Ein Haustier schenkt Zuneigung und wertet nicht nach menschlichen Kriterien. Auch akzeptiert es seinen Halter bedingungslos.
Ein Haustier schenkt Zuneigung und wertet nicht nach menschlichen Kriterien. Auch akzeptiert es seinen Halter bedingungslos.
Haustiere gehören für viele Menschen zur Familie. Für Bedürftige und Obdachlose sind sie ein Halt im Leben und auch der letzte Begleiter, der ihnen geblieben ist.

Über die Anzahl der akut obdachlosen Menschen in Wien herrscht Ungewissheit. Schätzungen gehen davon aus, dass einige hundert Menschen trotz Wind und Kälte auch in diesem Winter im Freien schlafen.
Für manche kann es schwierig werden, wenn sie ein Haustier besitzen, einen Platz in einer Notunterkunft zu bekommen. Die oft vierbeinigen Weggefährten sind den Betroffenen oftmals wichtiger als ein Dach über dem Kopf.
Für Obdachlose kann das Haustier die wichtigste Bezugsperson sein. Wir haben uns in Wien umgesehen, wo Mensch und Tier gemeinsam eine Herberge finden.
Burgi S. (Name der Redaktion bekannt) öffnet vorsichtig die Tür zu ihrer kleinen Wohnung. „Guten Morgen. Kommen Sie herein.“ Eine zarte Stimme empfängt den Besucher. Langsam wandert sie mit dem Rollator zu ihrer Couch zurück, setzt sich vorsichtig hin.
Zwei Katzen folgen dem Unbekannten mit misstrauischen Blicken. Drei Finken fliegen freudig flatternd in ihrem Käfig.
Seit über zehn Jahren lebt die heute 63-Jährige im Neunerhaus in der Kudlichgasse in Wien-Favoriten. So wie einige andere hier war auch Burgi früher obdachlos.
Ihre Wohnung teilt sie sich heute mit ihren fünf Haustieren. Der Kratzbaum steht vor dem hohen, schmalen Fenster – der Käfig auf einer Anrichte. Burgi ist im Haus nicht die einzige Bewohnerin, die hier mit ihren Tieren lebt – auch andere halten welche.
Ein Haustier schenkt Zuneigung und wertet nicht nach menschlichen Kriterien. Auch akzeptiert es seinen Halter bedingungslos, erzählt Elisabeth Kury vom Verein Tiere als Therapie (TAT) an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Dieser fördert den Einsatz von tiergestützten Therapien, bietet in diesem Zusammenhang Beratungen und Weiterbildungen für Tierhalter an.
Weshalb halten Obdachlose oder Bedürftige Haustiere, obwohl sie sich um sie kaum sorgen können?
„Sie sind Randgruppen und werden von der Gesellschaft oft abgelehnt oder ausgeschlossen“, weiß Elisabeth Kury. Auch hätten sie ein besonderes Bedürfnis nach Zuneigung und Nähe.
Für viele ist daher das Haustier der vielleicht letzte Lebensinhalt, ein Partner in schwierigen Zeiten. Ohne das Haustier lassen sich viele „oft fallen“, erzählt die Expertin. Wenn sie sich schon nicht mehr um sich selbst kümmern können, dann wenigstens um ihren Hund oder ihre Katze. „Das fördert bei vielen Obdachlosen und Bedürftigen den Selbstwert.“
Vor über vier Jahren rief die Volkshilfe Wien das Projekt „A Gspia fürs Tier“ ins Leben. Tiere als Therapie schult und betreut Bewohner/innen und Mitarbeiter/innen im Umgang mit den Haustieren; aber nicht nur in den Häusern der Volkshilfe – auch in jenen etwa der Caritas, der Arge Wien, der Heilsarmee und des Neunerhauses.
Das Neunerhaus ist eine im Jahre 1999 gegründete Sozialorganisation mit Sitz in Wien. Diese bietet obdachlosen Menschen Wohnraum sowie allgemein- und zahnmedizinische Versorgung.
Auch die Caritas Wien und die Volkshilfe Wien bieten Wohnungen an, in denen Bedürftige und Obdachlose mit ihren Zwei- und Vierbeinern wohnen dürfen.
„Wir waren die erste Obdach- und Wohnungsloseneinrichtung, die Tiere so in ihren Unterkünften zugelassen haben“, sagt Daniela Unterholzner, Geschäftsführerin des Neunerhauses.
Drei Häuser mit über 182 Wohnplätzen betreibt die Organisation heute; eines davon ist jenes in Wien-Favoriten, wo auch Burgi wohnt. In allen Wohnungen dürfen Tiere gehalten werden.
Daniela Unterholzner: „Es dominieren Hunde – und ja, wir lassen auch Exoten zu.“ Dazu zählte etwa auch ein Leguan. Er wurde auch von der Tierärztlichen Versorgung des Vereins betreut. „Tiere sind eine wichtige Stütze für unsere Bewohner“, betont Jerko Lukacevic, Wohnbetreuer im Neunerhaus in Wien-Favoriten. Insgesamt zehn Katzen, acht Hunde und ein paar Wellensittiche leben hier.
Auch in zwei Häusern der Caritas der Erzdiözese Wien dürfen Klienten ihre Haustiere mitnehmen und dort mit ihnen gemeinsam wohnen. Es ist das FrauenWohnZentrum in der Springergasse im zweiten Bezirk sowie das Haus St. Josef in der Bernardgasse im siebenten Bezirk.
Dessen Leiterin Anita Scherzer sagt: „Vielfach sind Tiere die einzigen treuen Begleiter, sie geben Halt in schwierigen Lebenssituationen.
Unser gemeinsames Ziel ist es, dass unsere Klienten nach der Zeit bei uns im Haus in eine eigene Wohnung wechseln können. Unsere Sozialarbeit und unsere Wohnbetreuung bieten dafür individuelle Unterstützung, oft sind es auch die Tiere, die einen positiven Einfluss beim Weg zurück in ein geregeltes Leben haben.“
„Meine fünf Lieblinge sind für mich mein Ein und Alles. Meine Familie, meine Kinder.“ Sie geben Burgi nicht nur Kraft. Ein Leben ohne sie – nein das könne sie sich heute beim besten Willen nicht vorstellen. Mit ihnen gehe sie durch dick und dünn. Kater Moritz mussten etwa im vergangenen Jahr einige Zähne gezogen werden – der Eingriff erfolgte in der Tierärztlichen Versorgung des Neunerhauses. Burgi war bei ihm: „Ich hielt und streichelte den Kater, als er die Spritze bekommen hat.“
Über zwanzig Tiere wohnten früher mit Burgi zusammen, teilten sich die Wohnung mit ihr; darunter auch Wüstenrennmäuse sowie die Meerschweinchen Stubsi und Mucki. Burgi: „Das war vor vielen Jahren – aber in einem anderen Neunerhaus.“ Burgi ist altkatholische Christin. Ihr Glauben habe ihr besonders in „schwierigen Stunden“ immer wieder weitergeholfen.
Die Heimhilfe nimmt sich heute ihrer fünf Haustiere an. Denn das Kistl für die Katzen oder den Käfig für die Finken könne sie aufgrund ihrer angeschlagenen Gesundheit nicht mehr machen.
Das Tierfutter kaufe sie von ihrer kleinen Pension. Spenden erhalte sie keine, wie sie sagt. Sie habe aber gehört, dass viele der im Haus wohnenden Tierbesitzer welche erhalten. „Wir bekommen immer wieder Tierfutter-Spenden von verschiedenen Organisationen und auch von Privatpersonen“, erzählt Jerko Lukacevic.
Eine dieser Organisationen ist Animalfriends von Michael Ruttner. Er und viele ehrenamtlichen Helfer verteilen jeden letzten Samstag im Monat kostenlos Tierfutter an obdachlose und bedürftige Tierhalter.
Aber nicht nur das – auch Schlafsäcke, Decken, Mützen, Schals oder Handschuhe warten hier auf Obdachlose und Bedürftige.
Über 100 sollen es bereits sein, die jeden Samstag – oft auch in Begleitung ihrer Vierbeiner – zur Bahnunterführung am Bahnhof Praterstern in Wien kommen. Als praktizierender Katholik setzt Michael Ruttner die christliche Nächstenliebe gleich in die Tat um. Daher werden Tiere und Menschen bei diesem Tierhilfsprojekt gleichermaßen berücksichtigt und versorgt. Michael Ruttner: „Es bereitet einfach doppelt Freude, wenn man Mensch und Tier helfen kann.“
Burgi zeigt auf ein Bild an der Wand. „Das ist Manfred“, sagt sie mit zitternder Stimme. Tränen kullern an ihren Wangen herunter. „Er war für mich nicht nur ein guter Freund, sondern auch mein Lebensretter.“ Manfred wohnte im sechsten Stock des Hauses.
Burgi streichelt Katze Cindy über den Rücken. Manfred habe sie „festgehalten“, sagt sie. Er brachte sie vom Alkohol los. Manfred starb kurz vor Weihnachten. Schwer krank war er, wollte nicht mehr weiterleben, erzählt sie. Seine Katze lebt heute im Haus bei einer Nachbarin.
Sollte eine ihrer Katzen sterben, werde sie wieder eine bei sich aufnehmen. Burgi: „Aber keine junge Katze. Es muss eine ältere sein, die wieder ein Zuhause sucht.“
Wo Mensch und Tier zusammenleben
Die Haustierhaltung ist heute in über 25 Einrichtungen („Häusern“) in Wien gestattet. Es sind sowohl betreute Übergangswohneinrichtungen als auch dauerhaft betreute Wohneinrichtungen oder Wohnungen.
Caritas der Erzdiözese Wien: 2 Häuser;
Wiener Rotes Kreuz: 1 Haus;
Obdach Wien: 5 Häuser;
Arbeitersamariterbund Wien: 3 Häuser;
ARGE Wien: 5 Häuser;
Heilsarmee: 5 Häuser; Neunerhaus: 3 Häuser;
Volkshilfe Wien: 2 Häuser.
Die WOBES (Verein zur Förderung von Wohnraumbeschaffung) verfügt über 100 Wohnplätze in über 100 Wohnungen in Wien.
In allen dürfen die Bewohner mit ihren Haustieren leben.
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