Er bleibt dein Bruder, auch wenn er noch so viel angestellt hat.
Er bleibt dein Bruder, auch wenn er noch so viel angestellt hat.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 24. Sonntag im Jahreskreis, 16. September 2007,
(Lk 15, 1-32)
Wenn ein Ehemann seiner Frau sagt: „Was hat deine Tochter wieder einmal angestellt“, dann weiß man, was es geschlagen hat. Genau um das geht es in dem berühmten Gleichnis vom „verlorenen Sohn“. Papst Benedikt, nennt es in seinem Jesus-Buch, das „vielleicht schönste Gleichnis Jesu“. Eigentlich sollte es „das Gleichnis von den zwei Brüdern“ heißen.
Als der Ältere von der Feldarbeit heimkehrt und Musik und Tanz hört und man ihm erklärt, dass sein jüngerer Bruder heimgekehrt ist, der sein ganzes Erbteil verjubelt hat, da wird er wütend. Er will nicht ins Haus kommen. Dem Vater sagt er voller Zorn: "Deinem Sohn, der dein Vermögen mit den Dirnen durchgebracht hat, bereitest du ein Fest!"
Er nennt ihn „dein Sohn“ und nicht „mein Bruder“. Er will mit ihm nichts mehr zu tun haben. Schlimm genug, dass der zu Lebzeiten des Vaters sein Erbteil gefordert hat. Ärgerlich genug, dass der Vater ihm sein Erbteil auch wirklich ausbezahlt hat. Unverschämt aber ist es, dass dieser Kerl es wagt, wieder nach Hause zu kommen. Der Gipfel schließlich ist es, dass der Vater ihm ein Fest bereitet
„Dein Sohn!“ Trotzig wirft er dieses Wort dem Vater hin. Doch der Vater erinnert ihn, dass er trotz allem, was geschehen ist, immer noch sein Bruder ist: „Wir müssen uns doch freuen! Dein Bruder war verloren und ist wieder gefunden worden“. Das ganze Drama dieses Gleichnisses liegt in diesen Worten: „Dein Sohn“ - „dein Bruder“. Das ist Jesu Botschaft: er bleibt dein Bruder, auch wenn er noch so viel angestellt hat. Sei doch froh, dass du nicht das Elend der Fremde, die Schande eines verjubelten Lebens zu tragen hast. Sei dankbar, dass du zu Hause geblieben bist: Alles, was mein ist, ist doch auch dein!“
Der gefallene Bruder ist immer noch Bruder. Freue dich, dass er heimgefunden hat, statt zu kritisieren, dass er weggegangen war. „Dein Bruder war tot und lebt wieder“, sagt der Vater fast beschwörend zu seinem älteren Sohn. Was er erlebt hat, war so schlimm wie ein Tod. Er hat geglaubt, die Freiheit zu finden und ist ins Elend geraten. Er wollte das Leben auskosten, ohne Bindungen, Spaß haben, aus vollen Zügen genießen. Herausgekommen ist ein gebrochener Mann, der sich an eine ferne Zeit erinnert, als es ihm bei seinem Vater noch gut ging.
Es geht wirklich um die beiden Brüder: Freuen sich die Frommen über die Heimkehr der Verlorenen? Jesus freut sich, wie der Vater im Gleichnis. Das ist sein großes Anliegen: dass wir heimfinden ins Vaterhaus. Dafür ist er bereit, alles zu verzeihen, alle unsere Irrwege zu vergessen.
Wie hat der ältere Bruder sich schließlich verhalten? Hat er verziehen und mitgefeiert? Jesus lässt das offen. Denn die Antwort müssen wir selber geben!
In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen.
Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wieder gefunden, das verloren war. Ich sage euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren.
Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht unermüdlich, bis sie das Geldstück findet? Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir; ich habe die Drachme wieder gefunden, die ich verloren hatte.
Ich sage euch: Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.
Weiter sagte Jesus: Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen. Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land, und es ging ihm sehr schlecht. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon. Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen, und ich komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner. Dann brach er auf und ging zu seinem Vater.
Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand, und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand, und zieht ihm Schuhe an. Bringt das Mastkalb her, und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein.
Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern.
Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat.
Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.
Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden.