Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 19. Sonntag im Jahreskreis 7. August 2005,
(Mt 14,22-33)
Der Glaube wird auf die Probe gestellt. Diese Erfahrung machen alle, die den Weg des Glaubens zu gehen bemüht sind. Um eine starke Glaubensprobe geht es im heutigen Evangelium. Deshalb kann sich jeder Gläubige und jeder, der zu glauben versucht, in dem Erlebnis der Jünger Jesu wieder finden.
Es beginnt mit einer herben Maßnahme Jesu. Eben haben die Jünger das große Wunder der Brotvermehrung erlebt. Was wäre nahe liegender als diesen „Triumph“ ihres Meisters auszukosten, sich in seinem „Erfolg“ zu sonnen? Er sieht das anders. Es geht nicht um weltlichen Erfolg. Jesus spürte, so sagt der Apostel Johannes, dass die Leute ihn zu ihrem König machen wollten: Endlich einer, der allen Brot gibt. Er soll unser Anführer sein. Nicht dazu ist Jesus gekommen. Sein Auftrag ist es nicht, ein neues Reich auf Erden aufzurichten. Sein Reich ist andere Art. Er nennt es „das Himmelreich“. Es bricht dort an, wo Menschen mit Gott versöhnt sind. Es ist das Reich des Glaubens, des Vertrauens auf Gottes „Herrschaft“.
Das haben seine Jünger noch zu wenig verstanden. Darum schickt er sie in eine Glaubensprobe, hinaus auf den See, in die Nacht hinein. Er aber geht dorthin, wo seine tiefste Quelle entspringt: ins lange, stille Gebet.
Diese Nacht wird für die Jünger zu einer entscheidenden, unvergesslichen Erfahrung Sie rudern hart gegen den Wind, weit in den See Genezareth hinaus; mühsam und langsam nur kommen sie voran in ihrem von den Wellen bedrängten Boot.
Es ist das ein Bild für das Glaubensleben. Eben haben sie eine überwältigende Glaubenserfahrung gemacht. Ihr Herz ist noch voll dem Erlebten. Sie haben Freude und Begeisterung im Herzen. Sie fühlen sich im Glauben gestärkt. Da schickt sie der Herr mitten in Sturm, Nacht und Wellen hinein. Manchmal fühlen wir uns stark im Glauben, gefestigt durch positive Erlebnisse, voll Freude über die Erfahrung der Nähe Gottes. Doch dann geraten wir in die Dunkelheit schwieriger Situation. Alles wankt und schwankt. Wir rudern schwer und kommen nicht voran. Und Gottes Nähe scheint ganz fern, wie das ferne Ufer des Sees.
In der vierten Nachtwache kommt Jesus über den See auf sie zu. Warum so spät? Es beginnt schon der Morgen zu grauen. Warum hat er sie die ganze lange Nacht in ihrer Not alleine gelassen. Vom Berg wo er betete sieht man weither über den ganzen See. Hat es ihn nicht bekümmert, dass sie so sehr in Bedrängnis waren? Während sie mit dem Unwetter kämpften hat er für sie gebetet. Später haben sie begriffen, dass er ihnen ganz nahe war, weil er für sie ganz nahe bei Gott war. Er war ihre Kraft in der dunklen Nacht. Er hält uns auch in den Stunden, in denen wir uns ganz von Gott verlassen fühlen. Daher sein Zuruf: Habt Mut! Ich bin es. Fürchtet euch nicht!
Schließlich die Szene mit Petrus. Was bewog ihn, sich auf´s Wasser hinauszuwagen, Jesus entgegen? Sein Mut? Sein Glauben? War es ein wenig „Angeberei“ vor den Anderen? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Beherzt steigt er aus dem Boot. Solange er fest auf Jesus schaut, geht er nicht unter. Da beginnt er auf seine stürmische Umgebung zu schauen - und schon beginnt er unterzugehen.
Wer sich im Glauben hinauswagt, wird sehen, dass Christus ihn hält. Doch dann schauen wir um uns, sehen und hören alles, was gegen unseren Glauben anstürmt, ihn lächerlich macht, und schon versinken wir im Zweifel, ja im Unglauben. Danke, Petrus, für dein Wagnis, aber auch deine Schwäche. Beides macht mir Mut, den Glauben zu wagen!
Nachdem Jesus die Menge gespeist hatte, forderte er die Jünger auf, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren.
Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg.
Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind.
In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrieen vor Angst.
Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Darauf erwiderte ihm Petrus: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.
Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen.
Er schrie: Herr, rette mich!
Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.