Ausblick: Auf 69 Metern Höhe befindet sich die Türmerstube des Linzer Mariendoms
Ausblick: Auf 69 Metern Höhe befindet sich die Türmerstube des Linzer Mariendoms
Vor 600 Jahren wurde der berühmte Einsiedler Klaus von der Flüe geboren. Stille, Einsamkeit und Gebet sind heute wieder verstärkt gefragt – wie ein Blick in die Turm-Eremitage des Linzer Mariendomes zeigt.
395 Stufen führen hinauf zur Türmerstube im Linzer Mariendom, zwei Wendeltreppen aus Stein sind zu erklimmen, dann weitere Treppen über ein Metallgerüst. Höhenangst darf man hier nicht haben. Nach oben geht es vorbei an offenen Fenstern, durch die der Glockenschall hinausdringt. Von unten ist das Rauschen der Stadt zu hören. Immer kleiner werden Bäume, Dächer, Menschen. Schließlich ist die Tür zur Türmerstube erreicht. In dem kleinen Zimmer hoch über der Stadt herrscht völlige Stille.
Seit acht Jahren gibt es die Möglichkeit, sich im Linzer Mariendom, hoch oben über der Stadt, für eine Woche lang zurückzuziehen. „Die Idee zum Eremitenprojekt entstand als bewusster Gegenpol zu den vielen Events des Linzer Kulturhauptstadtjahres 2009“, erzählt Hubert Nitsch, Kunstreferent und Diözesankonservator der Diözese Linz und Erfinder des Projekts.
Bei einer Besichtigung des Domturmes entdeckte Nitsch einen Verschlag. Von diesem aus haben Jugendliche im Zweiten Weltkrieg die Stadt beobachtet und Bombentreffer lokalisiert, um per Funk Feuerwehr und Rettung an die betroffenen Stellen in der Stadt zu führen.
Heute erkunden hier Männer und Frauen, die bereit sind, auf kleinem Raum eine Woche in Stille zu verbringen, das weite Land ihrer Seele.
Diesen Schritt wagte Martin Patrasso im Dezember 2014. „Ich habe mir erwartet, dass es ruhig wird, dass ich fern bin von allem Trubel. Kein Mobiltelefontelefon zu benützen – das war fast das Angenehmste. Die Woche da oben war ein richtiges Abschalten und Wegkommen vom stressigen Alltag“, erinnert sich der medizinisch-technische Radiologieassistent am Kepler-Klinikum. Martin Patrasso plagten bei seinem Eintreten in die Woche als Turmeremit aber auch so manche Zweifel und Ängste: „Halte ich das eine Woche durch?“
Die Türmerstube besteht aus neun Quadratmetern in 69 Metern Höhe. Ein Tisch, ein Bett, ein Fenster, gegenüber ein kleiner Küchenblock mit zwei Kochplatten und Wasser, in der Ecke die Tür zur Toilette.
Was macht ein Eremit den ganzen Tag? Martin Patrasso: „Nach dem Aufstehen habe ich gefrühstückt und bin dann noch eine Stunde lang dagelegen. Ich habe die Lange-Weile genossen und mir Gedanken gemacht, die Gedanken kommen und gehen lassen.“ Einmal am Tag steigt der Eremit/die Eremitin die vielen Stufen hinunter, nimmt am Mittagsgebet in der Krypta teil und trifft sich zum Gespräch mit einem geistlichen Begleiter/einer Begleiterin. Bevor er/sie wieder hinaufsteigt, bekommt er noch einen Rucksack mit Proviant mit.
Am Abend haben die Eremiten Zugang zum Dom und das Gotteshaus für sich allein. „Diese unglaubliche Größe des Doms, das kleine unbedeutende Ich, das da mitten im großen Raum steht. Das hat mich schon fasziniert“, erinnert sich Patrasso. „Ich fühlte mich im Dom immer geborgen und sicher aufgehoben – vor allem am Abend war es sehr schön, wenn die Fenster erleuchtet sind.“
Einen Tiefpunkt gab es für Patrasso am dritten Tag der Einkehrwoche: „Der Himmel war bewölkt, alles war grau in grau. Ich habe mich dann in die Jägerstätter-Kapelle des Domes gesetzt. Dort gibt es sehr schöne gelb-orange-rot leuchtende Fenster. Das hat mir so gut getan, dann ging es mir wieder gut.“ Geschlafen habe er immer sehr gut und die Glocken nur in der ersten Nacht wahrgenommen.
Eine außergewöhnliche Erfahrung mit den Glocken des Linzer Mariendomes machte Josefine Zittmayr. Die Seelsorgerin begleitet u. a. Eremiten während ihrer Zeit in der Turmeremitage. „Es braucht Mut, sich dort oben für eine Woche zurückzuziehen. Ich habe gestaunt, was da vor sich gehen kann. Es laufen heilsame, gute Prozesse“, sagt Josefine Zittmayr.
Die geistliche Begleiterin verbrachte selbst eine Woche als Eremitin im Turm. „Ich ging an einem Karfreitag hinauf. Die eindrucksvollste Erfahrung war das Osterläuten. In der Osternacht hat der Turm gewackelt. Das Läuten der Glocken hat den ganzen Turm bewegt – die Auferstehung war leibhaftig zu spüren“, erzählt Zittmayr. Und: „Ich hatte keine Sekunde Sorge – das hat mich selbst überrascht. Ich wusste, dass der Turm so gebaut ist, dass die Steine so gefügt sind, dass die das verkraften.“ In dieser Osternacht schloss Josefine Zittmayr Freundschaft mit den Glocken des Mariendoms.
Die Eremitage im Linzer Mariendom ist eines wenigen Projekte des Linzer Kulturhauptstadtjahres 2009, die bis heute bestehen. Über 200 Männer und Frauen haben sich bereits im Turm für je eine Woche zurückgezogen. Die Nachfrage nach Stille, einem Raum, an dem andere Werte gelten und nach geistlicher Begleitung ist größer als erwartet.
Infos: www.dioezese-linz.at
„Allein im Turm“: Stefanie Jeller über das Projekt „Turmeremit“ im Linzer Mariendom.
Nachzuhören als Podcast von radio klassik Stephansdom: https://radio-klassik.at/allein-im-turm/
2017 gilt als Gedenkjahr für den hl. Niklaus von der Flüe, der vor 600 Jahren geboren wurde.
International wird der Heilige am 21. März gefeiert, im deutschsprachigen Raum am 25. September.
Das Geburtsjahr von Niklaus von Flüe (1417-1487) jährt sich heuer zum 600. Mal – Gelegenheit, Niklaus von Flües Persönlichkeit und seine zeitlosen Kernbotschaften neu zu entdecken: Als einer der wirkungsmächtigsten und identitätsstiftenden Leitfiguren der Schweiz ist Bruder Klaus Vorbild und weltweite Inspiration in Mystik und Spiritualität, Gesellschaft und Politik sowie als Mensch – mit seinen Stärken und Schwächen.
Niklaus von Flüe verließ 1467 mit dem Einverständnis seiner Frau Dorothee die Familie und wurde zum Einsiedler. Das jüngste Kind war damals noch kein Jahr alt, der älteste Sohn Hans jedoch schon 20, so dass er als Bauer die Familie ernähren konnte.
Niklaus pilgerte zunächst Richtung Hochrhein. Später ließ er sich in der Ranftschlucht, nur wenige Minuten von seinem Haus entfernt, als Einsiedler nieder.
In seiner Klause führte er als Bruder Klaus ein intensives Gebetsleben, der Schwerpunkt seiner Betrachtungen war die Vertiefung in das Leiden Christi.
Betrachtungsbild von Bruder Klaus, Leinwandtafel um 1475/80 gemalt. Das Meditationsbild zeigte in der Mitte Christus mit der Dornenkrone und davon ausgehend sechs Speichen und sechs Medaillons mit Szenen biblischer Heilsgeschichte. Als Radbild
fand es bald weite Verbreitung.
In den letzten 19 Jahren seines Lebens soll er außer der Eucharistie nichts zu sich genommen und lediglich das frische Quellwasser aus einem nahen Bach getrunken haben.
Durch seinen Ratschlag gelang es 1481 mit den „Stanser Verträgen“ einen Bürgerkrieg zwischen den Kantonen der alten Eidgenossenschaft zu unterbinden. Heute wird der 1669 selig und 1947 heilig gesprochene Klaus von Flüe als Landespatron der Schweiz und Schutzpatrons des Kantons Obwalden verehrt.
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E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at