An mehreren Orten zu Hause: Barbara Coudenhove-Kalergi in der Wiener Wohnung.
An mehreren Orten zu Hause: Barbara Coudenhove-Kalergi in der Wiener Wohnung.
Barbara Coudenhove-Kalergi kam 1945 als Flüchtlingskind bitterarm nach Österreich. Im Gespräch mit dem „Sonntag“ erinnert sich die bekannte ORF-Journalistin und bekennende Katholikin, die ihre berufliche Laufbahn bei der Caritas begann
SONNTAG: Ihre Lebenserinnerungen tragen den Titel „Zuhause ist überall“. Wie kam es zu diesem „Motto“?
Barbara Coudenhove-Kalergi: Was der Titel eigentlich ausdrücken soll ist, dass ich zu den vielen Leuten gehöre, die nicht dort leben, wo sie geboren sind. Millionen Menschen, nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Welt, leben woanders als dort, wo sie her sind, weil sie freiwillig oder unfreiwillig weggegangen sind von ihrer eigentlichen Heimat. Ich bin etwas skeptisch, wenn jetzt propagiert wird, dass die Migranten sagen müssen „Ich bin stolz auf meine Heimat Österreich“. Mir ist es damals so gegangen und geht es auch heute so, dass ich eben an mehreren Orten zu Hause sein kann.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt bald 70 Jahre zurück. Für Sie persönlich war das Jahr 1945 besonders einschneidend. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
Barbara Coudenhove-Kalergi:1945 bin ich als damals 13-Jährige aus meiner ursprünglichen Heimat Prag vertrieben worden zusammen mit drei Millionen anderen Deutschsprachigen. Ich werde oft gefragt: „Hasst du die Tschechen deswegen?“. Ich muss ehrlich sagen: Nein. Weil ich per Saldo dort viel mehr Gutes als Schlechtes erlebt habe – meine Kindheit und auch später als ORF-Korrespondentin. Mir kommt vor, dass sich die vertreibenden Staaten und Völker selbst damit am meisten bestraft haben.
Ich war vor kurzem in dem Dorf, aus dem mein Vater stammt. Das ist eine Landschaft, die sich davon, dass die ursprünglichen Bewohner fehlen, bis heute nicht erholt hat. Das sind kaputte Dörfer, verkommene Städtchen. Wir erleben jetzt, dass aus dem Irak, aus Syrien die orientalischen Christen vertrieben werden, uralte Gemeinden, älter als die christlichen Gemeinden in Europa. Dieses unbedingt Homogen-Sein- und National-Vereinheitlicht-Sein-Wollen führt letztlich zu einer Verarmung.
Wir haben das auch in Österreich gesehen: Wir sind enttäuscht, dass unsere Universitäten nur im unteren Mittelfeld rangieren. Wenn man bedenkt, dass zwei österreichische Nobelpreisträger als Kinder von hier vertrieben worden sind, kann man sich vorstellen, dass das anders aussehen würde, wenn die Vertreibung der jüdischen Österreicher nicht stattgefunden hätte. Alles das kann man sich in diesem Gedenkjahr durch den Kopf gehen lassen.
Als Internatsschülerin haben Sie nach Ihrer Vertreibung einen Zugang zu monastischer Spiritualität gefunden ...
Barbara Coudenhove-Kalergi: In Salzburg gibt es das alte Benediktinerstift St. Peter. Der fromme Betrieb im Internat hat mich nicht sonderlich beeindruckt, wohl aber das Chorgebet der Benediktiner in St. Peter. Ich bin da immer vor der Schule hingegangen. Das ist mir dann als Erwachsene wieder eingefallen, als ich immer wieder in die Abtei Pertlstein gefahren bin.
Sie haben als Studentin für die Caritas bei Prälat Leopold Ungar gearbeitet. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?
Barbara Coudenhove-Kalergi: Leopold Ungar war sicher eine der wichtigen Figuren im Österreich der 50er Jahre. Er war ein großer Karl-Kraus-Anhänger und ist in der englischen Emigration Priester geworden. Er hat aus der Caritas, einer damals „besseren Suppenküche“, wie er gesagt hat, das gemacht, was die Caritas heute ist.
Er war ein unglaublich geistreicher und witziger Mann, der in das traditionelle katholische Milieu nicht wirklich hineingepasst hat, aber uns damals sehr inspiriert hat. Insofern hat sich der Kreis geschlossen, weil ich jetzt wieder für die Caritas arbeite und einen Deutschkurs für Asylwerber halte. Damals habe ich als Hilfskraft im Büro von Caritas-Direktor Ungar angefangen und heute gehe ich in die Baumannstraße, das Bildungszentrum der Caritas.
Hat dieses Engagement – Deutschkurse für Asylwerber zu halten – mit Ihrer persönlichen Lebensgeschichte zu tun?
Barbara Coudenhove-Kalergi: Einerseits schon, weil ich selber als Flüchtlingskind nach Österreich gekommen bin. Damals waren die Leute sehr viel ärmer, als wir es heute sind. Ich denke mir oft, wenn wir damals so behandelt worden wären, wie wir heute die behandeln, die zu uns kommen, wären wir wahrscheinlich allesamt im Kriminal gelandet.
Heute ist es ja so, dass die Asylwerber, auch wenn sie hervorragend qualifiziert sind, nichts arbeiten dürfen. Das ist etwas, das mich unglaublich wütend macht. Ich habe mir dann gedacht: Nur Keppeln nützt auch nichts, gescheiter ich tu was. Wenn die Leute Deutsch können, haben sie zumindest eine Chance, weiterzukommen.
Ihr Mann Franz Marek war Kommunist. Wie hat Sie das als bekennende Katholikin beeinflusst?
Barbara Coudenhove-Kalergi: Das fragen viele: Wie passt das zusammen? Nach dem Krieg waren die Kommunisten eine kleine Minderheit, Menschen, die aus der Emigration oder dem KZ zurückgekommen sind. Mein Mann war den ganzen Krieg über im Widerstand in Frankreich und ist im letzten Moment der Hinrichtung entkommen.
Damals hat für viele die utopische Hoffnung geherrscht, dass es zu mehr Demokratie in den kommunistischen Ländern und mehr sozialer Gerechtigkeit in den kapitalistischen Ländern kommen könnte. Franz Marek und seine Freunde sind nach dem Prager Frühling, der von der Sowjetunion niedergeschlagen wurde, aus der Partei ausgeschlossen worden. Die Illusion des Eurokommunismus, die Verbindung von Demokratie und Sozialismus, war damit zu Ende.
Für mich waren das Christentum und die Art von Sozialismus, die sich manche Leute vorgestellt haben, kein Gegensatz. Aber ich selber hatte mit den Kommunisten nie etwas zu tun. Niemand mehr als die ehemaligen Kommunisten haben erkannt, dass das ein grauenhaftes Regime war in dem Moment, in dem es an die Macht gekommen ist.
Nach seinem Tod haben Sie sich für einige Zeit in die Abtei St. Gabriel bei Pertlstein (Südsteiermark) zurückgezogen und die Erfahrung des Klosterlebens gemacht …
Barbara Coudenhove-Kalergi: Ich war bis zur Schließung des Klosters oft und gern in Pertlstein. Das war eine Enklave von zum Teil sehr originellen und interessanten Frauen, die vor allem nach der Nazizeit dort eingetreten sind. Das ist ein Stück kirchlicher Tradition, um das mir leid ist. Aber es gibt das ja noch anderswo.
Wie sehen Sie die heutige Situation der Kirche?
Barbara Coudenhove-Kalergi: Ich finde es gut, dass wir diesen Papst haben, der den Leuten einfach zeigt, wie christliches Leben geht, und sich nicht darauf kapriziert, den Leuten zu erklären, was alles verboten ist. Mir gefällt es, wenn sich der Papst von der üblichen Diskussion zu kirchlichen Themen in den Medien fernhält und sich auf Sachen konzentriert, die jeder versteht.
Barbara Coudenhove-Kalergi wurde 1932 in Prag geboren, 1945 wurde sie als Prager Deutsche vertrieben und lebt seither in Österreich.
Nach Stationen u. a. bei der „Presse“, der „Arbeiter-Zeitung“ und bei „profil“ kam sie Mitte der 1970er Jahre zum ORF.
Bis heute ist sie ständige Kolumnistin der Tageszeitung „Der Standard“ und unterrichtet Asylwerber.
Coudenhove-Kalergis Ehemann Franz Marek (1913-1979) war führender Eurokommunist und Chefredakteur des „Wiener Tagebuchs“.
„Zuhause ist überall“:
Unter diesem Titel sind im Zsolnay-Verlag die Erinnerungen von Barbara Coudenhove-Kalergi erschienen. Äußerst lesenswert verschmilzt die Autorin darin das persönlich Erfahrene mit politischer Zeitgeschichte.
Barbara Coudenhove-Kalergi Zuhause ist überall
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