"Durch Tätowierungen drücken Menschen aus, was sie glauben und was ihnen wichtig ist," so Christopher Paul Campbell
"Durch Tätowierungen drücken Menschen aus, was sie glauben und was ihnen wichtig ist," so Christopher Paul Campbell
Tätowierungen sind mehr als nur Hautkunst – sie können Ausdruck von Glauben und Identität sein und sogar die Pastoral bereichern. Im Gespräch offenbart der Theologe Christopher Paul Campbell seine Faszination für diese Glaubenszeichen auf der Haut und erklärt, was Sakramente mit einem Spiegelei verbindet.
Movi: Du hast ein Buch über das Christentum und Tätowierungen geschrieben und als Leiter des „Quo vadis?“ 2023 eine Gratistattooaktion veranstaltet – obwohl du selbst kein Tattoo hast. Woher kommt deine Begeisterung für das Thema?
Christopher Paul Campbell: Tätowierungen sind eine Investition in den eigenen Körper und bringen etwas auf einen Punkt – durch einen Schriftzug, ein Bild oder einfach, indem sie einen Teil des Körpers hervorheben. Mich interessiert, wie Menschen mit ihrem Körper, der ja auch Zeichen Gottes ist, umgehen. Egal, ob du dich im Bräunungsstudio bräunen lässt, plastische Chirurgie machst, dich schminkst oder eben dich tätowieren lässt.
Du näherst dich dem Thema von theologischer Seite an. Wie passen Christentum und Tätowierungen eigentlich zusammen?
Durch Tätowierungen drücken Menschen aus, was sie glauben und was ihnen wichtig ist. Da wird der Bezug zur Religion schon deutlich. Die Tätowierung hat außerdem historische Wurzeln im Christentum, zum Beispiel die Jerusalemer Pilgertätowierung. Es gibt auch bekannte Figuren der Kirchengeschichte, die Tätowierungen hatten, etwa den Mystiker Heinrich Seuse. Und dann darf man natürlich nicht vergessen, dass der Körper Gegenwart der Ebenbildlichkeit Gottes ist. Gott selbst schreibt sich in viele Dinge ein. Man denke zum Beispiel an die zehn Gebote, die in Steintafeln eingemeißelt wurden. Dieses Einschreiben, dieses leiblich präsent werden von Gott, das ist einer seiner Wesenszüge. Wir Menschen haben dafür unseren Körper. Natürlich müssen wir den gestalten.
Aus deiner Erfahrung: Sind Tattoos eher ein Thema für Jüngere oder interessieren sich ältere Menschen genauso dafür?
Wir haben bei unserer Tattooaktion eine Frau tätowiert, die 79 Jahre alt war. Ihre Enkelin hat sich tätowieren lassen, aber die Mutter des Mädchens findet Tätowierungen nicht gut. Die Dame wollte sich mit ihrer Enkelin solidarisieren und hat sich deshalb ein Tattoo stechen lassen. Tattoos sind überall angekommen! Ich finde der christliche Umgang mit Tätowierungen könnte auch eine Art Aufklärungsarbeit sein: An deinem Körper kannst du ein Zeichen nur einmal an einer Stelle festsetzen – und das trägst du dann für immer mit dir. Da ist es wichtig, zu überlegen, hinter welchem Zeichen man für immer stehen kann.
In unserem Firmbehelf „Feuer und Flamme“ gibt es eine Methode, in der Firmkandidat*innen gefragt werden, was Jesus sich tätowieren lassen würde. Was würdest du darauf antworten?
Das ist sehr interessant: Jesus wird ja oft mit den Wundmalen dargestellt. Diese Wundmale haben eine Ähnlichkeit zu Tätowierungen, denn beides sind Zeichen. Zu dieser Zeit wurden Tätowierungen von den Römern genutzt, um Menschen als Straftäter zu stigmatisieren und zu brandmarken. Und Jesus hat diese Zeichen der Schändung umgekehrt in Zeichen der unverwüstlichen Zusage Gottes. Aber was Jesus sich tätowieren lassen würde? Ich weiß es nicht. Ich glaube aber nicht, dass es unbedingt ein biblischer Text sein müsste. Wichtig ist, dass man selbst Worte findet, die einen näher zu Gott hinführen.
Von der Firmung jetzt zu Sakramenten allgemein: Laut Sakramentenlehre verleihen Taufe, Firmung und Weihe ein „untilgbares Prägemal“, das heißt, sie können nicht ausgelöscht werden. Das klingt schon sehr stark nach Tattoo, oder?
Die Vorstellung ist, dass diese Sakramente eine existenzverändernde und unwiderrufliche Erfahrung sind. So, wie wenn man ein Ei brät – das kann man auch nicht rückgängig machen. Ich glaube, man könnte Tätowierungen in der Sakramentenpastoral neu entdecken. In der Trauerpastoral gibt es das schon: Menschen lassen sich ein Zeichen von der Oma tätowieren, wenn diese gestorben ist. Andere lassen sich nach der Geburt ihres Babys dessen Fußabdrücke tätowieren. Bei einer Zeichenhandlung, wie es die Sakramentenspende ist, könnte man Tätowierung sicher irgendwo integrieren.
Also könnten Tätowierungen einmal Teil der Liturgie werden?
Vielleicht eher andersherum: So wie Priester auf Taufgespräche vorbereitet werden, könnte man Tätowierer auf Tätowierungen vorbereiten, die in eine religiöse Handlung eingehen sollen. Damit sie begreifen: Es gibt Tätowierungen, die sind so wie Alltagskleidung und es gibt Tätowierungen, die aus anderen Intentionen gestochen werden. Mit denen gehe ich auch anders um. Vielleicht habe ich dann zum Beispiel eine Tätowiermaschine, die gesegnet wurde.
Das heißt, du würdest Tätowierer*innen auch in das seelsorgerliche Handeln miteinbeziehen?
Ich möchte eine Begegnung erzählen, die ich mit einem Tätowierer aus Köln hatte. Er hat ein Ehepaar beraten, dessen 3-jährige Tochter bei einem Unfall verstorben ist. Eine furchtbar tragische Situation. Die Eltern wollten sich die Lebensdaten des Kindes tätowieren lassen. Und der Tätowierer meinte dann: ‚Euer Kind ist mehr als Zahlen. Was ist euch wichtig gewesen?‘ Sie haben ihm von einer Wendeltreppe in ihrem Haus erzählt, wo sich das Kind immer hochgezogen hat. Dann hat er empfohlen, dass sie sich eine Wendeltreppe stechen lassen, die in den Himmel aufgeht. Das, was der Tätowierer hier gemacht hat, könnte man schon als seelsorgerliches Gespräch bezeichnen.
Sind Tätowierungen für die Kirche eine Chance, näher an Menschen heranzukommen, die sie sonst vielleicht nicht erreichen würde?
Ja, Kirche kann so wieder mitten in die Gesellschaft kommen. Es sollte aber nicht so sein wie im Krankenhaus, wo die Seelsorger vom medizinischen Personal getrennt agieren. Die theologische und seelsorgerliche Kompetenz muss bei den Leuten sein, die direkt den Körper berühren – Tätowierer, Friseure, wer auch immer! Ich habe noch nie einen Tätowierer getroffen, der nicht sofort kapiert hat, was dieses ganze religiöse Gedöns mit der Tätowierung zu tun hat. Noch nie. Kirche sollte sie damit nicht alleine lassen.
Zur Person:
Christopher Paul Campbell (geb. 1982) ist Theologe und Autor. In seinem Buch Tattoo & Religion. Die bunten Kathedralen des Selbst (2019, Wunderhorn Verlag) beleuchtet er die enge Verbindung zwischen Glaube und Tätowierungen. 2023 sorgte er als Leiter des Wiener Begegnungszentrums „Quo vadis?“ mit einer Gratis-Tattooaktion für großes Aufsehen.
Movi – Die Zeitschrift der Jungen Kirche,
Dieses Interview stammt aus dem Movi (Ausgabe 2/2025: Das ist mein Leib).