Das Beraterteam des Erzbischofs bei einer Wanderung auf den Retzer Kalvarienberg (nicht im Bild Michael Scharf und Walter Mick).
Das Beraterteam des Erzbischofs bei einer Wanderung auf den Retzer Kalvarienberg (nicht im Bild Michael Scharf und Walter Mick).
Zum Beginn des neuen Arbeitsjahres hat Kardinal Christoph Schönborn einen Brief an die Gläubigen in der Erzdiözese Wien geschrieben.
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
liebe Brüder und Schwestern!
In der vergangenen Woche hat sich die Steuerungsgruppe des diözesanen Entwicklungsprozesses APG2.1 (das sind der Bischofsrat, das APG-Team und ich) zu einer dreitätigen Klausur getroffen. Vor einem Jahr haben wir Leitlinien für die Entwicklung vorgestellt, und seither ist viel geschehen: Viele gehen mit Mut und Begeisterung den Weg der Erneuerung unserer Kirche. Viele haben einander darin bestärkt, neu nach dem Willen Gottes für uns heute zu fragen und auf die Menschen in ihrer Umgebung offen zuzugehen. Viele haben sich Gedanken gemacht, wie künftige Strukturen für Pfarren und Gemeinden aussehen könnten. Die Pilotprojekte der Dekanate 10 und 15 haben große Schritte vorwärts gemacht, im Dekanat 19 sind die Oblaten des hl. Franz von Sales zu einer "Pfarre Neu" unterwegs, im Dekanat 23 fand eine modellhafte, bunt gemischte Jüngerschule statt, und manche Pfarre, wie beispielsweise Cyrill & Method in Floridsdorf, hat ihren missionarischen Aufbruch fortgesetzt …
Als Steuerungsgruppe nehmen wir dankbar wahr, dass auf breiter Basis ein deutlicher Wille zum Aufbruch vorhanden ist und große Bereitschaft, sich inmitten der gesellschaftlichen Veränderungen auch auf einen kirchlichen Wandel einzulassen. Zugleich sehen wir, dass der begonnene Weg auch Ängste auslöst, Sorgen um den Verlust des bestehenden Guten und manche Enttäuschung. Wir sehen auch die Unterschiede in den Chancen und Herausforderungen in der Großstadt Wien und in den Landgebieten unserer Diözese.
So haben wir uns in der Klausur eingehend mit allen Reaktionen auseinandergesetzt. Mit Klarheit wollen wir kontinuierlich den Erneuerungsweg weitergehen, so wie er in Leitlinien im September 2012 skizziert wurde.
In zwei Bereiche wollen wir dabei in den kommenden Monaten noch mehr Kraft investieren:
Mission first:
Uns trägt die Grundorientierung jeder kirchlichen Erneuerung: unsere Sendung als Kirche. Grundauftrag unseres Christseins ist es, den Blick von uns selbst nach außen zu wenden – so wie es uns auch Papst Franziskus ans Herz legt: hinauszugehen zu den Menschen, zu den Armen, den Einsamen, den Verzweifelten, den Sinnsuchenden… Dieses Bewusstsein wollen wir weiter schärfen. Es sprengt alle kirchlichen Formen, die zu sehr um sich selber kreisen. Daher ist der Erneuerungsprozess zu allererst ein geistlicher Prozess, der uns ins Weite führt. Denn Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie für andere da ist.
Entscheidend ist dabei die Grundhaltung der Jüngerschaft. Erneuerung in der Mission der Kirche geschieht aus der Kraft der Nachfolge Jesu. Wir wollen einander ermutigen, uns dieser Kraft weit zu öffnen. Das bewährt sich auch in scheinbar kleinen Schritten, wie etwa der Anregung, einmal eine Pfarrgemeinderatssitzung zur Gänze dazu zu verwenden, miteinander Bibel zu teilen. Oder darin, mehr Raum dem Gebet zu widmen. Gerade hier können wir auch von den guten Erfahrungen lernen, die bereits an vielen Orten gemacht werden. Mir ist diese Ausrichtung auf das geistliche Wachstum sehr wichtig, denn die "Pfarre Neu", das heißt die Schaffung von Strukturen der Weite und des Aufbruchs, will ja dem großen Ziel unseres Erneuerungsprozesses dienen: der Erneuerung des Glaubens und des christlichen Lebens in unserer Diözese. Das entscheidende Wachstum der Kirche geht in die Tiefe – dort entstehen Weite und Freiheit.
Der Erneuerungsprozess als geistlicher Weg:
Wir verstehen den diözesanen Erneuerungsprozess als Weg: einen Weg, der Zwischenschritte kennt. Gerade in den Landvikariaten wird dieser Weg verstärkt über angepasste Formen von Pfarrverbänden und Seelsorgeräumen gegangen. Diese wurden ja schon in den Leitlinien als wertvolle Übergangsformen genannt. Sie sollen konkret das Zusammenarbeiten von Gemeinden sowie von Laien und Priestern fördern.
Noch ein persönliches Wort: Ich habe mich in der Klausurtagung getragen gefühlt vom gemeinsamen Gebet. Wir haben in diesen drei Tagen miteinander viel gebetet und gesungen, die Bibel geteilt, sind auf den Retzer Kalvarienberg gegangen, haben einander das Wort des Herrn ausgelegt und Christus in Stille angebetet. Unsere zentrale Frage – Herr, sind wir auf dem richtigen Weg? – und unser gemeinsames Ringen um Antworten erlebe ich als tief geborgen in Gottes Hand.
Viele von Ihnen haben eine ähnliche Erfahrung bei den vergangenen Diözesanversammlungen gemacht. Da waren Momente lebendigen, belebenden Glaubens, Momente der (Ver-)Sammlung, die uns gestärkt haben in unserer Sendung als Kirche. Ich freue mich daher besonders auf die kommende Diözesanversammlung im Oktober, bei der wieder etwa 1500 Delegierte aus den Pfarren und Gremien zusammenkommen werden. Dort wollen wir miteinander auf den zurückgelegten Weg schauen und voreinander und mit Gott klären, wie es weitergehen kann.
Möge die freie, offene, intensive Atmosphäre dieser kommenden Tage, das gemeinsame Beten und Hören, der Austausch und die gemeinsame Sorge um die Zukunft unserer Kirche uns erneut erfahren lassen, wie kraftvoll unser Glaube ist und welch unzerstörbare Heimat er uns schenkt. So freue ich mich auf eine "Zeit des Meisters", eine Zeit, bei Ihm gemeinsam in Seine Lebensschule zu gehen.
Insgesamt schaue ich daher – gerade auch nach unserer Klausur – hoffnungs- und erwartungsvoll in das begonnene Arbeitsjahr und hoffe dabei besonders auf viel Zeit für das Gebet. Wenn wir dem Gebet Raum und Zeit geben, werden all nötigen organisatorischen Überlegungen und Aktivitäten einen guten Boden haben.
+ Christoph Kardinal Schönborn
Erzbischof von Wien