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14.12.2017 · Glaube · Kunst&Kultur

Heinrich Böll – Der gute Mensch von Köln

Heinrich Böll: Dass sonntags Millionen die Kommunion empfangen, aber nicht verändert werden, frustrierte ihn zutiefst.

Heinrich Böll erhielt als erster deutschsprachiger Katholik den Litertaturnobelpreis (1972). Am 21. Dezember jährt sich der Geburtstag des großen Schriftstellers zum 100. Mal. Worin ist Heinrich Böll in seinem Denken für uns heute aktuell? Dazu befragte der SONNTAG, die Zeitung der Erzdiözese Wien, den Schweizer Theologen Christoph Gellner. Er ist Leiter des Theologisch-pastoralen Bildungsinstituts in Zürich und Mitarbeiter des Ökumenischen Instituts der Universität Luzern. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die „Religion in der Gegenwartsliteratur“.

 

 

In welchen Punkten ist Heinrich Böll für uns heute von Aktualität (gilt er nicht z.B. als Kritiker einer materialistisch ausgerichteten Konsumgesellschaft)?

 

Christoph Gellner: Dass er den kaum mit unserer heutigen Wohlstandssaturiertheit vergleichbaren Konsumismus des sog. Wirtschaftswunders kritisierte, zeigt, dass Böll auf zeitsensible Weise unzeitgemäss war.

 

Bewusst hat er in seiner Nobelpreisvorlesung für die „Abfälligen“ der Gesellschaft Partei ergriffen und sich jener Literaturströmung zugerechnet, die sich für „ganze Provinzen von Gedemütigten, für menschlichen Abfall Erklärten“ zuständig weiß.

 

Dabei liegt Bölls Rang nicht nur in seiner moralischen Qualifikation als streitbarer Zeitgenosse und ‚guter Mensch von Köln‘ – Ilija Trojanow hat sich in seiner Dankrede zum Heinrich-Böll-Preis jüngst selbstbewusst zu solchem ‚Gutmenschentum’ bekannt –, sondern in der Meisterschaft seines aufklärerisch-realistischen Erzählens.

 

Sie kann mit wachsendem Abstand zu den damaligen Auseinandersetzungen neu entdeckt werden wie Bölls ganz eigenwilliger literarischer Katholizismus.

 

Die ausgrenzend-hasserfüllten Schmähungen, die Böll als engagierter Autor und gläubig-institutionenkritischer Linkskatholik erfuhr, mögen Nachgeborenen fremd vorkommen wie von einem anderen Stern.

 

Inwiefern ist Böll auch für die Kirche heute aktuell?

 

Die kultur- und gesellschaftsbestimmende Macht institutionalisierter Religion, denken Sie nur an die Amtskirche samt Milieu-und Verbandskatholizismus, ist in einem zu Bölls Lebzeiten kaum erwartbaren Ausmaß zurückgegangen.

 

Das hat ganz neue Freiräume für Kunst und Literatur eröffnet, unbefangen Religiöses und Spirituelles zu thematisieren ohne Angst vereinnahmt zu werden.

 

Bleibend aktuell scheint mir Bölls ganz aufs Jesuanische konzentrierte Gesellschaft-, Kirchen- und Christentumskritik, der er gerade im Rückgriff auf die Bibel immer wieder religiöse Tiefenschärfe verlieh. Wird heute nicht etwas von Bölls jesuanischem Christentums der kirchlich randständigen, ungläubig Gläubigen spürbar und neu brisant, wenn Papst Franziskus die gegenleistungsfreie Barmherzigkeit stark macht gegen die Engherzigkeit abstrakter Doktrinen?

 

Böll war kaum zufällig überzeugt, „dass 800 Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz dieser Erde verändern könnten“.

 

Wie lässt sich die Religiosität Heinrich Bölls kurz zusammenfassen? Was war ihm da wichtig? Wie lebte er den Glauben?

 

Zu Recht nannte der mit Böll befreundete evangelische Pastor Heinrich Albertz ihn „Poet in der Nähe Jesu“. Jesus ist die durchgehend große Bezugsgestalt für ihn, ein fester Kompass schon gegenüber Hitler und in der Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, da gibt es eindringliche Briefzeugnisse an seine Frau.

 

„An der Gegenwart des Menschgewordenen werde ich nie zweifeln“, hat Böll 1973 auf die Frage geantwortet: Wer ist Jesus von Nazaret – für mich? „Mir scheint die Trennung des Jesus vom Christus wie ein unerlaubter Trick, mit dem man dem Menschgewordenen seine Göttlichkeit nimmt und damit auch allen Menschen, die noch auf ihre Menschwerdung warten.“

 

Selbst als er 1976 aus der öffentlichen Körperschaft Kirche austrat, fühlte er sich weiterhin dem mystisch-spirituellen corpus Christi zugehörig.

 

Zugleich bemühte sich Heinrich Böll schon vor 50 Jahren, die von realen Lebensvollzügen weithin abgelösten Sakramente alltagspraktisch zu konkretisieren.

 

Wie in keinem anderen Roman erscheint in „Gruppenbild mit Dame“ Sakrales säkularisiert und Profanes sakralisiert. Das Spirituelle verleiblicht sich im Materiellen wie das Göttliche im zwischenmenschlich Sinnlichen – solche Aufmerksamkeit für die Heiligkeit des Alltags ist hochaktuell!

 

Welches Buch von Heinrich Böll schätzen Sie persönlich am meisten und warum?

 

Neben „Ansichten eines Clowns“ und „Billard um halb zwölf“ nenne ich gerne „Frauen vor Flusslandschaft“. Diese kurz nach Bölls Tod erschienene Real-Groteske wirft einen alterszornigen Blick auf Macht und Geld als Gesetz von Kirche, Staat und Wirtschaft.

 

Dem schauhaft-demonstrativen Leere von Amtskirche, Politik, Justiz und Medien ist ein imaginäres Kraftzentrum gegenübergestellt, das nur in der Geste des in den Sand schreibenden Jesus beschworen wird: der Anwalt der unmoralischen Sünder als Störfaktor und Garant der Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft.

 

Können Sie in wenigen Worten Ihren Forschungsschwerpunkt „Religion in der Gegenwartsliteratur“ beschreiben?

 

Angesichts der „ausgeglaubten“ Kirchensprache ist für mich als Theologe die Spracharbeit der Dichter wichtig. Zudem ist es spannend, der neuen Aufmerksamkeit für Gott und Religiös-Spirituelles im Raum zeitgenössischer Literatur nachzugehen wie in meinem Buch „…nach oben offen. Literatur und Spiritualität“. Einen hochaktuelles Thema bilden die Weltreligionen, neben fernöstlich-asiatischer Religiosität interessiert mich vor allem der Islam in der eben erst entstehenden deutsch-muslimischen Literatur („Blickwinkel öffnen. Interreligiöses Lernen mit literarischen Texten“).

erstellt von: Der SONNTAG / Agathe Lauber-Gansterer
14.12.2017
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Weitere Informationen:

zur Person

Dr. theol. Christoph Gellner, Leiter des Theologisch-pastoralen Bildungsinstituts in Zürich und Mitarbeiter des Ökumenischen Instituts der Universität Luzern

 

 


Heinrich Böll, Der gläubige Kirchenkritiker


weitere Informationen zu

 

Der SONNTAG
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
1010 Wien
T +43 (1) 512 60 63
F +43 (1) 512 60 63-3970

E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at

Nachrichten

Einsame Weihnacht

Antworten von Kardinal Christoph Schönborn in der Tageszeitung HEUTE am 19.12. 2025.

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Die gemeinsamen Feierhefte für das Fest der Weihe und Amtseinführung unseres neuen Erzbischofs können ab Anfang Januar bestellt werden.

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Krippenführungen in der Dominikanerkirche S. Maria Rotunda

In der Weihnachtszeit lädt die Dominikanerkirche S. Maria Rotunda zu drei stimmungsvollen Krippenführungen ein, bei denen Pfarrer P. Christoph J. Wekenborg OP die historische Klosterkrippe aus dem Grödnertal näher vorstellt.

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Ein Abschied, der schmerzt, führt zu einem Neuanfang: Die Erzdiözese Wien begleitet die Gemeinde nach der Profanierung der Pallottikirche und lädt alle herzlich ein, in der Pfarre Maria Hietzing eine neue, hoffnungsvolle Heimat zu finden und gemeinsam Kirche zu sein. 

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Geweihte Männer mitten in Beruf und Familie: Ständige Diakone dienen als unverzichtbare Vermittler zwischen kirchlichem Auftrag und dem Leben der Menschen.

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Die Gemeinschaft Cenacolo lädt alle zu einem besonderen Krippenspiel ein  – einer lebendigen Darstellung der Geburt Jesu mit selbstgebauten Kulissen, handgefertigten Kostümen und zwei echten Eseln.

 

Festmonat Dezember: Zwischen Kirschzweigen und Konsumrausch

Advent- der Inbegriff von Spannung zwischen Sehnsucht nach Innerlichkeit und angespannter Betriebsamkeit. Heiligenfeste bieten Kontrapunkte,

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Nikolaus ohne Drohfinger – warum der Heilige mehr kann als Sackerl verteilen

Ein Heiliger, der die Hand reicht – auch anderen Konfessionen und Religionen, wird er doch in der Ostkirche ebenso verehrt wie im Westen.

Papst mahnt: Synodaler Weg braucht mehr innerdeutschen Dialog

Papst Leo XIV. sieht den Reformprozess der deutschen Kirche noch nicht am Ziel. Beim Rückflug aus dem Libanon mahnte er mehr innerdeutschen Dialog an – und warnte vor Machtgefällen, die Stimmen vieler Gläubiger zum Verstummen bringen könnten. Vielfalt in der Synodalität sei kein Bruch, sondern Stärke.

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Kirche und Medien tragen gemeinsam Verantwortung für Wahrheit, betonte der designierte Wiener Erzbischof Josef Grünwidl bei der Adventbegegnung mit ORF-Mitarbeitern.

Bürgermeister Ludwig: Bibelerzählung von Sturm am See „Anleitung für Politiker“

Herausforderungen mit kühlem Kopf zu meistern und die Nerven nicht wegzuschmeißen, könne man von der Bibel lernen, so der Wiener Bürgermeister bei der „Nacht der Stille“ im Stephansdom.

Votivkirche: Palästina-Banner entfernt

Spezialkletterer entfernten palästinensische Fahnen von den Türmen der Votivkirche in Wien. Die Erzdiözese prüft rechtliche Schritte.

Stephansdom: „Herbergssuche“ mit Segnung und Verteilung der Barbara-Zweige

 

Stift Engelszell: Ein Abschied mit Gewicht

Engelszell lebt weiter: Nach dem Ende der Trappistenära übernimmt die Diözese Linz die Verantwortung für das Stift.

Latinos feiern Guadalupe-Fest erstmals im Stephansdom

Erstmals Guadalupe-Fest im Stephansdom: Spanischsprachige Messe am 12. Dezember – Priester Curiel Rojas nennt Feier „zentrales Glaubensfest und Ausdruck von Identität“

Wien: Erzdiözese distanziert sich von Palästina-Flaggen auf Votivkirche

Kirche prüft rechtliche Schritte gegen Anbringung im Zuge einer Demonstration

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