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28.12.2017 · Aus der Diözese · Advent & Weihnachten

Den kritischen Punkt im Leben überstehen

Seit 2007 gibt Alexander Pointner seine Erfahrungen als Trainer und Manager im Spitzensport auch im Rahmen von Vorträgen an Unternehmen und Organisationen weiter.

Die Vierschanzentournee der Skispringer um den Jahreswechsel fasziniert die Massen. Unsere Skispringer begeistern. Zehn Jahre war Alexander Pointner der Erfolgscoach der österreichischen „Adler“. Seine Familie hat aber ein schweres Schicksal zu meistern.

 

 

Der Skispringer sitzt auf dem Balken, der Kopf senkt sich. Ein Griff zur Bindung. Die Ski sind in der Eisrinne. Unten jubeln die Massen. Ein Klopfen auf die Brust und die Oberschenkel – und los.

 

Den steilen Anlauf geht es mit 90 km/h hinunter, punktgenau abspringen, den Körper spannen. Wie ein Adler segelt der Springer vier Sekunden in der Luft und setzt nach dem kritischen Punkt, an dem der Aufsprunghang flacher wird, knallhart auf.


Olympiasiege, Weltmeistertitel, sieben Mal in Serie der Sieg bei der Vierschanzentournee zu Jahresende und Neujahr in Deutschland und Österreich.

 

Dafür zeichnete Österreichs Skisprung-Cheftrainer Alexander Pointner verantwortlich. Seit drei Jahren steht er aber nicht mehr bei Schneefall, Kälte und Wind am Trainerturm. Heute lebt er mit seiner Frau Angela und drei Kindern in Tirol. Er, der jahrelang den kritischen Punkt bei seinen Springern betrachtete, muss ihn im Leben bewältigen.


Ich treffe Alexander Pointner im Wiener Schloss Schönbrunn. Er ist Redner bei einem Kongress von Notfallmedizinern. Deren Einsatz war notwendig, als seine Tochter Nina 2014 in Folge von Depressionen einen Selbstmordversuch unternahm. Nach einem Jahr im Wachkoma verstarb sie, eine Woche vor dem Heiligen Abend.

 

Wie blicken Sie mit Ihrer Familie auf das Weihnachtsfest?

Als ich noch Cheftrainer war, hat nach den Weihnachtstagen gleich die Vierschanzentournee begonnen. Das war immer eine hektische Zeit. Natürlich ist bei uns noch sehr viel Trauer da, Momente, wo Tränen fließen, weil in der Vorweihnachtszeit in den letzten Jahren soviel passiert ist.

 

Am 5. November 2014 verübte Nina ihren Suizidversuch. Am 31. Dezember starb meine Mutter. Ein Jahr später, am 17. Dezember, verstarb Nina. Da kommen viele Dinge zusammen. Das geht nur, weil wir uns gemeinsam stützen.

 

Wie gelingt es Ihnen, die Familie zusammenzuhalten?
Ich werde oft gefragt, warum ich nicht wieder als Skisprungtrainer arbeite. Das wäre momentan für unsere Familie gar nicht möglich. Unsere neunjährige Tochter Lillith hat den Verlust ihrer Schwester damals durchs Spielen so halbwegs überstanden.

 

Aber jetzt bricht da viel auf. Unsere ältere, Paula, war schon immer sehr sensibel. Sie hat immer aufgeblickt zu Nina. Wir haben auch professionelle Hilfe gebraucht, was leider oft als Schwäche ausgelegt wird.

 

Ihr Sohn Max kämpfte ebenfalls mit Depressionen?
2012, mitten in meiner Cheftrainertätigkeit, wurden bei Max relativ spät Depressionen diagnostiziert. Er hat das immer beschrieben wie ständige Spannungszustände. Die erste, die das erkannte, war seine Direktorin der Kindergartenschule in Innsbruck.

 

Für mich war es schwierig, damit umzugehen, dass er plötzlich mit Lederjacke und Irokesenschnitt herumläuft. Ich bin dann selber in eine Depression geschlittert.

 

Was bedeutet das heute für Sie und Ihre Frau?
Wir haben gelernt, mit dieser Krankheit umzugehen und gesehen, dass es daraus einen Ausweg gibt. Das ist ganz wichtig, weil es hier eine massive Stigmatisierung gibt. Das Reden darüber ist daher entscheidend.

 

Gibt Ihnen der Glaube dabei Kraft?
Also ich bin jetzt nicht der klassische Kirchgänger. Vielleicht auch aus Zeitgründen, da am Wochenende immer Wettkämpfe waren. Es kommt auch darauf an, wie man mit dem Glauben und der Kirche in Berührung kommt. Mit der Beichte kam ich als Kind überhaupt nicht zurecht. Denn bei der Beichte habe ich zum ersten Mal gelogen, weil ich mir etwas einfallen habe lassen, was ich beichten konnte.

 

In der Zeit, als das mit der Nina geschah, habe ich Kontakt mit der Kirche gesucht. Wir haben für die Sportler zwei Seelsorger gehabt: bei Olympia Pater Bernhard Maier von den Salesianern Don Boscos, ein herzensguter Mensch, der für mich Seelsorge so verkörperte, wie wir es als Sportler benötigen. Und bei Weltmeisterschaften den evangelischen Pfarrer Jörg Walcher.

 

Pfarrer Walcher hat Sie an das Krankenbett Ihrer Tochter begleitet.
Man sucht jede Möglichkeit, dass man noch Hoffnung schöpfen kann, dass so ein Schicksalsschlag nicht mit dem Loslassen enden muss. Was dann aber leider passiert ist.

 

Wie geht es Ihnen heute mit der Bewältigung des Erlebten?

Trauer vergeht nicht nach drei, fünf oder sechs Monaten. Man muss daran arbeiten, ganz wird sie nie verschwinden. Wir haben sehr viel gelernt, was wirklicher Beistand heißt. Das ist auch ein Wert, über den mehr geredet werden muss.

 

Viele Leute wissen gar nicht, wie sie mit Menschen umgehen, denen es schlecht geht. Beistand heißt: Stehen bleiben, zuhören und das Leid der anderen auch auszuhalten.


Kommen wir zum Skispringen. Stimmt es, dass diese Sportart psychisch besonders herausfordert?
Das ist der Fall und hat verschiedene Gründe. Schispringen, das ist schon fast eine künstlerische Tätigkeit, weil man etwas macht, das nicht jeder kann. Man muss mit der Luft spielen und die sieht man nicht, die kann man auch nur spüren. Dann sollten Schispringer auch nicht sonderlich schwer sein, d.h. man muss auch auf die Ernährung schauen.

 

Auf jeden Fall sind da schon sehr sensible Typen unterwegs. Man wird einen Tisch mit Schispringern auch von einem Tisch mit Abfahrtsläufern unterscheiden können. Das ist einfach ein bisschen ein anderer Charakter. Da ist unheimlich viel Sensibilität dabei, die diese Sportart natürlich in die Persönlichkeiten hinein transferiert.

 

Wie hält man es bei den oft widrigen Bedingungen am Trainerturm aus?
Bei den Wettkämpfen geht es oft sehr heiß her. Da lebt man unheimlich mit. Man weiß, dass es auf Kleinigkeiten ankommt. Da hat man fast keine Zeit, dass man sich selber spürt, oder Kälte verspürt. Außerdem steht man jeden Tag auf der Schanze, egal ob bei Schneesturm und minus 20 Grad, oder bei frühlingshaften Temperaturen.

 

Es geht darum, den Athleten zu sehen, zu spüren, zu analysieren und ihn am besten unterstützen zu können.

 

 

erstellt von: Der SONNTAG / Stefan Hauser
28.12.2017
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Weitere Informationen:

Zur Person

Alexander Pointner wurde 1971 in Grieskirchen (OÖ.) geboren. In den 1980er-Jahren war er Skispringer im Nationalteam. Zu großen Erfolgen reichte es nicht. Über den Tiroler Skiverband kam er zum ÖSV.

 

2004 wurde Pointner Cheftrainer der Skisprung-Nationalmannschaft. Seine Erfolgsbilanz: 32 Medaillen bei Großereignissen. Alexander ist mit Angela verheiratet. Das Paar hatte vier Kinder: Max, Nina, Paula und Lillith. Nina verstarb 2015.


Buchtipp:

Mut zur Klarheit

Woher die Kraft zum Weitermachen kommt


Seifert-Verlag 2017
ISBN: 978-3-902924-69-8

 

Radiotipp

Was macht die Faszination Skispringen aus?

Wieviel Mut gehört dazu?

Anworten darauf gibt Alexander Pointner am Starttag der Vierschanzentournee, Freitag, 29. Dezember um 17.30 Uhr auf radio klassik Stephansdom.

 


weitere Informationen zu

Der SONNTAG

die Zeitung der Erzdiözese Wien

Stephansplatz 4/VI/DG

1010 Wien
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