„Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.
„Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 4. Sonntag der Osterzeit,
25. April 2010 (Joh 10,27-30)
Heute ist der „Gute-Hirten-Sontags. Er wird so genannt, weil das Evangelium vom Guten Hirten spricht. Jesus selber nennt sich so. „Ich bin der gute Hirt“, sagt er von sich. Ist das nicht anmaßend? Und ist es so sympathisch, als Schaf betrachtet und behandelt zu werden? Hirt und Schafe - ein Bild der Abhängigkeit?
Über meinem Schreibtisch hängt ein Photo aus meiner böhmischen Heimat. An einen Baum gelehnt steht da der Schäfer aus unserem Dorf, der Hirte. Er strickt an einem Strumpf. Neben ihm der schwarze Schäferhund, und im weiten Umkreis an die Schafe, die Herde.
Auch wenn der Anblick heute selten geworden ist, er löst in mir nicht das Gefühl einer unfreien Abhängigkeit der Schafe aus. Es ist eher ein Bild der Geborgenheit. Es erinnert mich an den wunderbaren Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Da salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher. Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, und im Haus des Herrn darauf ich wohnen für lange Zeit“.
Ist dieses uralte biblische Gebet nicht voller Trost und Ermutigung? Sicher ist das Bild vom Hirten heute vielen fremd geworden. Sie haben diesen Beruf nicht gesehen oder gar erlebt. Und doch glaube ich, dass jeder die tiefe Geborgenheit spürt, die aus den Worten des Psalmes 23 spricht. Wer sich unter Gottes Hirtenschaft stellt, wird nicht zur willenslosen Marionette, zum Schaf, das nur als Stimmvieh oder gar Schlachtvieh betrachtet wird.
Jesus hat oft auf das Hirtenbild zurückgegriffen. Besonders stark im kleinen Gleichnis von den 100 Schafen. Eines verirrt sich und geht verloren. Der Hirte geht ihm nach, sucht es so lange, bis er es findet. Er lässt die 99 anderen zurück. Zu wichtig ist ihm dieses eine verlorengegangen Schaf. Und welche Freude, wenn er es wieder findet! „Im Himmel herrscht mehr Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die der Umkehr nicht bedürfen“, sagt Jesus.
„Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir“. Das ist aus dem Alltagsleben der Hirten genommen. Sie kennen die Stimme ihres Hirten und vertrauen ihr. Ja, es gibt diese Vertrautheit nicht nur im Verhältnis Hirte und Herde, sondern auch zwischen Gott und Mensch, zwischen Jesus und uns. „Niemand wird sie meiner Hand entreißen“. Das gibt Zuversicht! Jesus ist und bleibt der Gute Hirt, und wer ihm vertraut, wird nicht enttäuscht.
Bei den Hirten, die wir sind und sein sollen (Bischöfe und Priester), ist es leider nicht immer so. Wir bleiben oft weit hinter dem Ideal des Guten Hirten zurück. Aber eines glaube ich doch sagen zu können: wir sehnen uns danach, dem Guten Hirten Jesus ähnlicher zu werden. Wo Menschen solche Hirten erleben, da sammeln sich die „Schäflein“ wieder. Heute, am Gute-Hirten-Sonntag, beten wir überall in der Welt für solche Hirten. Wir brauchen sie, ganz dringend!
Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.
Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.