Präsident des Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit kritisiert Haltung der Stadtgemeinde zu denkmalschutzwürdiger ehemaliger Synagoge
"Soll die jüdische Vergangenheit Gänserndorfs aus dem Gedächtnis zukünftiger Generationen der Stadt gelöscht werden?" Mit dieser kritischen Anfrage hat der Präsident des Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit und katholische Theologe, Martin Jäggle, beim Fest "130 Jahre Synagoge Gänserndorf" auf einen seit Jahren schwelenden Konflikt Bezug genommen. Die ehemalige Synagoge in der Bahnstraße 60 soll laut einem Gemeinderatsbeschluss von 2014 angerissen werden und einem Parkplatz weichen. Das Bundesdenkmalamt stellte das Gebäude wegen "Gefahr in Verzug" unter Schutz, die Stadt legte als Eigentümerin des Gebäudes dagegen Beschwerde ein, eine bauhistorische Untersuchung läuft.
Er appelliere an alle zuständigen oder auch nur interessierten Personen und Institutionen, gegen diesen "Anschlag auf die Erinnerungskultur" Einspruch zu erheben, sagte Jäggle in seiner Ansprache am Freitag. Die Zerstörungen jüdischer Kult- und Kulturbauten durch das Nazi-Regime dürften in der Republik Österreich nicht weitergeführt werden.
Die Gemeinde sorge für den Erhalt des Jüdischen Friedhofs weit außerhalb der Stadt Gänserndorf, wies Jäggle hin. Es sei "völlig unverständlich, warum sich die Stadtgemeinde nicht in gleicher Weise um den Erhalt der ehemaligen Synagoge und des (20 Jahre später angebauten, Anm.) Rabbinerhauses einsetzt, die mitten in der Stadt liegen". Der emeritierte Universitätsprofessor hinterfragte, dass eine Erinnerung an jüdisches Leben weit außerhalb der Stadt möglich sei, es aber offenbar keiner Erinnerung inmitten der Stadt brauche: "Fehlt deswegen auf der Homepage der Chronik der Stadtgemeinde Gänserndorf jeglicher Hinweis auf jüdisches Leben und dessen Zerstörung?"
Jäggle erinnerte an eine von ihm im Vorjahr - als das Bundesdenkmalamt einschritt - gemeinsam mit Willy Weisz und Helmut Nausner als Vizepräsidenten des Koordinierungsausschusses formulierte Stellungnahme zugunsten des Erhalts der Gebäude der Synagoge Gänserndorf. Darin hieß es, das nach Plänen des bedeutenden Architekten Jacob Modern 1889 errichtete Gebäude sei schon allein deshalb ein schützenswertes Denkmal. Als Ort des Gebetes einer religiösen Gemeinde, die zum überwiegenden Teil nach 1938 ermordet wurde, sei es "außerdem ein historisches, unwiederbringliches Dokument". Laut Jäggle entspricht der Erhalt solcher Gebäude auch dem Wunsch des II. Vatikanischen Konzils und seiner Erklärung "Nostra Aetate" (1965) nach Berührungen der Kirche mit historischen wie lebendigen jüdischen Gemeinden, um die Wurzeln christlichen Glaubens verstehen zu lernen.
Seit dem Konflikt um die zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten wisse ganz Österreich, "wie sehr jede gesellschaftliche und politische Anerkennung der Öffentlichkeit und Sichtbarkeit bedarf", betonte der Präsident des Koordinierungsausschuss als der ältesten interreligiösen Organisation Österreichs. "Fehlen diese, werden Öffentlichkeit und Sichtbarkeit verweigert oder gar getilgt, sind alle anerkennenden Worte hohles Pathos." Ein bereits im Vorjahr in diesem Sinne an den Bürgermeister von Gänserndorf gerichtetes Schreiben des Ausschusses sei bis heute unbeantwortet geblieben, so Jäggle.
Die "Niederösterreichischen Nachrichten" (NÖN) berichteten im April 2019 über den Streitfall: Die Synagoge und das 1908 angebaute Rabbinerhaus stehe seit den 1950er-Jahren im Eigentum der Stadt, habe zuletzt ein Jugendzentrum beherbergt und stehe seit dem Sommer des Vorjahres leer. Mit dem Abrissbeschluss des Gemeinderates 2014 sei die Anbringung einer Gedenktafel als "Ort des Erinnerns" verbunden gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht hab den Schutzbescheid des Bundesdenkmalamtes aufgehoben und von der obersten Denkmalschutzbehörde einen neuen Bescheid eingefordert; das Gutachten des Amtssachverständigen der Bezirkshauptmannschaft, das umfangreiche Mängel an der Bausubstanz aufzeige, sei "zur Gänze ignoriert" worden, hieß es laut NÖN in der Gerichtsentscheidung. Nun gelte es, das Ergebnis der bauhistorischen Untersuchung abzuwarten.