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16.03.2016 · Caritas

Konfliktforscher Rothfuß: "Die Flüchtlingskrise war vorhersehbar"

Rainer Rothfuß über die Hintergründe des Syrien-Konflikts

"Eine politische Lösung für Syrien hätte es schon vor drei oder vier Jahren geben können", sagt Rainer Rothfuß.

"Es war bekannt, dass die Staaten im Umfeld Syriens und des Irak mit den Flüchtlingsmassen überfordert waren. Die westlichen Staaten sind ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden", sagt Konfliktforscher Rainer Rothfuß im SONNTAG-Interview.

Merken Sie eine Tendenz, dass interreligiöse Konflikte zunehmen?


Rainer Rothfuß: Sie nehmen seit einigen Jahren zu. Auch zu der Zeit des Kalten Krieges gab es schon interreligiöse Konflikte, nur standen sie nicht im Rampenlicht der Medien und damit auch nicht der öffentlichen Wahrnehmung. Seit diese Auseinandersetzung zwischen den ideologischen Blöcken in Ost und West weggefallen ist, sind verstärkt kulturelle und religiöse Komponenten in den Vordergrund der internationalen Politik gerückt und heute zunehmend Gegenstand von Spannungen. Allerdings lässt sich feststellen, dass die These vom "clash of civilizations", vom Kampf der Kulturen, die Samuel Huntington Anfang der Neunzigerjahre präsentiert hat, nicht nur eine sachliche Trendanalyse zukünftiger Konflikte ist. Sie wurde letztendlich auch ein politisches Programm, womit Spannungen zwischen Kulturen stärker angefacht wurden, als sie es bei gezielt versöhnender Politik hätten sein müssen.

Wem nützt das?


Rainer Rothfuß: Das lässt sich pauschal nicht sagen. Da müssen wir die einzelnen Konflikte anschauen. Aber Fakt ist, dass Politik letztendlich sich immer durch Zuspruch aus der Bevölkerung legitimiert, d.h. Strömungen, auch zum Beispiel im Bereich des religiösen Extremismus, spiegeln sich natürlich in der Politik wieder. Die Politik muss darauf reagieren, um nicht irgendwann Gefahr zu gehen, wie während des Arabischen Frühlings in einigen Staaten der Fall, hinweggefegt zu werden. Säkulare autoritäre Regime, die nicht mehr den erstarkten islamistischen Kräften im Nahen Osten Rechnung getragen haben, sondern als Verräter an der Kultur, am Glauben dargestellt werden konnten, hatten in der Bevölkerung den Rückhalt verloren. In Ägypten hat die Muslimbruderschaft, die davor verboten war, sehr stark an Terrain gewonnen und wurde aus diesen Strömungen der Bevölkerung heraus zunächst an die Macht gespült. Wenn die Bevölkerung stärker religiös ist, dann spielt die religiöse Komponente sehr stark in diese Prozesse hinein.

Kann eine andere Komponente eine Rolle spielen?

 

Rainer Rothfuß: Wenn wir in den generellen Konflikt im Nahen Osten, insbesondere Syrien und Irak hineinschauen, dann ist zu sehen, dass die verschiedensten Mächte von außen kommend versuchen, sich Zugriff auf die erdölreichste Region des Planeten zu sichern. Über einen Stellvertreterkonflikt wird versucht, einzelne Regierungen zu destabilisieren, um Zugang zu den Erdölressourcen zu gewinnen. Diese Komponente erklärt sehr stark den Syrienkonflikt. Denn da geht es nicht in erster Linie um eine Auseinandersetzung zwischen der Regierung und nationalen Oppositionskräften, wie uns in den Medien glauben gemacht wird, sondern um einen Stellvertreterkonflikt, bei dem die Türkei und Saudi-Arabien mit Rückendeckung der USA und der NATO probieren, die Regierung Assad zu stürzen. Diese wird dem schiitischen Wirkungskreis des Irans zugerechnet, damit auch der Einflusssphäre Russlands und Chinas. Deswegen wird sie seitens des Westens und der sunnitischen Nachbarstaaten bekämpft.

Wie sieht die Situation der religiösen Minderheiten in Syrien aus?

 

Rainer Rothfuß: Solange das autoritäre, aber doch säkulare Regime Assads das Sagen hatte, waren religiöse Minderheiten in Syrien so sicher wie in keinem anderen mehrheitlich muslimischen Staat des Nahen Ostens. Heute gehört es zu den gefährlichsten Ländern für sie. Mit Ausbruch des sogenannten Bürgerkriegs, der eigentlich ein schmutziger Stellvertreterkrieg ist, der von externen Kräften in diesem Land ausgefochten wird, wurde der Druck auf Christen, auf Jesiden, aber auch auf Schiiten durch Terrorakte der grausamsten Art und Weise der verschiedenen Terrormilizen erhöht. Ich spreche nicht nur vom Islamischen Staat, auch von anderen Terrormilizen unter islamistischer Flagge, die samt und sämtlich aus dem Westen Unterstützung in verschiedenster Art erfahren haben: teilweise durch Waffen, durch Finanzierung und Ausbildung, teilweise durch Ölhandel mit dem Islamischen Staat durch die Türkei. Durch diese Gruppen wurde Syrien zu einer Hölle für religiöse Minderheiten.

Thema Flüchtlingskrise. Warum sagen Politiker "Es kam überraschend auf uns zu"?


Rainer Rothfuß: Weil sie nicht eingestehen wollen, dass sie geschlafen, dass sie nicht verantwortungsvoll gehandelt haben. Denn Experten in den jeweiligen Außenministerien, vor allem in den Geheimdiensten, aber auch in den Universitäten wussten seit Jahren um die drohende Flüchtlingskrise. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR wusste sehr gut Bescheid.


Es war bekannt, dass die Staaten im Umfeld Syriens und des Irak mit den Flüchtlingsmassen überfordert waren. Die westlichen Staaten sind ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Die gesamte Weltgemeinschaft hat das UNHCR nicht entsprechend mit Finanzmitteln ausgestattet, damit es für die Flüchtlinge sorgen konnte. Als im Juni 2015 die Ausgaben für das Essen, für die Versorgung der Flüchtlingsfamilien in den UN-Flüchtlingscamps fast auf die Hälfte reduziert wurden, war es klar, dass die Not unerträglich wird und Flüchtlingsströme Richtung Europa einsetzen werden. Dass unsere Außengrenzen schlicht und ergreifend nicht zu schützen sind – bei 3200 Inseln in der Ägäis, sollte auch nicht überraschen.


Nicht zu verzeihen ist, dass man sagt, es war nicht vorhersehbar. Es wurde grob fahrlässig gehandelt seitens der Politik, von der die Bürger erwarten dürfen, dass langfristig Probleme vorhergesehen und entsprechend frühzeitig Maßnahmen getroffen werden.

Welche Maßnahmen hätten getroffen werden müssen?


Rainer Rothfuß: Wir hätten den Syrien-Konflikt bereits viel früher beenden müssen. Schon 2012 hatte der russische Präsident Putin dazu aufgerufen, alle Parteien sollen sich an einen Tisch setzen und es solle mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad  eine politische Lösung ausgehandelt werden. Aber die westlichen Staaten waren sich ihres Sieges über das Assad-Regime zu sicher. Sie hatten auf ihrer Seite schließlich den übermächtig scheinenden Islamischen Staat, dessen Entstehen im August 2012 dem Westen schon bekannt war, wie Militär- und Geheimdienstdokumente der USA aus dieser Zeit belegen. Trotzdem wurde akzeptiert, dass aus Libyen, das durch westliche Bombardements zerstört worden war, die Waffendepots sich in Richtung Syrien entleerten und mithilfe der Türkei über die Grenze geschmuggelt wurden. Man war sich sicher, Assad würde nicht mehr lange durchhalten.


Man hätte viel früher an den Verhandlungstisch gehen müssen, ohne diese gebetsmühlenartig auch heute noch wiederholte Bedingung "Assad muss weg!". Die Forderung kann niemand legitim von außen stellen, denn nach internationalem Völkerrecht ist es nun einmal so, dass die Bevölkerung eines Landes in freien Wahlen über ihre Regierung entscheiden können sollte. Das hat Syrien mehrfach getan und Assad hat nun Neuwahlen für April 2016 zugesagt. Solche Wahlen müssen international beobachtet und kontrolliert werden, so dass sie offen, frei und ehrlich sind. Eine solche Lösung hätten wir auch schon vor drei oder vier Jahren ohne Hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge haben können, wenn der Wille zur gemeinsamen Verhandlung und zur Respektierung der syrischen Souveränität da gewesen wäre.

erstellt von: Der SONNTAG / Markus Langer
16.03.2016
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Zur Person

Dr. Rainer Rothfuß ist Geograph und Konfliktforscher. Als Professor für Politische Geographie leitete er von 2009 bis 2015 eine Arbeitsgruppe an der Universität Tübingen, die sich insbesondere mit interreligiösen Konflikten zwischen Muslimen und Christen in Afrika und im Nahen Osten beschäftigte.
Derzeit ist er als unabhängiger Berater für Fragen der religiösen Verfolgung, Flüchtlingshilfe und Geopolitik für verschiedene Organisationen international tätig.


 

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Barbara Ruml: Evangeliumsauslegung zum 4. Sonntag der Osterzeit (3.5.2020)

Begegnung am Tiefpunkt (Joh 21,1-14)

Markus Beranek: Evangeliumsauslegung zum 3. Sonntag der Osterzeit (26.4.2020)

Durch verschlossene Türen (Joh 20,19-31)

Sr. Franziska Madl OP schreibt ihre Gedanken zum Evangelium zum Sonntag der Barmherzigkeit (19.4.2020)

Vorurteil oder nicht? Die Kirche ist mächtig

Die eigentliche Macht der Kirche sind aber das Wort und die Tat.

Vorurteil oder nicht? Wasser predigen und Wein trinken

Was meint die Rede von der „glücklichen Schuld“ in der Osternacht?     

„Die Diagnose war der Anfang, nicht das Ende“

Diagnose Brustkrebs: Über ein Jahr lang  kämpft die zweifache Mutter mit der Erkrankung, erfolgreich.

Keine Sympathie für Pilatus (Mt 27,1-26)

Elisabeth Birnbaums Evangeliumsauslegung zum Palmsonntag (5.4.2020)

Vorurteil oder nicht? Die Kirche ist konservativ.

Ist die Kirche zu konservativ?

Durchkreuzt: Keine Antwort auf das Warum?

Ein Gott, bei dem uns alles klar wäre, ist nicht der Gott Jesu Christi.

Auferweckung ist nicht gleich Auferstehung (Joh 11, 3-7.17.20-27.33b-45 )

Br. Günter Mayer SDB: Evangeliumsauslegung zum 7. Fastensonntag (29.3.2020)

Vorurteil oder nicht? Ignoranz und Vertuschung

Der Skandal des Vertuschens

Weihbischof Turnovszky: Unser aller Leben hat sich schlagartig verändert

Corona und die Folgen, Weihbischof Turnovszky zur aktuellen Lage und wie sich auch sein Tagesablauf verändert hat.

Fürchtet euch nicht

Vom Umgang mit der Angst

Jetzt ist die Zeit der anderen Backe

Darauf müssen wir uns einfach einstellen. Lassen wir die Unduldsamkeit an der Liebe zerschellen!

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Freude einüben, Leben schöpfen (Joh 9,1)

Barbara Ruml: Evangeliumsauslegung zum 4. Fastensonntag (22.3.2020)

Christus, Heil der Kranken...

Es ist nicht mangelndes Gottvertrauen wenn wir medizinisch vorsichtig sind

Lebendig (Joh 4,5-26. 39a. 40-42)

Markus Beranek: Evangeliumsauslegung zum 3. Fastensonntag ( 15. März 2020)

Vorurteil oder nicht? Die Kirche ist: Verstaubt oder zeitgemäß?

Ist der Glaube und die Kirche überhaupt (noch) zeitgemäß.

Nach 66 Tagen.

Ein Kind, das lebensverkürzend erkrankt, verändert eine ganze Familie und die Hospizarbeit in Österreich.

Vorurteil oder nicht?: Nur Kinder, Küche und Kirche?

Welche Rolle spielen die Frauen in der Kirche? Sind Frauen generell spiritueller als Männer?

Hoffnung und Trost aus Stein und Glas?

Es macht nachdenklich, wenn Kirchen in Zeiten von Angst und Verunsicherung gesperrt werden.

Es ist gut, dass wir hier sind! (Mt 17, 1-9)

Sr. Franziska Madl OP: Evangeliumsauslegung zum 2. Fastensonntag (8.3.2020)

„Passionswege“ durch die Fastenzeit: Völlig allein gelassen

Die Geschichte eines Missbrauchs: Mit einem Mal ist die Zeit wieder präsent. Die Ereignisse liegen 40 Jahre zurück.

Genau hinschauen (Mt 4, 1-11)

Markus Muth und Michael Haller schreiben ihre Gedanken zum Evangelium zum 1. Fastensonntag, (1. März 2020)

Vorurteil oder nicht?: Zwischen Glaube und Geld

Den gängigsten Vorurteilen gegen die katholische Kirche auf den Grund gegangen.

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Neuer Online-Auftritt und wöchentliches Digital-Abo

Der SONNTAG in der Offensive

Selfie schicken und gewinnen

Hilfe für unbegleitete Flüchtlinge in Bosnien

„Pfarrnetzwerk Asyl“ hilft jugendlichen  Flüchtlingen konkret vor Ort in der Stadt Bihac.

Gesund durch den Winter mit Hildegard von Bingen. 7: Mit neuer Kraft ins Frühjahr

Expertin Brigitte Pregenzer gibt Tipps für eine wohltuende Reinigungskur, für Pollen-Allergiker und bei Frühjahrsmüdigkeit.

Gelassen pilgern durch das Weinviertel

Auf 153 Kilometern führt der „Jakobsweg Weinviertel“ von Drasenhofen nach Krems.

„Wir wollen nicht nationale Not gegen andere ausspielen“

Interview mit Andreas Knapp, Auslandshilfechef der österreichischen Caritas.

„In der Bibel ist immer Fasching“

Auch wenn der Fasching keine explizit kirchliche Erfindung ist, offensichtlich gibt es durchaus biblische Anleihen für ausgelassenes Feiern.

Genussvoll glauben: Immer der Nase nach

In dieser Ausgabe widme ich mich den Freuden, die wir uns durch Gerüche und Düfte bereiten können.

Nicht schon wieder! (Mt 5,38-48)

Elisabeth Birnbaums Evangeliumsauslegung zum 7. Sonntag im Jahreskreis (23.2.2020)

Neue Lektüre für Klein und Groß

Warum auch Erwachsene das eine oder andere Kinder- und Jugendbuch unbedingt zur Hand nehmen sollten, haben wir uns für Sie angeschaut.

Was tun bei Demenz?

Kurse und Lehrgänge vermitteln grundlegendes Wissen und einige hilfreiche Methoden und Ideen für einen stressarmen Alltag

Durchkreuzt: Einfach da sein dürfen vor Gott - ein Interview

Schicksalsschläge werfen oft aus der Bahn. Benediktinerpater Martin Werlen im Interview

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