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28.10.2019 · Glaube · Glaubenswissen

„Erst das Gewissen, dann der Papst“

Roman Siebenrock: „Das Gewissen ist für Kardinal John Henry Newman der Ort, in dem ich Gott begegne.“

Am 13. Oktober wurde Kardinal John Henry Newman in Rom heiliggesprochen.
Der Innsbrucker Dogmatikprofessor Roman Siebenrock spricht über den großen englischen Theologen, der in kein billiges Links-Rechts-Schema passt.

 

 

Ihre Gemeinschaft ist von der Häresie angesteckt; wir müssen uns davor hüten wie vor der Pest.“ Mit diesen Worten warnte John Henry Newman seine anglikanischen Glaubensgenossen noch 1833 vor der katholischen Kirche.

 

Zwölf Jahre später, am 9. Oktober 1845, war von Häresie keine Rede mehr: Der Geistliche und vormalige Pfarrer der Oxforder Universitätskirche trat zu eben jener Kirche über, die er zuvor noch der Irrlehre bezichtigt hatte. Wie ist das zu erklären?

 

„Das Zitat entspricht dem seit der englischen Reformation gepflegten Vorurteil, dass die Kirche Roms den Antichristen verkörpern würde“, sagt der Innsbrucker Dogmatikprofessor Roman Siebenrock zum SONNTAG.

 

Wer die Geschichte der englischen Reformation kenne, kann nachvollziehen, dass dem Vorurteil leider der Versuch einer gewaltsamen Rekatholisierung unter Königin Maria, der „bloody Mary“, entsprach. „Newman hat später dies als den Weg seines irrenden Gewissens angesehen, auf dem er aber zur Wahrheit, zur neuen Einsicht gekommen ist“, betont Siebenrock: „Zuerst hat sein Lehrer Whateley, ein Liberaler, ihm beigebracht, dass es nicht berechtigt sei, eine Kirche als Antichrist zu diffamieren. Dann hat er gemerkt, dass die Katholizität, die er seit 1833 anstrebte, in der römischen Kirche ursprünglicher gegeben sei.“

 

Als dann seine katholische Interpretation der 39 Artikel der Anglikanischen Kirche (historische Glaubensaussagen des anglikanischen Bekenntnisses, Anm. d. Red.) von den Bischöfen verurteilt wurde, hat er „daraus die Konsequenz gezogen und ist von allen Ämtern in seiner Kirche zurückgetreten“.

 

Der Übertritt aber erfolgte erst, nachdem er sich darüber Klarheit verschaffen konnte, dass auch in der römisch-katholischen Kirche sein Grundsatz „myself and my creator“ gilt, also dass nichts und niemand zwischen mir und meinem Schöpfer steht.

 

„Das nenne ich die mystische Seite seiner Konversion“, sagt Siebenrock: „Und dann hat er sich mit einem großen Buch ,Über die Entwicklung der Lehre’ intellektuell darüber Gewissheit verschafft, dass die Entwicklungen und Veränderungen in dieser Kirche nicht Korruptionen, sondern notwendige und angemessen Weiterentwicklungen des Ursprungs darstellen. Nicht die Unveränderlichkeit, sondern die authentische Entwicklung ist das Zeichen der wahren Kirche.

 

Was fasziniert Sie persönlich an diesem modernen Kirchenvater aus England?

 

Seine Authentizität, mit der er seine Erfahrungen und seine Auseinandersetzungen in seiner Zeit, die ja den Beginn der modernen Welt darstellt, durchlebt; – und die wir in seinen Schriften, aber vor allem in seinen Tagebüchern und Briefen heute nachvollziehen können. Hier begegne ich einem Christen, der im Glauben einen lebenslangen Lern- und Wandlungsprozess erfahren hat und uns zu solchen Prozessen ermutigt.

 

Dazu schreibt er 1845: „In einer Höheren Welt ist es anders, aber hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben.“   

 

Wie kann Newman eine „Brücke zwischen Anglikanern und Katholiken“ sein? ?

 

Er ist es schon, weil die anglikanische Kirche ihn schon lange in ihren offiziellen Heiligenkalender aufgenommen hat. Heute sehen wir, dass er aus der Tradition dieser Kirche viele Aspekte eingebracht hat, die damals und teilweise bis heute verschüttet waren und sind: z.B. das dreifache Amt Christi von allen Getauften und die Bedeutung des Konsenses aller Glaubenden auch für die Lehre.

 

Newman ist ein Konvertit ohne „Konvertitis“, d.h. er hat immer mit Hochachtung und Dankbarkeit von seiner Herkunftskirche gesprochen. Das Streben nach Heiligkeit hat er in dieser Kirche gelernt, und wir Katholiken sollten Newman als ein großes Geschenk der englischen Kirche an uns und alle anerkennen. Denn Newman hat die damalige römisch-katholische Kirche nicht einfach bestätigt, sondern ihr Entwicklung und Veränderung zugemutet. Deshalb denke ich mir manchmal, dass Newman dafür gesorgt hat, dass die Kirche seiner Zeit sich nicht vollständig in den Antimodernismus verrannt hat.


Warum ist Newman bis heute so populär?


Weil viele Menschen mit ihm beten und glauben lernen, weil er ein Klassiker der englischen Sprache ist, weil er in Bezug auf die Idee der Universität und das Verhältnis von Glaube, Denken und Erfahrung bis heute Herausforderndes geschrieben hat. Aber er hat beispielsweise auch Romane geschrieben und ein Gedicht, den „Dream of Gerontius“, den Edward Elgar in einem Oratorium vertont hat.

 

Newman ist ein Genie der Freundschaft. Im deutschen Sprachraum ist das aber anders: Er sei unsystematisch, zu psychologistisch und zu komplex. Die ausdrückliche Rede in der ersten Person, beispielsweise „Ich sehe das so“, gilt ja bis heute als „unwissenschaftlich“. Die Newman-Freunde waren bei uns immer eine kleinere Gruppe.

 

Warum ist Kardinal John Henry Newman ein Anwalt der Wahrheit und des Gewissens auch für unsere Zeit?


Weil er uns dazu ermutigt, den eigenen Weg zu gehen. Denn wir finden Gott nur auf unserem eigenen Weg, weil wir nicht Gott lieben und uns selbst verachten können, wir können nur mit uns selbst glauben.

 

Dieser Weg bedeutet aber keine „Selbstbeschauung“, wie Newman sagt, sondern immer schauen wir nach Christus und der Wahrheit aus. Dann aber dürfen wir mit Augustinus davon gewiss sein, dass in der Suche nach der Wahrheit, nach dem Licht in meinem Leben, Gott schon gegenwärtig ist.

 

So hat ja auch Edith Stein, die Newman übersetzt hatte, auf den Tod ihres geliebten Lehrers Husserl geantwortet: Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott. Aber diese Wahrheit kann ich nur mit mir selbst suchen, d.h. mit meinem eigenen Gewissen. Newman erfindet für diese Einsicht das Wörtchen „real“.   


Wie lässt sich Newmans Gewissen-Lehre verdeutlichen?

 

Drei Zugänge scheinen mir grundlegend zu sein. Jeder Mensch hat einen moralischen Sinn, mit dem er zwischen gut und böse zu unterscheiden weiß. Aber in diesem moralischen Sinn unterscheidet Newman einen Sinn für Pflicht, also die Erfahrung eines unbedingten Anspruchs an mich.

 

Während der moralische Sinn diffus und unklar, ja auch verkehrt sein kann, führt der Sinn für Pflicht im unbedingten Anspruch, der sich im Gewissen meldet, mich weiter, Schritt für Schritt.

 

Dieser Weg kann überall beginnen, auch an seltsamen Orten. Ich muss nur diesem Sinn unbedingt folgen, der mich vor allem warnt und negativ sich bemerkbar macht: „Lass das!“. Wir Menschen werden immer mit Ansprüchen aus unserer Kultur und unserer Gesellschaft konfrontiert.

 

Newman spricht vom König und vom Papst, als Symbole für die weltliche und die geistliche Autorität. Wenn wir, was notwendig ist, unsere Meinung und unser Gewissen bilden wollen, empfiehlt Newman, in weltlichen Fragen auf den König (also auf die Autoritäten in diesem Bereich) zu hören, in geistlichen aber auf den Papst, d. h. auf die Gesamtkirche.

 

Jedoch können diese keinen absoluten Gehorsam verlangen. Dieser kann nur dem eigenen Gewissen eingeräumt werden. Das drückt er mit dem berühmten Satz aus: „Erst das Gewissen, dann der Papst“.

 

Die dritte Perspektive möchte ich die mystische nennen. Das Gewissen ist für Newman der ursprüngliche Statthalter Christi und der Ort, in dem ich Gott begegne. Das ist jedoch keine Burg, sondern ein sehr sensibler Ort, den ich in Gebet, ernsthafter Lebensweise und Treue zu pflegen habe.

 

Das Gewissen ist deshalb ein Begleiter auf der Pilgerschaft, ein Sensorium auf dem Weg.  

erstellt von: Der SONNTAG / Stefan Kronthaler
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Weitere Informationen:

zur Person

Univ.-Prof. Dr. Roman Siebenrock


Geboren 1957 in Mengen/Baden–Württemberg, Deutschland.

Seit 1990 verheiratet mit Barbara Lesky,

vier Kinder: Philipp, Hanna, Judith und Jakob.

 

Ausbildung, Beruf
Studium der Theologie, Philosophie und Erwachsenenpädagogik in Innsbruck und München.

Seit 2006 Universitäts-Professor für Dogmatik sowie seit 2017 Institutsleiter am Institut für Systematische Theologie in Innsbruck.

Forschungsschwerpunkte: Zweites Vatikanisches Konzil, Karl Rahner, Koordination der fakultären Forschungsplattform „Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung“.


theologische Kurse:


Univ.-Prof. Dr. Roman Siebenrock spricht

am 11. November von 16 bis 18 Uhr

bei den Theologischen Kursen

1010 Wien,

Stephansplatz 3, 3. Stock

zum Thema: „John Henry Newman. Anwalt der Wahrheit und des Gewissens in nachchristlicher Zeit“.


 

privat

Leben ist…
für mich seltsam, schön,
abgründig, ein Abenteuer,
und bislang eine Schule der Dankbarkeit.
 
Sonntag ist…
für mich „die“ Unterbrechung.
 
Glaube ist…
für mich eine lebenslange Pilgerschaft in der Gegenwart Gottes. Ich darf Gott suchen, aber als einer, der in Christus von seiner Liebe schon gefunden worden ist. Deshalb bedeutet Glaube für mich, mein Leben auf das Versprechen Jesu auszurichten: Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt.

 

Buchtipp

Die Textsammlung ist in Bezug auf thematische Breite, biografische Tiefe und literarische Vielgestalt einzigartig. Sie vermittelt einen authentischen Zugang zur Gestalt Kardinal John Henry Newmans.

 


Günter Biemer, James Derek Holmes, Roman A. Siebenrock (Hg.),

Leben als Ringen um die Wahrheit.

Ein Newman Lesebuch.

ISBN: 978-3-7867-3205-1  

39,10 Euro

Verlag: Matthias-Grünewald


 

weitere Informationen zu

 

Der SONNTAG
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
1010 Wien
T +43 (1) 512 60 63
F +43 (1) 512 60 63-3970

E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at

 
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