„Casa Caroline“. Eine besondere Wohnform für Kinder aus Familien unterschiedlicher Herkunft.
„Casa Caroline“. Eine besondere Wohnform für Kinder aus Familien unterschiedlicher Herkunft.
In der eigenen Familie aufzuwachsen ist für viele Kinder und Jugendliche in Rumänien nicht möglich. Ihre Familien sind aus unterschiedlichen Gründen – Gewalt, Drogenprobleme oder Überforderung der Eltern – zerbrochen.
Ein behütetes Heranwachsen und eine Chance auf bessere Zukunft ermöglichen den Kindern Einrichtungen der CONCORDIA-Sozialprojekte.
Bukarest im Frühjahr 2019. Auf den Hauptverkehrsstraßen wehen Fahnen in blau-gelb-rot und die EU-Sterne. Rumänien hat bis Ende Juni den Ratsvorsitz der Europäischen Union. Das Land ist von Korruption geprägt. Es sind Nachwehen der Diktatur.
Auch wenn es heuer 30 Jahre sind, als Diktator Ceausescu im Winter 1989 gestürzt wurde. Die wirtschaftliche Integration innerhalb Europas stockt. Ein Drittel der Bevölkerung ist immer noch von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen.
Europaweit weist Rumänien die höchste Quote an „working poor“ auf, also Menschen, die arm sind trotz Arbeit. Jeder fünfte Jugendliche bricht seine Bildungslaufbahn frühzeitig ab, hat also maximal Pflichtschulabschluss.
Viele verlassen das Land Richtung EU mit der Hoffnung auf bessere Umstände.
Engagement gegen die soziale Benachteiligung der jungen Bevölkerung in Rumänien zeigen seit beinahe drei Jahrzehnten die CONCORDIA-Sozialprojekte.
Die internationale unabhängige Hilfsorganisation begleitet Kinder, Jugendliche und Familien in Not in ein eigenverantwortliches Leben. „Wir sind seit 1991 in Rumänien tätig“, schildert Jesuitenpater Markus Inama vom Vorstand des Vereins.
„Ein Caritasmitarbeiter trat damals an die Ordensoberen mit Bitte um Unterstützung heran, da unzählige Kinder aus den staatlichen Heimen nach dem Fall des Kommunismus rund um den Nordbahnhof von Bukarest und in Luftschächten der Kanäle lebten“.
Die Jesuiten senden Pater Georg Sporschill in die rumänische Hauptstadt. Der hemdsärmelige Priester kümmert sich rasch darum, dass ein Nachtquartier zum Schutz der Kinder und Jugendlichen eingerichtet wird.
„Concordia ist aus dem rumänischen Wort Eintracht abgeleitet, es steckt auch das Herz drinnen, sich von der Not der Menschen berühren zu lassen und zusammenzuhelfen“, erklärt Pater Inama.
In einem Außenbezirk Bukarests führt CONCORDIA das Zentrum „Lazar“. Ein Nachtquartier, das Jugendlichen Schutz, Unterkunft und medizinische Betreuung bietet. Leiter Marius Diacono erzählt, dass auch dieses Zentrum in Folge des politischen Umsturzes entstand: „Gegründet wurde Lazar in Zusammenarbeit mit den Behörden, damit die Straßenkinder ein sicheres Quartier hatten“.
Heute liegt das Alter der Betreuten zwischen 18 und 45, darunter sind auch drogen- und alkoholabhängige Jugendliche und Erwachsene“. Im Zentrum erhalten sie Essen, medizinische Betreuung, sie können duschen, Kleidung wechseln, bekommen soziale Ansprache und werden bei der Arbeitsplatzsuche unterstützt. Für die Suchtabhängigen gibt es Beschäftigungstherapie und es werden persönliche Ziele gesetzt, wie das Finden von Arbeit und Wohnung.
Michaela, eine mittlerweile 38-jährige Frau, war mehrere Monate hier. Durch die Unterstützung hat es die ehemalige Meisterin im Billard, die obdachlos wurde, in die Selbständigkeit geschafft: „Ein Journalist hat über mich in der Zeitung geschrieben, dass ich auf der Straße lebe. Dann kam auch ein Fernsehteam. Sie brachten mich zum Zentrum ,Lazar`, wo ich aufgenommen wurde und Hilfe bekam“. Michaela ist nun in stabilen Lebensverhältnissen und hat auch Kontakt zu ihrer Mutter aufgenommen.
In Bukarest führt CONCORDIA die „Casa Iuda“. Ein Zentrum für Jugendliche, die in kleinen Wohneinheiten leben. Auch eine Geschützte Werkstätte für Menschen mit Beeinträchtigungen wurde eingerichtet. Frauen aus der Gruppe der benachteiligten Sinti und Roma fertigen hier Fingerpüppchen.
„Die Frauen haben eine Menge Talente, die sie mitbringen. Wenn sie bei uns arbeiten, dann vergessen sie auch ihre psychischen Probleme“, schildert Leiterin Stephania.
Die Frauen haben oft Schreckliches erlebt, daher wurde auch in der nahen „Casa Hannes“ eine betreute Frauenwohngruppe gegründet. Die 40-jährige Daniela ist seit elf Jahren da: „Ich war verheiratet, mein Mann war aidskrank, ich wusste das nicht, er steckte mich an.“ Daniela hat zwei Töchter, aber kaum Verbindung zu ihnen.
Maria, eine weitere Klientin: „Ich bin aus einem staatlichen Waisenhaus davongelaufen, weil ich dort misshandelt wurde. In dieses Heim kam ich, da ich als Säugling in einen Container abgelegt wurde, wo mich jemand fand und dort abgab. Meine Eltern kenne ich nicht. Mir geht es nun gut und ich bin gerne da“.
Auch in Ploiesti, einer Industriestadt mit 250.000 Einwohnern, rund 60 Kilometer von Bukarest entfernt, sind die Sozialprojekte CONCORDIA tätig.
In der Nähe von Romasiedlungen gelegen, bietet das Tageszentrum „Casa Christina“ Kindern der benachteiligten Volksgruppe Unterstützung. Hausleiterin Anna Sekaru: „Wir haben mit 19 Kindern begonnen. Mittlerweile sind es 36. Wir lernen mit ihnen und machen viele Freizeitaktivität wie Musik, Tanz, Theater und Sport.“ Ein mobiles Team besucht die Familien der Kinder.
Es ist wichtig, die Lebensumstände im Blick zu haben, um rechtzeitig weitere Schritte zu setzen. Die Warteliste für die „Casa Christina“ ist lange. Die 13-jährige Elena kommt täglich: „Seit fünf Jahren bin ich im Tageszentrum. Eine Schwester und ein Bruder von mir sind auch hier. Wir wohnen eine halbe Stunde entfernt.“
Unweit der „Casa Christina“, in einer Wohnsiedlung, befindet sich die „Casa Caroline“. Eine besondere Wohnform für Kinder aus Familien unterschiedlicher Herkunft. Acht Mädchen und Buben zwischen acht und vierzehn Jahren leben hier mit mehreren Betreuern.
Hausleiterin Liliana Nagy schildert: „Wir leben familienähnlich. Die Kinder kennen sich seit Jahren. Wir kochen gemeinsam, lernen, spielen, machen Ausflüge. Drei sind Geschwister, ihr Vater ist vor einem Jahr gestorben.
Die anderen haben Eltern, aber die Verhältnisse zu Hause lassen kein geordnetes Aufwachsen zu, daher sind sie bei uns.“ Mit ihrer Schwester lebt die 10-jährige Irina hier: „Ich möchte einmal Tierärztin werden, wir haben einen kleinen Hund, auf den ich aufpasse, Bruno“.
Am Stadtrand der rumänischen Stadt Ploeisti. Eine Siedlung abseits von Plattenwohnbauten. Zelte, ein verfallenes Haus, Morast, Hunde bellen, Müll liegt herum. Das ist Dallas. Aber nicht jenes aus der amerikanischen Fernsehserie, sondern eine Romasiedlung.
Die Behörden nennen sie so, weil hier früher eine Erdgasfabrik stand. Hier lebt Ramona David mit ihrem Mann, sechs Kindern und der Großmutter in einem Zimmer auf zehn Quadratmetern. Heizung gibt es keine, Wärme kommt vom Gasherd, der Fernseher wird mit einem Generator angetrieben, er ist ein Fenster in eine andere Welt.
Die 33-jährige Ramona ist froh darüber, dass vier ihrer Kinder im Tageszentrum von CONCORDIA Betreuung erhalten, denn sie selber konnte nicht zur Schule gehen: „Unser größter Wunsch ist, dass wir einmal in einer Wohnung sind mit mehr Platz, wo sich die Kinder normal entwickeln können.“ Seit zwei Jahren wird Familie David auch von Sozialarbeitern der Hilfsorganisation betreut. Sie bekommen Essen, Kleidung und Geschirr.
Da in Rumänien viele Kinder aus armen Verhältnissen bildungsbenachteiligt sind, bauen die CONCORDIA-Sozialprojekte in Ploesti auf einem großen Areal am Stadtrand eine sozial-inklusive Grundschule mit Nachmittagsbetreuung.
In fünf Klassen mit je 20 Schülern werden Kinder aus allen sozialen Schichten miteinander lernen. Der gebürtige Salzburger Christian Estermann leitet das Projekt: „Wir können nicht ein System abschaffen, aber ein Modell für Grundbildung entwickeln: die Volksschule als Basisausbildung und die am Gelände vorhandene Berufsschule als weitergehende Möglichkeit.“
Hier erhalten Jugendliche eine Berufsausbildung zum Gärtner, Koch oder Kellner, und es gibt auch Wohnbereiche, um ihre Selbstständigkeit zu fördern. Die Volksschule soll 2020 fertig sein.
Das Projekt in Ploeisti wird hauptsächlich aus österreichischen Spenden finanziert. Rainer Stoiber von der Länderleitung von CONCORDIA hofft auf weitere Unterstützung aus Österreich: „Wir sind überzeugt, dass Bildung der Schlüssel ist, um Armut zu durchbrechen“.
Mehr Infos zu den Sozialprojekten auf
www.concordia.at
Perspektiven:
Im rumänischen Bukarest leben viele junge Menschen in existenzieller Armut. Die österreichische Sozialstiftung Concordia unterstützt sie mit bildungs- und berufsbezogenen Angeboten.
Eine Reportage von S. Hauser.
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