Auf die sich weiter zuspitzende humanitäre Lage in Venezuela hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz des Landes, Jose Luis Azuaje Ayala, hingewiesen.
Auf die sich weiter zuspitzende humanitäre Lage in Venezuela hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz des Landes, Jose Luis Azuaje Ayala, hingewiesen.
Präsident der Caritas Lateinamerika, Erzbischof Azuaje Humanitäre Not in Venezuela spitzt sich zu. "Das Leid der Menschen wird noch weiter zunehmen".
Auf die sich weiter zuspitzende humanitäre Lage in Venezuela hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz des Landes, Jose Luis Azuaje Ayala, hingewiesen. Außer einer großen Nahrungskrise gebe es in dem Krisenstaat einen Totalzusammenbruch der Infrastruktur wie etwa aktuell der landesweite Stromausfall zeige, sowie eine bedrohliche gesundheitliche Situation etwa durch die Unterernährung von 300.000 Kindern. "Mütter lassen ihre Kinder bis Mittag schlafen, um mit einem Essen pro Tag durchzukommen. Viele suchen in Müllcontainern nach Nahrung. Das sind Szenen, die es bei uns zuvor nie gegeben hat", sagte Azuaje, der auch Präsident der Caritas Lateinamerika ist, am Mittwoch, 27. März 2019 in Wien. Der Erzbischof nimmt derzeit in Wien an einem Treffen des Weltcaritasdachverbands "Caritas internationalis" teil.
Als Ursache der Misere in dem 30-Millionen-Einwohner-Land machte der Erzbischof die Politik der Regierung von Präsident Nicolas Maduro aus. Dieser habe das Land zu einem totalitären Staat umgebaut, "in dem die Menschen der Regierung dienen müssen statt umgekehrt". Das Volk werde unterdrückt, besonders die Opposition, der laut dem Erzbischof "90 Prozent der Bevölkerung" angehörten. Wenn die Infrastruktur ausfalle wie etwa momentan der Strom - und infolgedessen auch die Wasserversorgung, das Telefonnetz, die Schulen und die Arbeitsstellen davon betroffen seien -, so schiebe die Regierung dies der verabsäumten Wartung in die Schuhe. "Sehr wahrscheinlich handelt es sich aber um eine Strategie Maduros zur Kontrolle der Menschen", befand Azuaje.
Besonders aber sei in dem an Bodenschätzen überaus reichen Venezuela der Hunger der ständige Begleiter, als Folge der eklatanten Nahrungsmittelknappheit. Die Regale in Venezuelas Supermärkten seien zum Großteil leer, die wenigen verfügbaren Produkte wegen der Hyperinflation "unleistbar" - angesichts des Mindestlohns von derzeit 4,50 Euro pro Monat bei Preisen wie in Österreich, wie der Erzbischof der Stadt Maracaibo berichtete. Trotz der Not der Bevölkerung halte die Maduro-Regierung die Grenzen jedoch weiter geschlossen und lasse keine Humanitäre Hilfe ins Land. Zwar habe sie eigene Hilfsprogramme gestartet, doch kämen nur ihre Wähler in den Genuss reduzierter Lebensmittelpreise.
Ausnahmslos alle Familien seien von der Notsituation betroffen, und das Überleben sei vielfach nur durch Remesas-Überweisungen von Venezolanern im Ausland, durch große Solidarität der Bevölkerung untereinander wie auch durch die Tätigkeit von Hilfsorganisationen wie der Caritas möglich, berichtete Azuaje. 150.000 venezolanische Kinder erhalten derzeit Nahrungsmittelhilfe der Caritas, unter erschwerten Bedingungen auch für die Helfer: Außer durch Spenden sind Hilfslieferungen höchstens in minimaler Form möglich, und zwar "auf den Trampelpfaden aus Kolumbien und Brasilien, wo über die Grenzen in Umfang von bloß wenigen Kilogramm geschmuggelt werden kann - wenn die hier stationierten Paramilitärs entsprechend bezahlt werden", schilderte der Erzbischof.
Auf insgesamt fünf besonders gefährdete Personengruppen konzentriere die venezolanische Caritas ihr Hilfsangebot, berichtete der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Dazu gehörten Kinder im Alter von bis zu fünf Jahren, die in Armut leben; Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit; von Hunger besonders Betroffene, die in die öffentlichen Ausspeisungen kommen, und ältere Menschen, die auf ihre Enkelkinder aufpassen, nachdem die Eltern das Land verlassen haben. "Bereits 3,5 Millionen Menschen sind aus Venezuela geflohen. Deshalb gilt auch den Migranten unsere besondere Aufmerksamkeit", sagte Azuaje.
Erstmals sei heute Venezuela, das früher immer ein Aufnahmeland gewesen sei, zu einem Fluchtland geworden, zog der lateinamerikanische Caritas-Präsident Zwischenbilanz. Viele ehemalige kolumbianische Flüchtlinge seien nach Jahrzehnten in Venezuela in ihre Heimat zurückgekehrt, doch auch die anderen Länder Lateinamerikas seien Zielländer - vor allem Chile, das bislang die meisten Venezolaner aufnahm. Bisher habe es drei große Emigrationswellen gegeben: "Zuerst waren es die Kinder der Migranten, die bereits im Ausland waren, dann die Menschen mit Universitätsabschluss, von denen 50 Prozent das Land verlassen haben, sowie die Gruppe, die uns am meisten Sorgen bereitet: Die Armen, die mit zehn Dollar in der Tasche zu Fuß aufbrechen in der Hoffnung, ihrer Familie aus dem Ausland Geld senden zu können und damit das Überleben zu sichern", berichtete Azuaje.
Angesichts der vielen Gefahren auf dem Weg - wie etwa Passhöhen bis auf 4.000 Meter am Weg über Kolumbien, bei dem bereits viele Flüchtlinge erfroren sind - und den sozialen Hürden in den Ländern begleite und unterstütze die Kirche nach all ihren Möglichkeiten die Flüchtlinge: Durch Herbergen und Migrationszentren, Suppenküchen wie etwa in der kolumbianischen Grenzstadt Cucula, wo täglich über 8.000 Mittagessen ausgeteilt werden, jedoch auch durch Rechtsberatung und Hilfen bei der Abklärung des rechtlichen Status im Transit- und Aufnahmeland, erklärte der venezolanische Erzbischof.
Aussicht für eine baldige Lösung des Konflikts gibt es in Venezuela nicht, so die Einschätzung des Erzbischofs von Maracaibo. "Niemand weiß, wie es enden wird. Die Venezolaner wollen keine Gewalt, doch wir steuern auf einen nationalen Ausbruch der Unzufriedenheit hin. Die eklatante Not, der Mangel an Nahrung, die desolate Gesundheitsversorgung, die vielen Stromausfälle und auch die fehlende Möglichkeit der Kommunikation nagen an den Menschen. Das Leid der Menschen wird noch weiter zunehmen, ebenso organisierte Plünderungen und gewaltsame Zusammenstöße."
Als eher unwahrscheinlich bezeichnete Azuaje die Möglichkeit eines Bürgerkriegs. "Waffen hat in Venezuela nur die Armee." Hinzu komme, dass die Regierung mit zahlreichen Strategien gegen die Demonstranten vorgehe, darunter auch mit sogenannten "Colectivos", also paramilitärische waffentragende Gruppen, auf deren Kappe zahlreiche Menschenrechtsverstöße gegen Regierungsgegner gehen.
Die katholische Kirche stehe als Vermittler zwar bereit, jedoch nicht unter jeder Bedingung: "Bislang lässt sich die Regierung auf keinen Dialog ein, bei dem sie Kompromisse eingehen muss, sondern will dadurch immer nur Zeit gewinnen", sagte der Bischofskonferenz-Vorsitzende Auf Vorbedingungen, die der Vatikan für seine Teilnahme an einem Friedensdialog genannt habe - namentlich die Freilassung der politischen Gefangenen, die Zulassung humanitärer Hilfe ins Land, die Abhaltung demokratischer Wahlen und die Wiedereinsetzung der Nationalversammlung als einzige demokratische Instanz - sei das Maduro-Regime bislang nicht eingegangen.