ein reicher Mensch, wenn er verantwortungsvoll mit seinem Reichtum umgeht, auf jeden Fall durch dieses berühmte Nadelöhr kommen kann.“
Zu dieser Frage gibt es seit Jahrhunderten eine Standardantwort. Der Theologe und Sozialethiker Clemens Sedmak gibt sich mit dieser nicht ganz zufrieden. Was Wohlstand für ihn bedeutet und warum er nicht arm sein möchte, erzählt er im SONNTAG-Interview.
Schon längere Zeit möchte ich ein Interview mit Clemens Sedmak führen, irgendwie klappt es nie. Nun erfahre ich, dass wir beide am Kongress christlicher Führungskräfte im Stift Göttweig teilnehmen. Ich sehe meine nächste Chance kommen. Auf meine Anfrage per E-Mail erhalte ich neun Tage später, als ich nicht mehr damit rechne, eine Antwort von der University of Notre Dame in den USA: „Very happy to chat – ich habe zwischen Keynote und Workshop gerne Zeit.“ Und diesmal klappt es wirklich.
In einem leeren Seminarraum des Stiftes finden wir einen ruhigen Platz. Noch die Worte seines vor ein paar Minuten zu Ende gegangenen Vortrages im Ohr frage ich nach, ob Christ sein und reich sein nicht doch ein Widerspruch ist.
„Clemens von Alexandrien hat den Weg im zweiten Jahrhundert mit der Schrift ‚Welcher Reiche kann gerettet werden?‘ gewiesen“, antwortet Clemens Sedmak. „Alexandria war damals eine der reichsten Städte. Die Antwort war relativ klar, dass ein reicher Mensch, wenn er verantwortungsvoll mit seinem Reichtum umgeht, auf jeden Fall durch dieses berühmte Nadelöhr kommen kann.“
Ist die Antwort nicht zu schnell gegeben worden?
Natürlich musst du bei der Reichtumsfrage unterscheiden: Wie kommst du zu Reichtum, wie bleibst du im Reichtum und was machst du im Reichtum?
Es gibt unredliche Weisen, zu Reichtum zu kommen.
Solange man verantwortungsvoll mit Reichtum umgeht, ist es in Ordnung. Für mich ist diese Antwort noch keine abschließende, sondern bleibt stets ein Stachel im Fleisch.
Sie haben Wohlstand in Ihrem Vortrag als etwas Großartiges bezeichnet. Was heißt das für Sie?
Wohlstand heißt für mich, ein Leben in materieller Sicherheit mit den entsprechend geistig moralischen Möglichkeiten führen zu können. Ich halte ein Leben im Wohlstand anstrebenswert, hingegen nicht für anstrebenswert, arm zu sein.
Zu einem einfachen Leben sage ich ja, ich verstehe auch das Armutsgelübde für Lebensformen, die keine Familie sind. Aber Wohlstand – du hast Sicherheit und kannst entsprechend planen – ist aus meiner Sicht für einen Familienvater und Ehemann eine wirklich großartige Sache und dieser möge möglichst breit verteilt werden.
Wenn das Leben einen ständigen Existenzkampf bedeutet, ist das nicht schön. Das vergönnst du keinem. Wohlstand hebt dich daraus heraus – und das ist wünschenswert.
Wann kippt Wohlstand in etwas anderes? Papst Johannes Paul II. hat es Überentwicklung genannt. Wann passiert das?
Johannes Paul II. schreibt in „Sollicitudo rei socialis“: Wenn eine übertriebene Verfügbarkeit an materiellen Dingen aller Art herrscht. „Übertrieben“ ist natürlich ein dehnbarer Begriff. Ab wann ist etwas exzessiv? Da fehlt offensichtlich Mäßigung. Je mehr Optionen jemand hat, desto unglücklicher kann er auch werden, wenn du dich ewig entscheiden musst.
Tatsächlich übertrieben ist, wenn es darum geht, brauche ich in einem Eissalon wirklich 450 Sorten, warum reichen zehn nicht aus? Oder warum brauche ich so viele Wahlmöglichkeiten, wenn ich mich zwischen Parkettböden oder Tapeten entscheiden können muss? Wie viele Krawatten benötigt ein Mensch, wie viel Paar Schuhe? Ja: Überentwicklung kann schon bei so einfachen Dingen wie den Schuhen passieren, wenn du ein nicht mehr mit Maß zu rechtfertigendes Angebot an Optionen hast.
Ab wann wurde die soziale Funktion des Privateigentums eingeführt?
An sich schon im vierten Jahrhundert bei den Kappadoziern. Ein berühmtes Basileus-Zitat lautet: „Den Mantel, den du nicht benutzt, hast du den Armen gestohlen.“ Du hast ein Recht auf ein Privateigentum, dieses Recht ist nicht absolut. Das heißt, man kann das Privateigentum auch streitig machen, wenn du Überfluss hast und andere Menschen Not leiden.
Das ist seit dem vierten Jahrhundert Teil unserer katholischen Sozialtradition und seit den Sozialenzykliken auch in Textform gegossen. Es wirkt sich dann so aus, dass jemand, der exzessiven Reichtum hat, in einem Land, das von bitterer Armut gekennzeichnet ist, das Recht auf diesen Reichtum verwirkt.
Papst Paul VI. hat das in „Populorum progressio“ auf die Staatenebene übertragen und gesagt, dass Staaten, die zu viel haben, die Pflicht haben, das zu teilen.
Aber haben wir uns nicht daran gewöhnt, wenn Eigentum mit redlichen Mittel erwirtschaftet wurde, gehört es dir und niemand darf es dir wegnehmen?
Da gibt es zwei Gegenargumente: Erstens, die Allgemeinheit hat es dir erst ermöglicht, dass du Geld verdienen kannst. Wo wäre die „Harry Potter“-Autorin Joanne K. Rowling ohne ihre Leser und wo Microsoft-Gründer Bill Gates ohne die Menschen, welche die Infrastruktur zur Verfügung gestellt haben, dass sich seine Software auf dem ganzen Planeten verbreiten kann?
Zweitens: Wie viel kann ein Mensch vernünftigerweise brauchen? Kein Mensch kann mir plausibel machen, Milliarden zu brauchen. Ich bin es ihnen nicht neidig. Es kann aber für Menschen wie Popsänger Justin Bieber oder Fußballer Cristiano Ronaldo nicht gut sein, so viel Geld zu haben.
Die soziale Funktion des Privateigentums übertrage ich jetzt nicht nur auf materielle, sondern auch auf immaterielle Güter wie Begabungen. Wenn jemand wie Ronaldo im Fußball hochbegabt ist, hat er nach katholischer Sicht nicht das Recht, unendlich viel Geld mit der Hochbegabung zu verdienen, weil er diese auch in den Dienst der Allgemeinheit stellen muss.
Sie sind auch hochbegabt, wie stellen Sie Ihre Fähigkeiten in den Dienst der Allgemeinheit?
Ich bemühe mich, relativ viel ehrenamtlich tätig zu sein, sowie mir und allen anderen klar zu machen, wenn man Begabungen hat, ist das kein Verdienst. Man muss halt schauen, wie man es in meinem Fall für die Kirche, bei anderen für Unternehmen oder dem Staat zum Nutzen bringt. Ich bin mit dem Salzburger Erzbischof Franz Lackner im Gespräch, was ich für den Erneuerungsprozess in der Erzdiözese Salzburg beitragen kann.
Sie sagen, die Katholische Soziallehre ist keine Ethik? Was ist sie dann?
Die Soziallehre ist nicht reduzierbar auf Prinzipien. Sie ist entstanden, weil Päpste mit wachen Augen gesehen haben, was in der Welt los ist und haben aus dem Reichtum der christlichen Tradition heraus darauf reagiert. Aber nicht mit Listen von Prinzipien, sondern sie haben es organisch entwickelt. Dabei kam immer zum Ausdruck: Wir wollen ein christliches Leben in der Welt leben, gewissermaßen nicht von der Welt sein, aber in der Welt sein. In dieser Spannung sehe ich die Soziallehre.
Es geht um die Nachfolge Christi und den Aufbau des Reiches Gottes. Für mich bedeutet die Soziallehre die soziale Dimension unseres Glaubens und unser Glauben dient dazu, das Reich Gottes präsenter und erfahrbarer zu machen und damit Christus den Menschen näher zu bringen.
Sie haben jetzt einen Vortrag vor Unternehmern gehalten. Worin sehen Sie
die Berufung eines Unternehmers?
Für mich ist ein Unternehmer jemand, der eine Gemeinschaft von Menschen stiftet oder organisiert, die um des Gemeinwohls willen auf Bedürfnisse reagieren. Wenn es ein Produkt braucht und es gibt es noch nicht, ist der Unternehmer die Person, die eine Notwendigkeit erkennt. Manche Menschen haben diesen Blick. Sie sind im besten Sinne des Wortes „geschäftstüchtig“, denn sie können diese Situationen in Möglichkeiten verwandeln und Antworten auf Fragen der Menschen geben. Das ist unternehmerischer Geist auf irgendetwas zu reagieren, das den Leuten das Leben ursprünglich erschwert hat und jetzt leichter macht.
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„Man kann das Privateigentum auch streitig machen, wenn du Überfluss hast und andere Menschen Not leiden“, sagt Clemens Sedmak, der zurzeit als Gastprofessor an der University of Notre Dame lehrt.
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