„Diese Sache wird nun hoffentlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient.“
„Diese Sache wird nun hoffentlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient.“
„Glyphosat“ – dieser Begriff taucht immer wieder in den Medien auf. Doch kaum jemand weiß, warum das Thema so umstritten ist. Der SONNTAG fragte nach und sprach mit Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker und Autor des aufrüttelnden Buches „Die Akte Glyphosat. Warum Konzerne die Schwächen des Systems nutzen und damit unsere Gesundheit gefährden“.
Franz ist 42. Der Vater dreier Kinder stand bis vor kurzem mitten im Leben und führte mit Begeisterung sein eigenes Unternehmen auf dem österreichischen Land. Vor wenigen Monaten schwollen seine Lymphknoten stark und schmerzhaft an. Er wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Die Diagnose ließ den sonst robusten Unternehmer aus allen Wolken fallen: Lymphdrüsen-Krebs. Ursache: unbekannt.
Warum jemand an Krebs erkrankt, lässt sich kaum feststellen. „Es liegt am Zusammenwirken verschiedener Faktoren“, erklärt der Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden im Gespräch mit dem SONNTAG.
Fest steht: „Krebs ist in Österreich die häufigste Todesursache der 30- bis 70-Jährigen. Man kann Krebs nicht zur Gänze minimieren, aber man könnte darüber nachdenken, warum sich bestimmte Krebsarten vervielfachen, darunter besonders hormonassoziierte Krebsarten wie Prostata-, Hoden- und Brustkrebs – diese sind in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen.“
Szenenwechsel in die USA, 1974: Der Agrarkonzern Monsanto lässt sich ein Pflanzengift unter dem Namen Glyphosat (Roundup) patentieren.
Eine zwielichtige Rolle spielt dabei die US-Umweltschutzbehörde EPA. Sie erlaubt die Zulassung von Glyphosat auf dem US-Markt aufgrund von Studien, die Monsanto selbst durchgeführt hat. Diese Studien sind gefälscht und verschleiern die krebserregende Wirkung der Substanz.
Als dieser Skandal in den 1980er Jahren auffliegt und vor Gericht kommt, ist Glyphosat auf dem US-Markt bereits so stark verankert, dass dieselbe Behörde, die den Skandal aufdeckte, Glyphosat einen „Persilschein“ ausstellt.
Nachzulesen sind die haarsträubenden Details dazu im akribisch recherchierten und gut lesbaren Buch „Die Akte Glyphosat“ von Helmut Burtscher-Schaden.
„Diese Entwicklung führte dazu, dass wir noch heute Glyphosat haben und es weltweit das am meisten eingesetzte Pflanzengift ist und so wahrscheinlich sehr viel Leid über Menschen und die Umwelt gebracht hat“, erklärt der Biochemiker. Und er fügt an: „Dazu wäre es nicht gekommen, wenn sich die Menschen an die Gesetze gehalten hätten, die sie selber gemacht hatten.“
Seither tobt ein Kampf zwischen Verteidigern (Chemische Industrie, Konzerne für landwirtschaftliche Produkte...) und Gegnern (Umweltschutzorganisationen, Bürgerinitiativen...). Auch in Europa wurde das Pflanzengift für Monsanto (mittlerweile eine Bayer-Tochter) zu einem Milliardengeschäft.
Die EU-Behörden übernahmen wie einst die US-EPA ungeprüft die Studien des Industrie-Konzerns. Großteils wurden die konzerneigenen (die Krebswirkung verschleiernden) Beurteilungen der Substanz wortwörtlich in die EU-Behörden-Dokumente hinein- kopiert.
Wie kann das passieren? Burtscher-Schaden: „Die Beamten werden von großen Mengen an Zulassungsdokumenten auch erdrückt und haben zu wenige Ressourcen. Das ist ein Systemproblem, das viele Zulassungsverfahren betrifft.“
Die IARC, die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. „Sie wird seither massiv angefeindet.
Die USA haben angekündigt, finanzielle Zuwendungen an die IARC einzustellen“, sagt Burtscher-Schaden. Trotz dieser Einstufung durch die IARC hat die EU-Kommission den Einsatz von Glyphosat im November 2017 für weitere fünf Jahre in der EU erlaubt.
Jetzt ist die Zivilgesellschaft gefordert. Die Initiative „Stop Glyphosat“ legte der EU-Kommission eine Million Unterschriften vor und verlangt u. a. die zukünftige Offenlegung von Industriestudien über die Wirkung chemischer Substanzen, wie Burtscher-Schaden berichtet.
Große Hoffnungen setzt er auf die österreichische EU-Ratspräsidentschaft.
Aber noch etwas gibt Hoffnung: Im August 2018 wurden dem an Krebs erkrankten Dwayne Johnson von einem US-Gericht 289 Millionen US-Dollar Schmerzensgeld durch Monsanto zuerkannt. Johnson hatte als Platzwart einer Schule jahrelang mit Glyphosat gearbeitet und ist unheilbar an Lymphdrüsenkrebs erkrankt.
Monsanto habe aus „Heimtücke“, so das Gericht, die krebserregende Wirkung verschwiegen. „Hier geht es nicht nur um mich“, sagte Johnson unter Tränen: „Diese Sache wird nun hoffentlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient.“
KOO
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