Jede Generation „malt“ sich ihr Christus-Bild: Orientierung bietet immer das Neue Testament.
Jede Generation „malt“ sich ihr Christus-Bild: Orientierung bietet immer das Neue Testament.
Walter Kirchschläger, langjähriger Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Luzern (Schweiz) über Jesus Christus als Mitte des Lebens, Papst Franziskus und das Gebet.
SONNTAG: Sie fragen in Ihrem Buch: „Warum kommen die Auferstehung und ihre Heilsbedeutung in unserer Theologie so wenig vor?“. Warum?
Walter Kirchschläger: Weil wir die Heilsbedeutung Jesu in der traditionellen Theologie an den Tod binden. Wir haben gelernt, dass für die Rettung der Menschen der Tod Jesu entscheidend ist. Wenn wir das „Gotteslob“ 2013 aufschlagen, finden wir auch heute noch bei den Kreuzwegandachten die Formulierung: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.“ Diese Fixierung des Heilsgedanken im ganzen Jesus-Geschehen auf seinen Tod hat dazu geführt, dass wir sowohl das irdische Leben und Wirken Jesu als auch die Auferstehung hintangelassen haben.
SONNTAG: Muss dann nicht der „ganze“ Jesus stärker ins Bewusstsein kommen?
Walter Kirchschläger: Ja, die Bibelwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten den irdischen Jesus stärker ins Bewusstsein gerückt. Ich möchte den Tod nicht wegschieben, aber in der Liturgie wird so getan, als wäre der Karfreitag die Zäsur und dann am Ostersonntag – oh Wunder – steht er von den Toten auf. Dabei muss man vom Ostergeschehen als einer großen Einheit von Tod und Auferstehung sprechen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Offenbarungs-Konstitution „Dei verbum“ gezeigt, dass das gesamte Christus-Geschehen – Leben, Wirken, Sprechen, Handeln, Tod, Auferstehung und Geistsendung – die Botschaft Gottes für unser Heil darstellt.
SONNTAG: Papst Franziskus sagt: „Christus ist die Mitte.“ Wie kann man als Katholikin, als Katholik, diese Christo-Zentrik im Jahr 2015 konkret leben?
Walter Kirchschläger: Indem wir versuchen, in einer der heutigen Zeit und auch meiner Lebenswirklichkeit gemäßen Form ganz konkret Nachfolge Jesu zu leben. Also wirklich damit zu beginnen, die Evangelien wieder einmal ganz genau zu lesen und zu überlegen:
Was heißt das für mich heute und hier? Was heißt das für die Art und Weise, wie ich meinem Beruf nachgehe, wie ich meinen Lebensstand lebe? Wo ist das, was ich gerne Christus-Konformität nenne? Wo ist das, was sich mit der Absicht und dem Beispiel Jesu deckt? Und wo sind Diskrepanzen?
SONNTAG: Können Sie das an einem einfachen Beispiel erläutern?
Walter Kirchschläger: Jede und jeder von uns kennt die Frage von Autorität aus eigener Erfahrung und in unterschiedlicher Position. Es gibt viele Menschen, die leiden unter ihren Vorgesetzten und es gibt viele Vorgesetzte, die Untergebene haben. Dieses Spiel Oben – Unten gibt es in jedem Beruf, in der Gesellschaft, in der Kirche, in der Politik, in der Familie.
Wie gehen Sie als Christin, als Christ mit der Ihnen übertragenen oder zustehenden Autorität um?
Wie gehe ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um?
Schauen Sie einmal, was in den Evangelien über Autorität steht. Wie ist Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern umgegangen? Welche Weisung hat er ihnen dazu mitgegeben?
SONNTAG: Was den Lebensstil anlangt, gibt Papst Franziskus ja ständig Steilvorlagen...
Walter Kirchschläger: Man kann sich fragen: Ist die Art und Weise, wie ich lebe, mit der sogenannten „Armen“-Existenz eines Christen, einer Christin vereinbar?
Das führt uns ja der Bischof von Rom, Franziskus, vor. Das heißt jetzt ja nicht, dass ich alles ausziehe und nur bloßfüßig weiterlebe. Das kann es allerdings sehr wohl für einzelne Menschen heißen. Bischof Franziskus fährt auch mit einem Auto, aber er fährt prinzipiell nur mit einem Gebrauchtwagen, nicht mit einer Karosse. Wenn er mit anderen fährt, dann können Sie sicher sein, dass er im kleinsten Auto drinnensitzt.
SONNTAG: Lebensstil meint ja nicht nur die Frage nach dem Auto...
Walter Kirchschläger: Sie können das weiterdenken, etwa mit der Ernährung. Jesus von Nazareth hat natürlich nichts über Ernährung gesagt, etwa „Du musst Veganer oder was immer sein.“ Aber ich kann das Prinzip dort ableiten.
Was verträgt es, was ist sinnvoll? Ich werde trotzdem mit dem Flugzeug fliegen. Ich werde aber, selbst wenn ich es mir leisten könnte, überlegen, ob ich erste Klasse fliege.
Es geht um die vielen kleinen Dinge. Schlicht um Orientierung an Jesus Christus.
SONNTAG: Sie weisen in Ihrem Buch auch auf Paulus hin, der sagt: „Betet ohne Unterlass...“ Was heißt das konkret?
Walter Kirchschläger: Ich habe in sehr jungen Jahren den Cursillo gemacht. Und eines der Prinzipien vom Cursillo lautet: Jesus Christus in den Alltag mit hineinnehmen.
Das Musterbeispiel von P. Josef Cascales damals war: Er betet um einen Parkplatz, er nimmt Jesus Christus in die Parkplatzsuche hinein. Diese Mentalität, also jetzt auf den Stephansplatz zu gehen und zu sagen: „Lieber Gott, das Wetter heute ist unter jeder Kritik.“ Und nicht sofort zu sagen: „Bitte mach‘, dass die Sonne scheint.“ Also Gott in das Leben mithereinnehmen, nach der Art eines inneren Monologs. Mir hat da ein Gespräch mit dem früheren Weihbischof Mayr aus Salzburg geholfen, Anfang der 90er Jahre, der mir gesagt hat – es ging natürlich um Bischofsernennungen: „Ich bete jeden Tag über die Erzdiözese Salzburg, um zu erfahren, was uns Gott mit dieser Entwicklung sagen möchte.“
Nicht beten um, sondern mich, mein Leben, meine Sorgen, meine Freude vor Gott zur Sprache bringen, dieses selbstverständliche Zur-Sprache-bringen, was mich bewegt. Mich bewegt die Entwicklung auf der Welt, mich kann eine Beziehung bewegen, mich kann die Situation eines meiner Kinder bewegen, weil ein Kind krank ist.
Also nicht: „Lieber Gott, mach es schnell gesund“, sondern : „Lieber Gott, du weißt, was mich bewegt. Das ist es, und darüber möchte ich mit dir sprechen.“ Wenn wir das nur hinbrächten, das eigene Leben vor Gott zur Sprache zu bringen. Den Regen heute und die Sonne gestern.
SONNTAG: Beten ist also mehr als bitten...
Walter Kirchschläger: Ich meine, wir loben zu wenig. Beten ist für uns ein Synonym für „bitten“ geworden. Und das nimmt manchmal bizarre Züge an. Der liebe Gott als ein Moment-Gott, der sofort helfen soll. So einfach ist das nicht.
Ursprünglich heißt Gebet – auch in den Psalmen – Gott das Lob zu sagen. Das tun wir zu wenig. Als einzigen Vorsatz habe ich in meinem Buch geschrieben: Ich schlage vor, dass wir einmal am Tag Gott loben.
Nicht gleich sofort wieder für etwas, sondern um seiner selbst, damit wir uns auch bewusst bleiben: Über wen sprechen wir, wenn wir Gott sagen?
Dr. theol. Walter Kirschschläger | |
Dr. theol. Walter Kirchschläger war von 1970 bis 1973 Sekretär von Kardinal Franz König, 1972 bis 1979 Universitätsassistent in Wien, 1980 bis 1982 Leiter der Theologischen Kurse und des Fernkurses für Theologische Bildung und von 1982 bis 2012 Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Luzern. Aus ca. 1.200 Reden seines Vaters Rudolf Kirchschläger, Bundespräsident von 1974 bis 1986, hat Walter Kirchschläger in dem Buch „Rudolf Kirchschläger. Ins Heute gesprochen“ (Styria-Verlag) eine Auswahl zusammengestellt. In seinem Buch „Christus im Mittelpunkt. Impulse für das Christsein“ (Styria-Verlag) zeigt Walter Kirchschläger, dass Christin- oder Christsein ein Lebensentwurf ist, in dem Jesus Christus die Mitte ist, der stete Bezugspunkt des Lebens. Diese zentrale Wahrheit des Christentums wird in Beziehung gestellt zum Wirken des gegenwärtigen Bischofs von Rom, Papst Franziskus, zu Papst Johannes XXIII. und zu den Impulsen des Zweiten Vatikanischen Konzils. |
Walter Kirchschläger Christus im Mittelpunkt
Impulse für das Christsein |
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Walter Kirchschläger Rudolf Kirchschläger. Ins Heute gesprochen
2015, Styria Premium |
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