An diesem Sonntag findet in Österreich die Nationalratswahl statt.
An diesem Sonntag findet in Österreich die Nationalratswahl statt.
Die Spitzenkandidaten der Parteien beziehen auf dem Privatsender PULS 4 Position bei der Frage, ob wir eine christliche Leitkultur brauchen. Eine Analyse des Ergebnisses.
Brauchen wir eine christliche Leitkultur? Diese Frage stellt der Privatsender PULS 4 vor ein paar Tagen den Spitzenkandidaten der österreichischen Parteien in einer Live-Sendnung mit der Bitte, konkret mit „Ja“ oder mit „Nein“ zu antworten.
Nur zwei Kandidaten, Heinz-Christian Strache von der FPÖ und Sebastian Kurz von der ÖVP beantworteten die Frage mit „Ja“, alle anderen Kandidaten hingegen mit „Nein“.
Als Redaktion der Kirchenzeitung Der SONNTAG möchten wir dieses Ergebnis kritisch hinterfragen.
Stören sich die Spitzenkandidaten, die mit „Nein“ antworten, am Begriff „christlich“ oder am Begriff „Leitkultur“?
Diese Frage geben wir an Michael Jungwirth weiter.
Er ist Innenpolitik-Chef der Kleinen Zeitung und einer der renommiertesten Politikexperten des Landes: „Die stoßen sich sicher an beidem.
Am Wort ,christlich’ deshalb, weil die SPÖ, die NEOS, Die Grünen und auch Peter Pilz eine Vormachtstellung des Christentums aus ideologischen Gründen ablehnen und eher für eine Gleichstellung der Religionen eintreten.
Und sie stoßen sich sicher auch am Begriff ,Leitkultur’ insgesamt, weil dieser voraussetzt, dass man einer Kultur den Vorrang einräumt. Man muss bedenken, dass die genannten Vertreter trotz der Flüchtlingskrise eher einen Multikulti-Ansatz präferieren“, analysiert Michael Jungwirth.
Warum kommt hingegen von der FPÖ und von der ÖVP ein klares „Ja“ bei der Frage, ob wir eine christliche Leitkultur brauchen?
Laut Michael Jungwirth hat das nicht zwingend religiöse Gründe: „Auch wenn Strache und Kurz die Frage mit ,Ja’ beantworten, heißt das nicht, dass sie Religion und die Kirche mehr fördern möchten.
Sondern ihre Motivation liegt eher darin, im Zuge einer globalisierten Welt und eines zunehmenden Unsicherheitsgefühls aufgrund des politisch motivierten Islamismus ein Gefühl der Stabilität und des Heimatbewusstseins zu vermitteln, indem sie sich auf christliche Werte berufen.“
Was heißt eigentlich „politische Leitkultur“?
Von der Definition her versteht man unter einer christlichen Leitkultur eine „auf christlichen Werten basierende Gesellschaft“. Als zentrale christliche Werte gelten hierbei Glaube, ein grundlegendes Verständnis von Recht und Gerechtigkeit und die soziale Verantwortung des Einzelnen für die gesamte Gesellschaft.
Sind das nicht Werte, die in Wahrheit jeder der Spitzenkandidaten der im Nationalrat vertretenen Parteien vertritt?
„Ja, das tun sie!“, sagt Michael Jungwirth: „Aber sie bewerten es unterschiedlich und viele Politiker würden auf diese Frage kontern: Sind das Werte, die wir dem Christentum zu verdanken haben, oder wohl eher der Aufklärung?
Ein gläubiger Christ wird hier klarerweise eine andere Antwort darauf geben als ein liberaler Politiker, der unsere demokratischen Werte nicht nur auf die christliche Vergangenheit zurückführt, sondern vor allem auf die Aufklärung und auf das Erbe der großen bürgerlichen Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert.“
Nur eine Momentaufnahme
Politikexperte Michael Jungwirth betont, dass man auch als christlicher Wähler keine voreiligen Schlüsse aus dieser Momentaufnahme ziehen sollte: „Man darf eine Wahlentscheidung definitiv nicht von einem Taferl ableiten.“
Laut Jungwirth kann die Tatsache, dass die Spitzenkandidaten eine so zentrale Frage, die so viele Teilaspekte beinhaltet, nur mit „Ja“ oder mit „Nein“ beantworten konnten, ein falsches Bild vermitteln: „Auch jene Parteivertreter, die zu einer Leitkultur ,Nein’ sagen, finden nicht automatisch die christliche Werte schlecht, ganz im Gegenteil.
In Wahrheit sind die christlichen Werte für alle österreichischen Parteien wichtig und das zeigt sich auch ganz klar in der aktuellen politischen Diskussion. Alle Parteien diskutieren vermehrt über Religion, religiöse Symbole und über die Werte unserer Gesellschaft.
Christliche Werte, sofern sie nicht fundamentalistisch vertreten werden, und ein liberales Gesellschaftsverständnis schließen sich definitiv nicht aus.“
Neben Michael Jungwirth von der Kleinen Zeitung bitten wir auch Michael Prüller um eine Analyse. Er ist Kommunikationschef der Erzdiözese Wien und langjähriger politisch versierter Journalist.
Wie bewerten Sie die Antwort der Spitzenkandidaten auf die Frage, ob wir in Österreich eine politische Leitkultur brauchen?
Mich überrascht das Ergebnis nicht. Sowohl der Begriff „christlich“ als auch der Begriff „Leitkultur“ werden im politischen Umfeld sehr kontrovers diskutiert. Ich sehe es so, dass Grundwerte, die uns heute gefährdet scheinen, wie Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit auf einem christlichen Boden gewachsen sind.
Andere betrachten die Geschichte aber anders und haben die Auffassung, dass die Aufklärung dem Christentum diese Werte abgetrotzt hat.
Wie ist es bei Strache von der FPÖ und Kurz von der ÖVP? Führen sie diese Werte auf das Christentum zurück?
Nicht zwingend. FPÖ und ÖVP bekennen sich aus unterschiedlichen Motiven
zur christlichen Tradition. Der stärker werdende Islam spielt hier auch eine Rolle. „Christlich“ wird da leicht zum Überbegriff für „nicht-islamisch“.
Die Frage nach der Stärkung unseres christlichen Glaubens spielt in der politischen Debatte aber so gut wie keine Rolle. Es gibt aber bei einzelnen Politikern auch eine echte Verbundenheit mit den christlichen Kirchen.
Was sagen Sie dazu, wenn Politiker die „christliche Prägung“ Österreichs verteidigen?
Etwas zu verteidigen, was wertvoll ist, ist o.k., solange es nicht Hass und Verachtung schürt.
Aber grundsätzlich ist es so, dass ein Land nur dann wirklich eine christliche Prägung hat, wenn hier Christen ihren Glauben ernst nehmen und sie in der Politik und im Zusammenleben das christliche Menschenbild hochhalten.
Die Prägung, die ein Land dadurch bekommt, kann man nicht wie im Museum konservieren und gegen außen verteidigen, – man muss sie immer wieder neu von innen her leben.
Der Schlüssel liegt also nicht in einer Abwehrhaltung, sondern in der Glaubenserneuerung und in der Mission hier in Österreich.
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