"Wir sind nach wie vor dringend auf der Suche nach privatem Wohnraum für Flüchtlinge", sagt Klaus Schwertner.
"Wir sind nach wie vor dringend auf der Suche nach privatem Wohnraum für Flüchtlinge", sagt Klaus Schwertner.
Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, sieht nicht nur in der Integration der Flüchtlinge eine große Herausforderung für seine Organisation. Es geht auch darum, weiterhin die Ängste und Sorgen der benachteiligten Österreicher ernst zu nehmen.
Welche Stimmung nehmen Sie in der Bevölkerung momentan im Zusammenhang mit der Flüchtlingsaufnahme und -betreuung wahr?
Klaus Schwertner: Die Zeiten sind natürlich fordernd, und das sollte man nicht kleinreden. Die Aufgaben, die zu bewältigen sind, sind sehr groß. Doch durch eine zum Teil angstgetriebene Politik nimmt die Verunsicherung in der Bevölkerung unnötig zu. Als Caritas sagen wir daher ganz klar: Wer dieses Land liebt, spaltet es nicht. Wir müssen die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft also sehr ernst nehmen und versuchen, ein gutes Zusammenleben zu fördern. Die Quartierskrise von gestern darf nicht zur Integrationskrise von morgen werden. Hier gibt es auch sehr viel Grund zur Zuversicht. Wir nehmen wahr, dass sich seit dem letzten Sommer allein bei der Caritas Österreich 15.000 neue Freiwillige gemeldet haben. Menschen, die sagen, sie wollen anpacken und helfen. Das war in der akuten Notsituation natürlich primär Ersthilfe, d.h. Sachspenden sortieren, Lebensmittel und saubere Kleidung ausgeben. Aber bis zum heutigen Tag sind es ganz wichtige Integrationsleistungen, die erbracht werden: Deutschkurse, Kinderbetreuung, Begleitung bei Behördenwegen. Es geht so weit, dass Privatpersonen Menschen bei sich zu Hause aufgenommen und ihr Zuhause mit einem Flüchtling teilen.
Was ist für die Integrationsarbeit wichtig?
Klaus Schwertner: Es sind drei große Themenbereiche, mit denen sich nicht nur die Caritas, sondern die Gesellschaft und auch die Politik insgesamt beschäftigen müssen: Bildung und Spracherwerb, leistbarer Wohnraum sowie das Thema Arbeitsmarktzugang. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder davon gesprochen, dass wir fast so etwas brauchen wie eine doppelte Integration. Einerseits geht es um eine Integration jener Menschen, die jetzt bei uns Zuflucht finden. Andererseits um eine Integration jener Österreicher, die nun Sorge haben, dass ihre Not vergessen werden könnte. Ich kann verstehen, dass eine Mindestpensionistin, ein armutsbetroffener Mensch, eine alleinerziehende Mutter, die sehr wenig Geld oder kein Geld am Monatsende hat, in Sorge ist, wenn seit Monaten ausschließlich über das Thema Flüchtlinge gesprochen wird. Wir brauchen kein „Entweder-Oder“, sondern ein „Sowohl-Als-Auch“. Die Nöte der einen dürfen nicht gegen die Nöte der anderen ausgespielt werden.
Sie müssen nicht aufgrund der Flüchtlingshilfe andere Leistungen der Caritas zurückfahren?
Klaus Schwertner: lch werde momentan nicht müde, es immer wieder zu betonen: Auch wenn es vielleicht bei manchen Menschen so ankommt, als würden wir uns derzeit ausschließlich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten all unsere Angebote nicht nur fortgeführt, sondern auch ausgebaut. All das, was in der Flüchtlingshilfe jetzt passiert, ist zusätzlich passiert zu dem, was wir vorher bereits geleistet haben, gemeinsam mit vielen Pfarren, mit der Zivilbevölkerung. Es geht nicht um ein „Entweder-oder“, sondern um ein „Sowohl-als-auch“. Das ist fordernd, hat uns aber auch gezeigt, wie vieles möglich ist, wenn alle zusammenhelfen.
Private Quartiere für Flüchtlinge aufzutreiben, scheint ein schwieriges Unterfangen zu sein. Was ist Ihre Erfahrung?
Klaus Schwertner: Es war für mich im letzten Herbst unglaublich berührend, dass Menschen, die zum Westbahnhof gekommen sind, Flüchtlinge bei sich aufgenommen haben, zu Hause duschen haben lassen, ihnen zu essen gegeben und sie für ein oder zwei Nächte beherbergt haben. Es ist natürlich noch ein größerer Schritt, längerfristig Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Wir kennen Fälle, bei denen es sehr gut funktioniert, und die sind auch wegweisend für die Integration. Was gibt es Besseres für dieses Ankommen in einem neuen Land, wenn man bei Österreichern wohnen kann oder neue Freunde gewinnt, die einem bei diesem Neuanfang helfen? Wir sind nach wie vor dringend auf der Suche nach privatem Wohnraum, nach Menschen, die sagen, sie nehmen Flüchtlinge bei sich auf. Unsere Empfehlung ist, sich wirklich entsprechend zu informieren. Wir raten dazu, dass es abgegrenzte Wohnbereiche sind, um eine längerfristige Perspektive zu ermöglichen. Als Caritas können wir diesen Prozess gerade bei den ersten Schritten für beide Seiten begleiten.
Es gibt Meldungen, wonach geflüchtete Menschen mit christlichem Glauben in Flüchtlingsquartieren in Deutschland von Muslimen benachteiligt bzw. unterdrückt werden. Gab oder gibt es solche Vorfälle auch hierzulande?
Klaus Schwertner: Ich habe in Österreich bisher nur von Einzelfällen gehört. In den Quartieren der Caritas der Erzdiözese Wien ist mir bis heute nichts bekannt, aber wir haben natürlich die entsprechende Sensibilität. Was uns als Caritas auszeichnet, ist, dass wir unabhängig von Religion und Herkunft, sozialen Status, Geschlecht, sexueller Orientierung dort helfen, wo Hilfe benötigt wird. Es zählt zuallererst der Mensch. Was aber natürlich nicht geht, ist, wenn jemand aufgrund seines Menschseins, aufgrund seines Glaubens oder seiner oder ihrer Sexualität diskriminiert wird. Ganz gleich, ob in einer Flüchtlingsunterkunft oder in einer Unterkunft für wohnungslose Menschen.
Eine Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzbedürftige wie es in Oberösterreich politisch debattiert wird, führte zu heftigen Reaktionen der dortigen Caritas. Wie blicken Sie von Wien auf das Thema?
Klaus Schwertner: Ein bisschen hat man den Eindruck, als wird aktuell das Flüchtlingsthema von jenen instrumentalisiert, die schon immer Kürzungen bei der Mindestsicherung vornehmen wollten. Wenn man an den Ursprungsgedanken der Mindestsicherung denkt, dann war es jener, dass allen Menschen in Österreich ein menschenwürdiges Leben garantiert werden soll. Die Mindestsicherung garantiert ja kein Leben in Luxus, sondern verhindert ein Abrutschen in Armut. Es gibt, auch wenn immer so getan wird, keine Wahlfreiheit, ob jemand arbeiten geht oder Mindestsicherung bezieht. Das ist ein Mythos, der sich verfestigt hat. Schon heute bestehen ganz klare Kriterien, wann Mindestsicherung in welcher Höhe beantragt werden kann und wann es auch zu entsprechenden Sanktionen kommt. Ein Großteil der Mindestsicherungsbezieher empfängt nur einen Teilbetrag der Mindestsicherung, weil sie einer Arbeit nachgehen, aber so wenig verdienen, oder eine Pension haben, die so niedrig ist, dass sie eine entsprechende Ausgleichszahlung im Schnitt von 300 Euro bekommen. Gerade auch vor dem Hintergrund des aktuellen Skandals rund um die „Panama Papers“ frage ich mich schon, welche Debatte wir hier führen.
Mit welcher Entwicklung bezüglich Flüchtlingskrise rechnen Sie in den kommenden Monaten?
Klaus Schwertner: Kein Grenzzaun, keine Mauer, kein böses Wort kann Flüchtlinge davon abhalten, vor Krieg und unglaublicher Not zu fliehen. Aktuell beginnt der EU-Türkei-Deal zu wirken, mit den ersten Rückführungen von Griechenland in die Türkei. Gleichzeitig ist vor wenigen Tagen wieder ein Flüchtlingsboot von Griechenland kommend in Italien gelandet. Wir haben immer gesagt, dass es zu einer Verschiebung der Fluchtwege kommen wird, aber nicht zu einem Ende der Not. Wir sind überzeugt, es kann nur eine gemeinsame europäische Lösung geben. An dieser muss in derselben Intensität weitergearbeitet werden, wie der EU-Türkei-Deal verhandelt wurde. Es kann nicht sein, dass Österreich, Deutschland und Schweden den wesentlichen Teil der Verantwortung übernehmen.
Braucht es aber nicht noch mehr?
Klaus Schwertner: Wenn man die Ursachen der Fluchtgründe nicht bekämpft, dann werden weiterhin Menschen flüchten. Entscheidende Frage dabei: Wie bringt sich die Europäische Union bei echten Friedensbemühungen in Syrien oder in Afghanistan ein? Und: Derzeit habe ich das Gefühl, dass die Hilfe vor Ort zu einem Modebegriff in Sonntagsreden von Politikern geworden ist. In Wirklichkeit gab es in den letzten Jahren Kürzungen und keine Aufstockung. Diesen Sonntagsreden sollten Taten folgen, im Wissen, dass die Hilfe vor Ort mit vergleichsweise geringen Mitteln Großes leisten kann. Die Ankünfte im südlichen Mittelmeer in Italien haben in den letzten Tagen bereits stark zugenommen und wir werden uns darauf einstellen müssen, dass auch heuer wieder eine große Anzahl an Flüchtlingen kommen wird. Wenn Sie mich fragen, wie viele das sind, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Europa mehr einfallen muss, als sich von der Not abzuschotten.
Ein Informations- und Vernetzungstag für alle, denen die Integration von Flüchtlingen ein Anliegen ist.
Im Blickpunkt steht die nächste Phase der Integration: "Angekommen, Schutz gefunden" – wie geht es weiter?
Fragen zu Arbeitsmarkt, Wohnungssuche, Asylverfahren über Deutschkurse bis hin zur Traumatisierung stehen im Fokus der Veranstaltung. Die Teilnahme ist kostenlos.
Wann: Samstag, 23. April 2016, von 9.30 bis 17 Uhr
Wo: im Kardinal König Haus, 1130 Wien, Kardinal-König-Platz 3
Jetzt anmelden:
www.erzdioezese-wien.at/integrationstag
Rückfragen unter Tel. 01/512 3503-3964 (Barbara Kornherr)
In der Erzdiözese Wien sind 1087 Personen in kirchlichen Unterkünften untergebracht, 200 Pfarren engagieren sich aktiv in der Unterbringung von Flüchtlingen.
Neben der akuten Flüchtlingsnothilfe betreut die Caritas österreichweit rund 43.000 Asylwerberlnnen in Grundversorgung, davon knapp 9.000 in von der Caritas betriebenen Unterkünften. Davon sind mehr als 870 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
34.000 Flüchtlinge, die privat oder in Quartieren anderer Unterkunftsgeber untergebracht sind, werden mobil, regional oder ambulant von der Caritas betreut.
Die Caritas versorgt damit aktuell etwa jede/n dritte/n Asylwerberln in Österreich. Ohne Klöster, Orden und engagierte Pfarrgemeinden wäre dies nicht möglich.
Seit Februar 2016 wurden 257 neue Grundversorgungsplätze der Caritas geschaffen und 2.246 Personen mehr im Rahmen der mobilen, regionalen und ambulanten Betreuung betreut. Gesamt werden 2.503 Menschen mehr in der Grundversorgung durch die Caritas betreut.
Weitere 1.300 Plätze sind bereits in Planung und sollten bis zum Ende des ersten Halbjahres 2016 zur Verfügung stehen.