"Vor Ort sagt man: Wenn die Kamele sterben, sterben auch die Menschen", schilderte der Caritas-Helfer Raphael Thurn-Valsassina.
"Vor Ort sagt man: Wenn die Kamele sterben, sterben auch die Menschen", schilderte der Caritas-Helfer Raphael Thurn-Valsassina.
Kamelsterben bedeutet Alarmstufe Rot für Nomadenvölker. Caritas Österreich leistet in Dörfern Nothilfe mit Nahrung und Wasser.
"Die internationale Gemeinschaft verschläft die Hungerkatastrophe in Ostafrika": Diesen ernüchternden Eindruck hat Raphael Thurn-Valsassina, Katastrophenhelfer der Caritas Österreich, von der aktuellen Situation im Norden Kenias.
Der Niederösterreicher befindet sich derzeit auf der Rückreise von einem dreiwöchigen Einsatz aus der Region Marsabit, wo das kirchliche Hilfswerk verstärkt tätig ist. Die Folgen der Dürre seien bereits heute entsetzlich und eine weitere Zuspitzung sei unausweichlich, doch sehe man vor Ort noch keine Hilfe der Vereinten Nationen, erklärte Thurn-Valsassina am Freitag, 31. März 2017, im Telefoninterview mit "Kathpress" aus Nairobi.
Offiziellen Angaben zufolge sind derzeit allein in Kenia 2,7 Millionen Menschen von einer Hungerkrise betroffen, wobei diese Zahl im April auf vier Millionen ansteigen dürfte. Auch den unmittelbaren Nachbarländern in Ostafrika und der Sahelzone macht der Ausfall der Regenperiode seit Ende des Vorjahres schwer zu schaffen: Die "schlimmste humanitäre Katastrophe seit 1945" bahne sich an, warnte UNO-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien kürzlich. Gebe es keine substantielle Erhöhung der Hilfe und weiterhin keinen Zugang für Hilfsorganisationen zu den Notstandsgebieten, würden bis zu 20 Millionen Menschen an Hunger sterben, schlug O'Brien beim Weltsicherheitsrat Alarm.
Im dürregeplagten Nordkenia seien vor allem die von Tierzucht lebenden Nomadenvölker die Betroffenen, berichtete Thurn-Valsassina. Die Wasserpumpen könnten den ausbleibenden Regen nicht mehr wettmachen und die Weideflächen reichten nicht mehr, weshalb bereits ein Massentiersterben eingesetzt habe. In den am meisten beeinträchtigten Orten seien mehr als zwei Drittel der Herden verendet, wobei nach Schafen und Ziegen nun sogar die eher an Trockenheit gewohnten Kamele an der Reihe sind. "Vor Ort sagt man: Wenn die Kamele sterben, sterben auch die Menschen", schilderte der Caritas-Helfer.
Immense Bedeutung haben die Tiere deshalb, da die Milch und das Fleisch die Ernährungs- und auch Einkommensgrundlage der ohnehin armen Landbevölkerung sind. Ihre Existenz - auch die noch lebenden Tiere sind krank und geben kaum Milch - ist für die Nomaden und Halbnomaden damit auch eine Frage ihres eigenen Überlebens. Er habe in den Nomadendörfern bereits etliche sterbende Menschen angetroffen, die wegen Unterernährung an völliger Erschöpfung und einer nicht mehr heilbaren Durchfallerkrankung litten; es seien vor allem Alte und Kinder, sagte Thurn-Valsassina: "Die Menschen warten in den Dörfern nur noch auf Hilfe, doch sie kommt nicht."
Ursache der Katastrophe ist laut übereinstimmender Expertenmeinung der Klimawandel, der schon 2010 und 2011 zu einer großen Dürre und Hungersnot geführt hat. Die aktuelle Krise kündigte sich bereits im Vorjahr an, als im Oktober und November die kürzere der beiden jährlichen Regenzeiten ausfiel. Die frühen Warnungen seien damals international nicht gehört worden, und genauso wurden auch Vorkehrmaßnahmen wie das rechtzeitige Tierschlachten verabsäumt, so Thurn-Valsassina. Jetzt drohe auch die im April übliche große Regenperiode auszufallen, die sonst die Savanne sprießen lässt und den Tieren Nahrung gibt. Das Schlimmste sei nun zu befürchten.
Für die im kenianischen Marsabit aktive Caritas Österreich hat momentan die Nothilfe in den Dörfern Vorrang: Es geht um die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Nahrung, wobei über eine lokale Partnerorganisation Pakete mit dem Notwendigsten der Grundversorgung - enthalten sind Bohnen, Maismehl, Milch für die Kinder sowie Öl - ausgegeben werden. "Es geht dabei vor allem um die Kalorienaufnahme", schilderte der Katastrophenhelfer.
Eingekauft wird die Nahrung in Kenia, um dadurch die lokale Wirtschaft und den Handel zu fördern. Es kostet umgerechnet 16 Euro, das Überleben einer sechs- bis achtköpfigen Familie für eine Woche zu sichern, rund 1.800 Haushalte in der Region werden momentan erreicht.
Bei einem Nomadenanteil von 80 Prozent sind über zwei Drittel der 300.000 Bewohner im dünn besiedelten Marsabit von der Dürre betroffen. Gemeinsam mit der ebenfalls schon länger in der Region aktiven deutschen Schwesterorganisation werde die Caritas Österreich ihre Nothilfe mit privaten Spenden weiter aufstocken, sagte Thurn-Valsassina. Bewältigen könnten die NGOs die Krise jedoch bei weitem nicht, vielmehr sei ein internationaler Kraftakt unter UNO-Koordinierung dafür nötig.
Die Vorzeichen dafür stehen schlecht: Kürzt die USA wie von Präsident Donald Trump angekündigt ihr Entwicklungshilfe-Budget um 28 Prozent, fällt der wichtigste Geldgeber aus. Auch in der EU ist derzeit kein politischer Wille zur Hilfe zu erkennen.
An die dramatische Situation in Ostafrika und der Sahelzone hatte zuletzt auch die österreichischen Bischöfe erinnert. Bei ihrer Frühjahrs-Vollversammlung begrüßten sie die Verstärkung der Hunger-Hilfe durch die Caritas, zumal die Devise "Jetzt helfen!" lauten müsse, hieß es Mitte März. Als hoffnungsvolles Zeichen wurde dabei die "Agenda 2030" der Vereinten Nationen hervorgehoben, die den weltweiten Kampf gegen Hunger als eines ihrer 17 wichtigsten Ziele nennt. Nur durch ambitionierte und langfristige Ziele sei den Ängsten vor Globalisierung, sozialem Abstieg, Massenmigration, Klimawandel und Umweltzerstörung zu begegnen, so die Bischöfe, die in ihrer Erklärung auch die österreichische Bundesregierung in die Pflicht nahmen.
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