Wer uns daran erinnert, dass wir bei uns selber anfangen müssen, wird nicht nur auf Gegenliebe stoßen.
Wer uns daran erinnert, dass wir bei uns selber anfangen müssen, wird nicht nur auf Gegenliebe stoßen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 2. Adventsonntag,
Lesejahr C,
6. Dezember 2009 (Lk 3,1-6)
Wieder ein Ausdruck aus der Bibel, der sprichwörtlich geworden ist: „Stimme eines Rufers in der Wüste“. Im Sprichwort meinen wir damit Menschen, die mahnend ihre Stimme erheben, die vor Gefahren warnen, die zum Umdenken aufrufen. In allen Krisenzeiten besinnt man sich auf solche einsamen Rufer, die in der Wüste der Welt daran erinnern, dass Umkehr notwendig ist, Änderung des Lebens. In unseren Tagen sind es etwa mahnende Stimmen gegen die Finanzspekulationen, die Umweltzerstörung oder die himmelschreienden sozialen Ungerechtigkeiten in vielen Teilen der Welt.
Johannes der Täufer ist das große Vorbild eines Rufers in der Wüste. Wie wurde er dazu? Wie erging es ihm? Was sagt er unserer Zeit? Um ein prophetischer Mahner, ein Rufer in der Wüste zu werden, bedarf es zuerst einer großen inneren Freiheit und einer kräftigen Portion Mutes.
Ein freier Mann wurde Johannes durch ein Leben der Askese, des Verzichts. Er verbrachte Jahre der Vorbereitung in der Wüste bei Jericho, im Umkreis der jüdischen Gemeinschaft der „Essener“, die klosterartig zusammenlebten. Johannes lernte in diesen Jahren vor allem die Freiheit gegenüber den eigenen Leidenschaften, Bequemlichkeiten, Trägheiten. Nur wer diese überwindet, wird frei sein können, mutig die Stimme zu erheben, auch wenn es keinen Vorteil bringt.
Heute ist im Evangelium die Rede von dem Moment, da Gott den Johannes rief, seine Stimme zu erheben. Es war ein genauer Zeitpunkt. Der Evangelist Lukas nennt den weltgeschichtlichen Rahmen: Tiberius regiert seit fünfzehn Jahren das riesige Römische Weltreich. Im jüdischen Land herrscht grausam sein Statthalter Pontius Pilatus, während Herodes und Philippus die örtlichen Fürsten von Kaisers Gnaden ein dürfen. Herodes wird es dann auch bald sein, der die Stimme des Rufers in der Wüste zum Schweigen bringt, indem er Johannes enthaupten lässt.
Rufer in der Wüste zu sein, ist gefährlich. Man macht sich keine Freunde, wenn man die Wahrheit laut und deutlich sagt. Dazu gehört Mut. Den hatte Johannes, weil er frei geworden war von dem ach so menschlichen Bedürfnis zu gefallen, angenommen zu sein, und daher nur nicht anzuecken. Deshalb konnte Gott ihn zum Propheten machen, zur mahnenden Stimme, die zur Umkehr aufruft.
Was war sein Auftrag? Seine Botschaft? Das Wichtigste! Wichtiger als aller Umweltschutz und aller Klimawandel: „Bereitet dem Herrn den Weg!“ Lasst Gott in euer Leben kommen! Das ist die Voraussetzung für alles andere. Gott soll wieder ankommen können (das bedeutet ja das Wort „Advent“: Ankunft).
Dazu muss viel Schutt weggeräumt werden, der die Straße blockiert. Dazu müssen die Berge der Einbildung und des Hochmuts abgetragen, die Schluchten der Mutlosigkeit, die Abgründe der Bosheit zugeschüttet werden. Dazu muss das Krumme gerade, das Unebene eben werden. All das ist Schwerarbeit, harte Arbeit am eigenen Leben. Wer uns daran erinnert, dass wir bei uns selber anfangen müssen, wird nicht nur auf Gegenliebe stoßen. Vielleicht fehlt es uns deshalb so sehr an Stimmen wie Johannes der Täufer, an mutigen Rufern in der Wüste.
Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas.
Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden.
(So erfüllte sich,) was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.