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10.05.2018 · Österreich & Weltkirche · Glaubenswissen

„Flucht und Migration sind Chef-Sache“

Christen verstehen sich von Anfang an (Hebr 11,13; 1 Petr 2,11) als Gäste, als Fremde auf Erden, deren Heimat der Himmel ist. Die Instruktion „Erga migrantes caritas Christi“ sagt schon im Jahr 2004: „Die Aufnahme des Fremden gehört zum Wesen der Kirche selbst und bezeugt ihre Treue zum Evangelium“. Die Bibel stellt Kriterien dafür zur Verfügung: Globale Gerechtigkeit, Einheit der Menschheit, Verantwortung für Arme und Fremde, Anerkennung von Verschiedenheit.

Auch in seinem neuen Schreiben „Gaudete et exsultate“ fordert Papst Franziskus von uns allen einen christlichen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten. Was das heißt und warum dieses Thema zentrale Bedeutung hat, erläutert die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak, katholische Expertin für die Themen Flucht und Migration.

 

Ob sie sich 2015, als die vielen Flüchtlinge nach Österreich kamen, auch persönlich engagiert hat, will DER SONNTAG von der Wiener Pastoraltheologin Regina Polak wissen.

 

„Ich war zwei Mal am Westbahnhof, habe einige Leute unterstützt, kam mir dabei aber ziemlich hilflos und überfordert vor“, erzählt Polak. „Mein Charisma besteht eher darin, mit geflüchteten Menschen zu sprechen. Ich lasse sie zu Wort kommen und versuche dann, ihre Erfahrungen öffentlich zugänglich zu machen.“

 

Die Theologin sieht ihre Aufgabe auch darin, zwischen den Zugewanderten und Einheimischen zu vermitteln und eine theologisch-spirituelle Unterstützung dafür zu entwickeln, auch mit Publikationen.

 

Sie stellt fest: „Ich habe dabei gelernt, dass wir in unseren Breitengraden immer über die eigenen Ängste, aber kaum über die Ängste geflüchteter Menschen sprechen.“


In seinem jüngsten Schreiben „Gaudete et exsultate“ (Nr. 102) sagt Papst Franziskus, dass wir in jedem Fremden Jesus aufnehmen.

 

Was bedeutet das?

 

Die Themen „Flucht und Migration“ sind in der katholischen Kirche derzeit „Chef-Sache“. Papst Franziskus legt hier einen besonderen Schwerpunkt. Das heißt aber nicht, dass er etwas Neues erfindet. Denn die katholische Kirche ist eine der ältesten internationalen Institutionen, die sich mit dem Thema Flucht und Migration auseinandersetzt. Das begann in den 1950er Jahren, angesichts der Millionen Flüchtlinge in Europa.


Hinweis der Redaktion: Am 1. Jänner 2017 hat das römische „Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ seinen Dienst aufgenommen. Die „Abteilung für Flüchtlinge und Migranten“ leitet Papst Franziskus selbst.


Was heißt das konkret für uns Katholiken?

Wahrnehmen, zuhören, weder ignorieren noch bagatellisieren mit Sätzen wie: „Das ist ein pastoraler Papst, ein politischer Papst – aber mit Theologie hat das nichts zu tun“. Das stimmt schlichtweg nicht: Denn Migration und Flucht sind urbiblische Themen.

 

Der jüdische und der christliche Glaube sind von Menschen gelernt worden, die Erfahrungen mit Flucht, Verfolgung, Katastrophen hatten. Der ethische Monotheismus ist inmitten von Flucht und Migrationsphänomenen entstanden: Aufbruch, Wanderschaft, Exil, Vertreibung, Verfolgung, Diaspora.

 

Diese Erfahrungen reflektierend haben Menschen glauben gelernt, daher ist dieses Thema theologisch verpflichtend. Daran erinnert Papst Franziskus.


Gibt es also die eine katholische Antwort auf diese Frage?

Natürlich kann man aus der Bibel nicht unmittelbar politische Antworten auf die heutigen Herausforderungen ableiten. Da gibt es nicht die eine katholische Antwort auf Flucht und Migration. Aber die Bibel stellt Kriterien dafür zur Verfügung: Globale Gerechtigkeit, Einheit der Menschheit, Verantwortung für Arme und Fremde, Anerkennung von Verschiedenheit.

 

Papst Franziskus lädt auch uns Österreicher ein, uns aktiv an diesen Diskussionen zu beteiligen. In jeder Pfarre, in jeder Diözese müssten Prozesse stattfinden, in denen man sich mit der Fülle der vorliegenden lehramtlichen Texte auseinandersetzt.

 

Der Papst weiß, dass er darauf angewiesen ist, dass aus den verschiedenen Ländern Rückmeldungen kommen, weil man seine Vorstellungen nicht 1:1 in jedem Land übernehmen kann. Also: Sich Engagieren – und nicht aussitzen und warten, bis die Amtszeit dieses Papstes vorbei ist.


Die Instruktion „Erga migrantes caritas Christi“ sagt schon im Jahr 2004: „Die Aufnahme des Fremden gehört zum Wesen der Kirche selbst und bezeugt ihre Treue zum Evangelium“.

Haben wir Katholiken diese Aussage verinnerlicht?

 

Leider nein. Aber die Migranten und geflüchteten Menschen geben der Kirche die Möglichkeit, sich wieder an ihr Erbe und ihre Herkunft zu erinnern. Christen verstehen sich von Anfang an (Hebr 11,13; 1 Petr 2,11) als Gäste, als Fremde auf Erden, deren Heimat der Himmel ist. Die Verantwortung für die Fremden gehören konstitutiv zum Kirche-Sein dazu.

 

Das hat die arme, verfolgte Kirche des Anfangs noch gewusst, ist aber im Zuge der Machterweiterung in Vergessenheit geraten. In der Pastoral haben wir vor allem auf Kirche als Heimat gesetzt.

 

Es fehlt aber die ebenso wichtige, zweite Seite: Christsein bedeutet auch, immer wieder aufbrechen, unterwegs sein, vermeintliche Sicherheiten in Frage stellen. Im Zusammenleben mit MigrantInnen kann man sich daran erinnern und den Glauben neu vertiefen.


Wie erklären Sie Ihr Modell der „Convivenz“, des Zusammenlebens?

Die Convivenz ist ein auf der nachbarschaftlichen Ebene angesiedeltes Zusammenleben, und beschreibt das Teilen des Lebens, von Freud und Leid und des Alltags.

 

Sie beschreibt die Bereitschaft, sich auf wechselseitige Lernprozesse einzulassen. Drittens meint es, gemeinsam zu feiern, das man in seiner Kraft für ein gutes Zusammenleben gar nicht überschätzen kann.


Jeder fünfte Katholik in Wien ist ausländischer Herkunft. Was bedeutet das?

Eine unglaubliche Bereicherung und die Möglichkeit zu lernen, in versöhnter Verschiedenheit katholisch zu sein.

erstellt von: Der SONNTAG / Stefan Kronthaler
10.05.2018
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Weitere Informationen:

zur Person

Regina Polak
Geboren am 2. April 1967 in Wien


Universitäre Ausbildung:
Studium der Selbständigen Religionspädagogik, der Psychologie, der Philosophie, sowie der Katholischen Fachtheologie an der Universität Wien.


Seit 2013: Associate Professor am Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien


Seit 2016: Theologische Beraterin der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz


Forschungsschwerpunkte: Religiöse Transformationsprozesse in Europa, Religion im Kontext von Migration, Werteforschung, Theologische Grundfragen einer Kirche im Umbruch


Ehrenamtliche pastorale Tätigkeit:
- Theologische Begleitung des Umstrukturierungsprozesses der Erzdiözese Wien.
- Lokalkomitee des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
- Mit-Initiatorin „Im Foyer“: Forum zum Austausch zwischen Kirche und Gesellschaft.

 

Buchtipp

Migration, Flucht und Religion


Regina Polak privat

Leben ist…
zu versuchen, bei allem, was ich tue – ob freiwillig oder unfreiwillig, gerne oder ungern, im Alltag oder zu besonderen Zeiten – es bewusst zu tun und dabei einzutauchen in den inneren Sinn der Wirklichkeit; „dort“ kann ich Gott nahekommen.


Sonntag ist…
aufwachen in der Früh und wissen: Ich bin frei! Menschen und Ereignisse auf mich zukommen lassen, ohne Plan und Ziel. Und mich im Gottesdienst erinnern an den Grund meines Lebens und auch meines Berufes, damit der nicht zur Routine erstarrt.


Glaube ist…
eine uralte Freundschaft mit Gott, die schon viele Höhen und Tiefen erlebt hat, nach einigen Lebensjahrzehnten in einem tiefen „Wissen“, dass diese Freundschaft von Gottes Seite aus treu und unzerbrechlich ist, selbst dann, wenn ich mal „ausbreche“ und „spinne“ ..... Er bleibt und wartet geduldig.

 

 


Mehr über Papst Franziskus


 

Der SONNTAG

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