Draußen schneit es. Die Ortschaften in der Ostukraine versinken langsam im Schnee. Es ist bitterkalt. Die Menschen versuchen in ihrer Not zu überleben.
Draußen schneit es. Die Ortschaften in der Ostukraine versinken langsam im Schnee. Es ist bitterkalt. Die Menschen versuchen in ihrer Not zu überleben.
Vor dreieinhalb Jahren musste Julia mit ihrer Familie ihre Heimat im ost-ukrainischen Kriegsgebiet Hals über Kopf verlassen. Ihr Schicksal steht stellvertretend für die Not von Millionen Flüchtlingen und Kriegstraumatisierten.
Im Osten der Ukraine tobt seit fast vier Jahren ein brutaler Krieg. Ein Krieg, der bereits mehr als 10.000 Tote, 25.000 Verletzte und Millionen Vertriebene gefordert hat.
Ein Krieg, in dem immer noch fast täglich Menschen sterben, darunter auch immer wieder Kinder. Ein Krieg am östlichen Rand Europas, den die Welt vergessen zu haben scheint.
Doch für die hunderttausenden Menschen, die im Kriegsgebiet leben müssen, sind Tod, Not und Elend tägliche bittere Realität.
Die Caritas will diese Menschen nicht vergessen. Caritas-Präsident Michael Landau und sein Auslandshilfechef Christoph Schweifer haben sich deshalb auf den Weg in die Ostukraine gemacht. Die Schwerpunktregion der diesjährigen Februar-Sammlung, mit der die Caritas vor allem Kindern in Not helfen will.
Ich habe Landau und Schweifer für den SONNTAG begleitet.
In der ostukrainischen Kleinstadt Slowjansk treffe ich in einer kleinen Wohnung in einem Plattenbau auf Julia und ihren Sohn Maksim. Für die heute 36-jährige Frau und ihre Familie begann dieser Krieg am 21. Juli 2014 in den frühen Abendstunden. „Tagsüber war es noch völlig ruhig“, erzählt sie. Und plötzlich lag ihr Haus direkt an der Frontlinie.
Eine Nacht verbrachten Julia, ihr Mann Alexander und die beide Söhne, der 9-jährige Maksim und der fünf Monate alte Kyrill, im Keller ihres Hauses, dann flüchteten sie mit dem Auto Richtung Westen.
Maksim ist inzwischen 12. An die Kämpfe von damals kann er sich noch gut erinnern. Er wisse noch, erzählt er, wie ihr Haus von Männern umstellt wurde und diese darauf schießen wollten.
Dann seien aber andere Leute gekommen und hätten die Männer gefragt, ob sie denn nicht wüssten, dass in dem Haus auch noch Kinder seien und dass sie doch nicht einfach so schießen könnten.
Die Geschehnisse von damals haben den Buben schwer traumatisiert. Bis heute bekommt er Angstzustände, wenn auf der Straße laute Geräusche zu hören sind, erzählt seine Mutter.
Auch in der Schule in Slowjansk hatte der Bub anfangs Probleme. Nach einem Schulwechsel gehe es ihm jetzt aber besser, sagt Julia.
Maxim ist beileibe kein Einzelfall. Bis zu 80 Prozent der Kinder aus den Kriegsgebieten sind schwer traumatisiert, erzählt der ukrainische Caritaspräsident Andrij Waskowycz.
Die Caritas finanziert für viele dieser Kinder psychologische Betreuung, damit sie ihre seelischen Verwundungen aufarbeiten können.
Als Julia von ihrem Haus, dem Leben vor dem Krieg, aber auch von ihrer Flucht berichten will, versagt ihr die Stimme und die Tränen rinnen ihr über die Wangen. Auch dreieinhalb Jahre nach den Ereignissen sitzt ihr der Schrecken noch im Nacken.
Die Familie schaffte es schließlich mit dem Auto nach Slowjansk. In der Kleinstadt, die zur umstrittenen und umkämpften Region Donezk gehört, brachen im Frühjahr 2014 die Kampfhandlungen in der Ostukraine aus. Separatisten besetzten die Stadt und erklärten das Gebiet für unabhängig.
Nach kurzer Zeit wurde die Stadt aber vom ukrainischen Militär zurückerobert.
Seither ist Slowjansk zu einem Ort geworden, in dem sich viele Flüchtlinge aus den nach wie vor umkämpften oder von Separatisten besetzen Gebieten niedergelassen haben.
Mithilfe der Caritas fanden Julia und ihr Mann eine kleine bescheidene Zweizimmer-Wohnung. Doch der Krieg hat die Familien auseinandergerissen. Alexander konnte in Slowjansk nie richtig Fuß fassen. Eine Zeit lang arbeitete er in einer Fleischfabrik , wurde dann aber arbeitslos.
Als die Not immer größer wurde, beschloss das Paar, sich zu trennen. Alexander ging zurück nach Horliwka, lebt jetzt wieder im Haus und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch.
Die Mutter blieb mit den beiden Kindern in Slowjansk zurück. Vor allem auch deswegen, weil Maksim schwer asthmakrank ist, und regelmäßig medizinische Behandlungen im örtlichen Krankenhaus braucht.
In den besetzen Gebieten wären diese Behandlungen unmöglich. Aber auch so würden die Kosten dafür immer höher, klagt Julia. Zusammen mit den Kosten für Miete, Heizung, Wasser und Strom sei das alles für sie nicht mehr zu bezahlen.
Der Preis für Brot ist in den vergangenen Jahren in der Ukraine um mehr als das Doppelte gestiegen. Die Mieten haben sich verdreifacht und der Preis für Gas hat sich sogar versiebenfacht. Zwar gibt es für die Binnenflüchtlinge staatliche Unterstützung, die reicht aber wie weitem nicht aus. Ohne die finanzielle Hilfe der Caritas wüsste Julia nicht mehr ein noch aus.
„Meinen Mann habe ich schon lange nicht gesehen“, sagt Julia. Das Überqueren der Frontlinie sei nach wie vor sehr gefährlich und dauere viele Stunden. Immer wieder werde auch rund um die wenigen Übergänge gekämpft. So bleibt der zerrissenen Familie zum Kontakthalten nur das Telefon.
So wie Julia und ihren Freunden geht es vielen Flüchtlingsfamilien in der Ukraine, weiß der ukrainische Caritaspräsident Andrij Waskowycz. Viele Flüchtlinge hätten bisher von ihren Ersparnissen gelebt oder seien auch von ihren Landsleuten unterstützt worden. Nun seien aber auch die letzten Ersparnisse aufgebraucht und die Menschen stünden vielfach vor dem Nichts.
„Sie wissen nicht, ob sie sich von ihrem wenigen Geld etwas zum Essen kaufen sollen oder Medikamente. Zahlreiche Eltern hätten sogar schon ihre Kinder aus den Schulen genommen, weil sie sich den Schulbesuch nicht mehr leisten können. Die humanitäre Krise habe eine Folge von Problemen mit sich gebracht, so Waskowycz: „Armutsprostitution, Kriminalität und Alkoholismus sind stark im Steigen.“
Im Frontgebiet würden immer noch 600.000 Menschen leben, vor allem Alte und auch viele Kinder, so Waskowycz weiter: „60 Prozent der Menschen in dieser Zone bekommen mindestens ein Mal pro Woche Gefechte mit, 40 Prozent erleben sogar täglich Kämpfe.“
Julias Heimatstadt Horliwka liegt in dem von den Separatisten besetzten Gebiet. Horliwka ist von Slowjansk nicht einmal 70 Kilometer entfernt und doch so unerreichbar.
Sie möchte sich zum Konflikt nicht direkt äußern, sagt Julia, sie habe nur einen einzigen Wunsch: Dass dieser Krieg endlich aufhört. „Damit wir zurück können in unser Haus“, ergänzt Maksim. Ob und wann ihr Wunsch endlich in Erfüllung geht und was sie dort erwarten würde? Niemand weiß es.
Sicher ist nur, dass die Caritas die junge Familie auch weiterhin unterstützen wird.
Spendenkonto: Erste Bank,
IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560,
Kennwort: Kinder in Not
Caritas:
www.caritas.at
Der Krieg in der Ost-Ukraine wütet nun schon seit fast vier Jahren. Und es scheint kein Ende in Sicht?
Michael Landau: Mit Krieg als Dauerzustand dürfen wir uns niemals abfinden.
Friede muss immer das Ziel sein, damit Menschen nicht ums Überleben kämpfen müssen und Kinder die Chance auf ein kindgerechtes Aufwachsen erhalten. Das ist nicht nur ein vergessener Krieg, sondern vor allem auch ein humanitäres Drama!
Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrem Lokalaugenschein gemacht?
Tausende alte Menschen und sozial schwache Familien leben in Wohnungen ohne Strom, Gas und Heizung, weil sie die Rechnungen nicht begleichen können.
Jeden Winter erfrieren dutzende Menschen, zum Teil in ihren Wohnungen. Durch den Krieg hat sich die Armutssituation der Familien vor allem entlang der Frontlinie zugespitzt. Davon betroffen sind auch zehntausende Kinder.
Unsere Winterhilfe für diese Menschen ist längst angelaufen. Um die Hilfe aber im bis zu minus 30 Grad kalten Winter in der Ukraine fortzusetzen, brauchen wir dringend Unterstützung.
Warum konzentriert sich die Caritas-Hilfe vor allem auf Kinder?
Kinder haben überall auf der Welt ein Recht darauf, unbeschwert heranzuwachsen und zu lernen.
Kinder sind Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Krieg und Elend Kindern ihre Zukunftschancen verbauen.
https://www.caritas-wien.at/auslandshilfe/laender/ukraine/
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