Pfingsten: Das Fest des Heiligen Geistes, der die Kirche mit seinen Gaben verjüngt. Im Bild das Pfingst-Treffen der Loretto-Gemeinschaft in Salzburg 2016.
Pfingsten: Das Fest des Heiligen Geistes, der die Kirche mit seinen Gaben verjüngt. Im Bild das Pfingst-Treffen der Loretto-Gemeinschaft in Salzburg 2016.
Ohne die Gaben des Heiligen Geistes gäbe es gar keine Kirche. Dabei setzt der Apostel Paulus auf inneres und äußeres Wachstum. Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding über die Charismen.
Sie sind unentbehrlich für das Leben der Kirche: die Charismen (Gaben) des Heiligen Geistes. Im Neuen Testament finden sich die Geistesgaben listenartig im Römer-Brief (12,6-8), im Ersten Korinther-Brief (12,8-10 und 12,28-31), im Epheser-Brief (4,7.11) und im Ersten Petrus-Brief (4,9-11).
Zu den Gaben des Heiligen Geistes zählen laut dem Ersten Korinther-Brief Mitteilung von Weisheit, Vermittlung von Erkenntnis, Glaubenskraft, Krankheiten heilen, Wunderkräfte, Prophetisches Reden, Unterscheidung der Geister und Zungenrede und deren Deutung.
Als besonders erstrebenswert beschreibt Paulus im Ersten Korinther-Brief die Gabe der Prophetie: „Jagt der Liebe nach! Strebt aber auch nach den Geistesgaben, vor allem nach der prophetischen Rede!“ (1 Kor 14,1). Für den Bochumer Neutestamentler Thomas Söding geht es besonders um die Wiederentdeckung der Charismen für die Kirche.
Welche Chancen bietet die Charismenlehre des Paulus für die Kirche?
Dr. Söding: Ohne Charismen, d. h. ohne die Gaben des Heiligen Geistes, die Geschenke Gottes, gäbe es gar keine Kirche. Paulus setzt auf inneres und äußeres Wachstum. Die Gläubigen können und sollen sich einbringen, mit ihren Talenten. Der Apostel hat ein Auge dafür und macht sie stark.
Was besagen die Charismen-Listen im 1. Korintherbrief und im Römerbrief?
Dr. Söding: Die Kirche von Korinth hat Paulus gegründet, der von Rom war er unbekannt. Auch dort rechnet er mit den Charismen. Sie sind nicht seine Erfindung. Er zeigt vielmehr in den langen Aufzählungen, wie viele verschiedene es gibt und dass sie alle als lebendige Glieder im Leib Christi zusammenarbeiten können. In erster Linie denkt der Apostel an die Gabe, das Wort Gottes zu verstehen und zu verkündigen. Ebenso wichtig ist die Nächstenliebe.
Wie können Charismen entdeckt und auch gefördert werden?
Dr. Söding: Der Apostel ist selbst auf dieser Entdeckungsreise. Er lädt alle ein, an dieser Expedition teilzunehmen: bis heute. Die Basis ist der Glaube, der sich in Wort und Tat ausdrücken kann. Entscheidend ist, ernstzunehmen, dass niemand keine Gabe hat und dass keiner alle Charismen besitzt. Deshalb muss man zusammenhalten. Die konkrete Zusammenarbeit ist der beste Entdeckungsort.
Wem dienen die Charismen?
Dr. Söding: In erster Linie nicht einem selbst, sondern anderen. Religiöse Selbstdarsteller sind ein Graus. Das wichtigste Kriterium, ein Charisma als Charisma zu erkennen, ist, dass es eine Gabe, eine Fähigkeit, ein Dienst ist, der anderen nützt, d. h. hilft, im Glauben und als Mensch zu wachsen.
Was bedeutet es, wenn Kirchenmitglieder bestimmte Charismen haben?
Dr. Söding: Alle haben ihre je eigenen Gaben, die sie kraftvoll einsetzen sollen, womöglich gegen Widerstand. Bestimmte Gaben begründen besondere Aufgaben. Im Neuen Testament sind dies vor allem das Lehren und das Leiten. Das Evangelium braucht Menschen, die es erschließen; und die Kirche braucht Menschen, die ihr helfen, in der Nachfolge Jesu zu bleiben.
Wie sieht eine charismenorientierte Seelsorge aus?
Dr. Söding: In der Kirche gibt es Gaben und Aufgaben. Wer nur überlegt, wie die Aufgaben gelöst werden können, übersieht womöglich, wie viele Gaben zu neuen Aufgaben werden, und darin zu nicht immer mehr Pflichten, sondern zu mehr Chancen.
Hier steht ein Wechsel an, nicht nur der Mentalität, auch der Theologie. Charismenorientierte Seelsorge heißt: die Menschen zu erkennen und anzuerkennen, die der Kirche helfen, zu wachsen: auf Jesus Christus hin.
Können daraus auch Vorlagen für diözesane Reformpläne abgeleitet werden?
Dr. Söding: In vielen Diözesanplänen werden Gegensätze zwischen Amt und Charisma konstruiert; Charismen werden dann nur aufs Ehrenamt bezogen. Das stimmt nicht mit dem Neuen Testament überein. Auch der Aposteldienst ist ein Charisma. Wer aus den Gegensätzen Kleriker – Laien, Haupt- und Ehrenamtliche heraus will, muss zurück zum Neuen Testament. Dann wird auch wieder deutlich, welchen Dienst ein Bischof, ein Priester, ein Diakon in der Fülle der Geistesgaben zu leisten hat.
Welche Bedeutung hat das Charisma der Zungenrede bzw. das Sprachengebet?
Dr. Söding: In Korinth war es die Nr. 1. Paulus schätzt, aber relativiert es. Wichtiger ist, was alle verstehen können, beispielsweise die Prophetie. Wo ist die eigentlich heute zu finden? Diese Frage treibt mich mehr um...
Papst Franziskus schreibt in „Evangelii gaudium“ (Nr.130): „Der Heilige Geist bereichert die ganze evangelisierende Kirche auch mit verschiedenen Charismen. Diese Gaben erneuern die Kirche und bauen sie auf.“ Ist dieser Gedanke in der Seelsorge schon/wieder präsent?
Dr. Söding: Hier ist der neutestamentliche Ansatz aufgenommen – mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, aber über das Konzil hinaus. In dieser Richtung muss es weiter gehen, gerade in Ländern, die viele selbstbewusste Christenmenschen haben, die in der Kirche nicht wie Kinder, sondern wie Erwachsene behandelt werden wollen.
zur Person
Universitätsprofessor Dr. Thomas Söding lehrt Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum.
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