Das Sprachwunder von Pfingsten ist vor allem ein Geschenk des gegenseitigen Verstehens.
Das Sprachwunder von Pfingsten ist vor allem ein Geschenk des gegenseitigen Verstehens.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zur Lesung am Hochfest von Pfingsten,
27. Mai 2012 (Apg 2,1-11)
Pfingsten – wieder ein langes Wochenende, und hoffentlich keine Unfalltoten im dichten Pfingstverkehr!
Pfingsten – eines der Hauptfeste des Kirchenjahres! Abschluss der Osterzeit, fünfzig Tage nach dem Osterfest. Daher der Name: Pentekoste auf Griechisch, woraus unser „Pfingsten“ wurde: der Fünfzigste (Tag).
Pfingsten – ein Fest mit jüdischen Wurzeln! Eines der großen jüdischen Wallfahrtsfeste: das „Wochenfest“ (Schavuot). Ursprünglich ein typisches bäuerliches Fest: der Dank für die abgeschlossene Weizenernte, die im Heiligen Land deutlich früher stattfindet als bei uns. Später wurde Pfingsten auch das Dankfest für den Bund, den Gott mit seinem Volk am Berg Sinai geschlossen hat, Dank für die Zehn Gebote, die nicht nur für die Juden, sondern für alle Menschen Richtschnur für ein gutes Leben sein sollen.
Pfingsten – das Fest des Heiligen Geistes! Was an diesem Tag geschah, damals in Jesusalem, das beschreibt der Verfasser der Apostelgeschichte, Lukas, als ein stürmisches, eindrucksvolles Ereignis. Die kleine Schar der Anhänger Jesu – etwa 120 – im Abendmahlsaal, dort wo Jesus mit den Seinen kurz vor seinem Leiden noch Mahl gehalten hatte; dort, wo er ihnen an Ostern erschienen war; dort, wo sie sich seither immer trafen und versammelten.
Pfingsten – das „Brausen vom Himmel her“! Wie war das? Was geschah? Die Menschen strömten zusammen, merkten, dass da etwas Besonderes geschah. Zur Wallfahrtszeit kamen viele Juden aus allen Teilen der Welt nach Jerusalem. Hier, heute, bei diesem stürmischen Ereignis, erleben sie etwas Überraschendes: nicht das übliche Sprachgewirr, sondern alle verstehen was die Jünger Christi sagen, jeder in seiner Sprache.
Pfingsten – ein Fest des gegenseitigen Verstehens! Wie schwer ist es, sich zu verständigen, wenn man die Sprache des Anderen nicht spricht! Von unseren vielen Immigranten erwarten wir, dass sie die Sprache unseres Landes erlernen, um hier zu Hause sein zu können. Zu Pfingsten geschieht das Umgekehrte: die Einwohner können sich allen anderen in deren Muttersprache verständlich machen. Das Sprachwunder von Pfingsten ist vor allem ein Geschenk des gegenseitigen Verstehens.
Pfingsten – auch heute! Die Sprachen können Hindernis sein, sie sollen Brücke werden. Ich erlebe das eindrucksvoll mit unseren vielen anderssprachigen katholischen Gemeinden in Wien. Es wäre eine lange Liste, wollten ich sie alle aufzählen, unsere philippinische, vietnamesische, indische, afrikanische, lateinamerikanische, englische, französische, kroatische, albanische, polnische Gemeinde, um nur einige zu nennen. Sie alle sprechen ihre Sprache und sind einander doch nicht fremd, weil der gemeinsame Glaube, die eine Kirche sie verbindet. Für mich ist das Sprachwunder des Pfingsttages alltägliche Erfahrung unserer Kirchengemeinschaft, auch wenn ich – leider – nicht alle diese Sprachen spreche.
Pfingsten – das Fest des Heiligen Geistes in uns! Das jüdische Pfingstfest dankt Gott für die Zehn Gebote. Das christliche Pfingstfest dankt Gott für den Heiligen Geist, der diese Gebote uns Menschen ins Herz legt, nicht mehr als äußere Verhaltensregeln, sondern als innerer Kompass für das, was recht und gut ist, und daher glücklich macht.
Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort.
Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren.
Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.
Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.
In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?
Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.