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26.09.2017 · Österreich & Weltkirche · Caritas

Gewalt gegen Frauen stoppen

Es ist enorm wichtig, dass in unserer Gesellschaft alle Mädchen selbstbewusst aufwachsen und sich ihrer Rechte bewusst sind. Natürlich auch die Buben.

Gewalt gegen Frauen kennt keine Grenzen: Sie kommt bei Reichen wie Armen, Hochgebildeten und Analphabeten, bei Einheimischen und Zugereisten vor. Durch die Migrationsbewegungen kommen neue Aspekte der Gewalt, wie Zwangsheirat oder „Ehrenmorde“, in Europa immer öfter vor. Wie kann man muslimische Frauen, die von Gewalt betroffen sind, unterstützen? Antworten gibt die liberale Muslima Jasmin El-Sonbati.

 

 

Die meisten Frauen, die im ersten Halbjahr 2017 in Österreich Asyl erhielten, stammen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Sie kommen aus Kulturen, in denen Frauen meist nur wenige Rechte haben.

 

Statt eines selbstbestimmten Lebens, in dem sie sich ein eigenes soziales Umfeld aufbauen und einen Beruf ausüben, ist ihr Leben in Österreich vielfach auf einen engen familiären Zirkel beschränkt, in dem Männer das Sagen haben und ihren Willen durchsetzen.

 

Das Rollenverständnis des Herkunftslandes unterscheidet sich oft grundlegend von der in Österreich herrschenden Gleichberechtigung der Geschlechter.

 

Expert/innen warnen davor, dass besonders vor dem Hintergrund dieses Geschlechterverständnisses auch Gewalt in der Familie ernst zu nehmen ist. Buchautorin und Lehrerin Jasmin El Sonbati tritt ebenso für einen liberalen Islam ein, der Frauenrechte stärkt und Gewalt ablehnt..

 

Wo bzw. wie erleben Frauen in Europa Gewalt am haufigsten? Zu Hause? Am Arbeitsplatz? Von ihrem Partner, ihren Eltern, ihren Vorgesetzten?

 

Wohl an all diesen Orten, aber auf unterschiedliche Weise. Gewalt kann physisch oder psychisch sein. Letzteres wohl eher am Arbeitsplatz, in der Schule, in Form von Mobbing oder aktiver Ausgrenzung. Aus Studien wissen wir, dass häusliche Gewalt, die physische also, obwohl vom Gesetzgeber unter Strafe gestellt, immer noch die „Hitliste“ anführt.


Als Muslimin, Migrantin und Aktivistin für einen liberalen Islam habe ich auf Formen von Gewalt, die sozusagen „aus meiner Ecke“ kommen, ein besonderes Augenmerk. Im familiären Kontext sind natürlich Frauen und Mädchen, Buben weniger, die ersten Opfer von Gewaltanwendung.

 

Das hat nicht unbedingt in der Religion eine Ursache, sondern in der männerdominierten Struktur der Familie. Allerdings erlaubt der Koran, da muss man ganz ehrlich sein, die körperliche Züchtigung der Frau als letzte Maßnahme bei einem Ehestreit bzw. bei „Ungehorsam“.

 

Das sind Vorgaben, die gegen geltendes Recht verstoßen und geahndet gehören, ohne die geringste Rechtfertigung. Übergriffe körperlicher Art – selbst, wenn sie im Koran legitimiert werden – sind abzulehnen, sie sind ein Verbrechen. Wie so vieles im Koran, was nicht menschenrechtskonform ist.

 

In traditionellen Familien kann auch ein psychischer Druck, vor allem auf Mädchen, ausgeübt werden. Das ist auch eine Form von Gewalt. Es wird von den Mädchen verlangt, sich auf eine bestimmte Weise zu kleiden, sich „anständig“ zu benehmen, eben „islamkonform“ oder gemäß den Sitten des Herkunftslandes.

 

Das kann zu großem seelischem Leid führen, denn die Mädchen leben in zwei Welten und sie können sich nicht entfalten, wie es ihnen eigentlich zustehen sollte.

 

Welche Frauen sind besonders gefährdet?

Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Kinder ist gegen das Gesetz. Natürlich können Menschen in Abhängigkeitsverhältnis leichter Opfer von Gewalt werden. Oder Frauen, die in einer patriarchalen Struktur leben. Für sie hat der Mann das letzte Wort.

 

Ich habe in meinem beruflichen Umfeld, also in Schulen, jedoch auch Fälle von offensichtlich selbstbewussten europäischen Müttern erlebt, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind.

 

Ich will damit sagen, dass die psychische Disposition einer Frau dazu beitragen kann, in eine wehrlose Situation zu geraten. Deshalb ist es enorm wichtig, dass in unserer Gesellschaft alle Mädchen selbstbewusst aufwachsen und sich ihrer Rechte bewusst sind. Natürlich auch die Buben.


Welche Maßnahmen kann die Politik gegen Gewalt an Frauen ergreifen?

Zunächst einmal die Gewalt gegen Frauen bestrafen, darunter müsste auch die Bedrohung von Frauen fallen. Es darf nicht sein, dass eine Frau „grün und blau“ geschlagen wird, bis der Strafbestand sozusagen offensichtlich ist.

 

Die andere Maßnahme muss in der Prävention angesiedelt sein und in der Stärkung sowie Unterstützung von Frauen, die sich nicht aus ihrem gewalttätigen Setting lösen können. Sei es aus finanziellen Gründen, um die Familie „zusammenzuhalten“, oder weil der familiäre Druck zu groß ist.


Was kann die Gesellschaft bzw. jeder Einzelne von uns gegen Gewalt an Frauen tun?
Es beschämt mich, dass wir in Österreich immer noch in einer Gesellschaft leben, wo Männer sich das Recht herausnehmen, ihre Frauen und/oder Töchter zu schlagen.

 

Aus den Erzählungen meiner Großmutter (Jahrgang 1892), meiner Tante (Jahrgang 1923) und meiner Mutter (Jahrgang 1932) weiß ich, dass zu ihrer Zeit in Altaussee, wo sie gelebt haben, Gewalt eine übliche Disziplinierungsmaßnahme war.

 

Dass es Männer im Dorf gab, die ihre Frauen geschlagen haben, erzählte man sich ganz offen. Meistens gab man der Frau die Schuld, sie habe den Mann halt so sehr provoziert, dass er keine andere „Lösung“ hatte, um sie zu bändigen. Das ist noch nicht so lange her. Wir müssen uns dessen bewusst sein.

 

Heute im 21. Jahrhundert steht physische Gewalt in Beziehungen unter Strafe, es herrscht ein allgemeines Rechtsempfinden, dass es unrecht ist.

 

Das ist ein Fortschritt, wobei es immer noch ein Problem ist. Sonst würden wir dieses Gespräch nicht führen. Aber was ich damit sagen will: Ich sehe eine positive Entwicklung in Gesellschaften, die sich von patriarchalen Strukturen entfernen und den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau verwirklichen, ja ihn in der Verfassung festhalten.

 

In Ägypten ist das nicht der Fall. Die Gesellschaft ist zutiefst patriarchal. In Österreich wurde viel erreicht, aber immer noch zu wenig. Was kann, muss die Gesellschaft und jeder einzelne tun? Diese Werte vorleben, dafür einstehen und nicht wegschauen.

 

Zwangsehen und das Verheiraten von Minderjährigen haben in Europa zuletzt wieder zugenommen, auch durch die Flüchtlingsbewegung. Was können die hiesigen Regierungen bzw. die Gesellschaften dagegen tun?

 

Das ist ein leidiges Thema und es ist eine Schande, dass wir uns im 21. Jahrhundert noch darüber unterhalten müssen, wie wir Zwangsheirat unterbinden können.

 

Die Flüchtlingsbewegungen haben das Thema wieder aufgebracht, das stimmt. Es gibt flüchtende muslimische Frauen aus Syrien, die zum Zeitpunkt der Flucht minderjährig, bereits verheiratet und sogar schwanger waren. Die Frauen kommen mit ihren oft ebenso jungen Ehemännern nach Europa. Sie hier „zwangsscheiden“ zu wollen, ist wohl nicht der richtige Weg.

 

Aber eine nichts verschleiernde Aufklärung ist unumgänglich, die minderjährige Ehefrau und der Ehemann müssen wissen, dass ihre Ehe laut hiesigem Gesetz ungültig ist.

 

Theoretisch müsste man der Frau die Möglichkeit geben, die Ehe aufzulösen. Ob sie dieses „Angebot“ annimmt, weiß ich nicht. Aber es ihr als Rechtsweg aufzuzeigen – unbedingt!

 

Wer weiß, vielleicht ist die eine oder andere Frau froh, einer zu jung geschlossenen Ehe zu entkommen und sich in Österreich ein neues Leben aufbauen zu können. Sicherlich müsste man dies mit sehr viel Fingerspitzengefühl angehen, schließlich sind die Menschen traumatisiert von der Flucht.

 

Aber ziemlich bald, wenn die ersten Befragungen rund ums Aufnahmeverfahren stattfinden, muss dies thematisiert werden. Es muss der Frau bewusst sein, dass sie andere Optionen hat.

 

Mit freundlicher Unterstützung des Österreichischen Integrationsfonds.

 

Weitere Interviews zum Thema finden Sie in der Broschürenreihe „Perspektiven Integration“ des ÖIF.

erstellt von: Der SONNTAG
26.09.2017
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Weitere Informationen:

zur Person

Jasmin El-Sonbati ist mit ihrem Projekt „Offene Moschee Schweiz“ oft zu Gast in Kirchen.

 

 

Musliminnen zwischen Tradition und Moderne

Frauenrechtlerin Zana Ramadani und Integrationsexpertin Susanne Raab sprechen über Herausforderungen bei der Integration von muslimischen Frauen.


Wann? 27. September 2007, 17.30 Uhr
Wo? Ostarrichisaal im Landhaus,
Landhaus Boulevard 1,

3109 St. Pölten

 

 

Die Zukunft des Islam in Europa: Ein Streitgespräch  

Politikwissenschaftler Hamad Abdel-Samad und Religionspädagoge Mouhanad Khorchide sprechen über die Reformierbarkeit des Islam, seine Zukunft in Europa und das Verhältnis von Religion und Demokratie.


Wann? 4. Oktober 2017, 19.00 Uhr
Wo? Radiokulturhaus,

Argentinierstr.30a,
1040 Wien


Info und Anmeldung:  Tel.: 01/715 10 51,  
Siehe auch: www.integrationsfonds.at/veranstaltungen

 


weitere Informationen zu

 

Der SONNTAG
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
1010 Wien
T +43 (1) 512 60 63
F +43 (1) 512 60 63-3970

E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at

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