Einblicke in die Gruft: bemalter Sarg in offener Nische (mittlerweile vermauert).
Einblicke in die Gruft: bemalter Sarg in offener Nische (mittlerweile vermauert).
Während Touristen aus aller Welt die Wiener Innenstadt rein oberirdisch erkunden, macht sich der SONNTAG unterirdisch auf Spurensuche nach einem vergessenen Ort. Er ist in keinem Reiseführer aufgelistet und der Allgemeinheit unbekannt: die letzte Ruhestätte der Ordensfrauen im alten Ursulinenkloster.
Wien im Juli 2018: Tausende Touristen fangen mit ihren Smartphones Eindrücke in der Innenstadt ein. Stephansdom, Hofburg, Mozarthaus, Staatsoper ... so lauten ihre Zieladressen. Der SONNTAG geht andere Wege und besucht für unsere Sommerserie „Lost Places – Reise ins Damals“ einen für normale Stadttouristen unsichtbaren Ort im unterirdischen Wien.
„Seilerstätte 26“ lautet die Adresse und sie ist der offizielle Eingang der Universität für Musik und darstellende Kunst (Institut für Kirchenmusik, Orgel und Orgelforschung) in Wien.
Rechts oben vom Eingang an der Hausfassade ist eine Büste des hl. Klemens Maria Hofbauer zu sehen, der hier „in der Kirche und im Kloster der ehrwürdigen Ursulinen“ von 1813 bis zu seinem Tod 1820 gewirkt hat, wie es auf einer Inschrift heißt.
Im Eingangsbereich der Musikuni empfängt die Besucher ein modernes, frisch-renoviertes Ambiente aus Glas, beigefarbenen Marmorfliesen und Stahlgeländern.
Schulwart Gerhard Metzker erwartet mich bereits. Er hat den Schlüssel und die Genehmigung, uns in die Tiefen des Hauses hinabzuführen.
Stufe um Stufe geht es nach unten und dann Gänge entlang. Die Betonwände sind weiß getüncht, über uns verlaufen dicke metallene Rohre, aus denen ein sanftes Rauschen zu hören ist. „Die Klimaanlage“, erklärt Metzker und bleibt vor einer unscheinbaren weißen Brandschutztüre mit braunem Kunststoffgriff stehen. Er schließt auf – auch der Lichtschalter muss mit einem Schlüssel betätigt werden.
Das Neonlicht flackert auf und dann stehe ich mitten unter ihnen: den hier in Grabnischen beigesetzten ehrwürdigen Ordensfrauen des einstigen Ursulinenklosters.
Einen „Gruß“ an die hier Ruhenden hatte mir einige Tage zuvor Sr. Maria Elisabeth Göttlicher im Gespräch aufgetragen. Die ehemalige Provinzoberin der Ursulinen in Österreich kennt wohl wie kaum jemand anders die Geschichte des Frauenordens:
„1660 hatte Kaiserin Eleonore, Gattin von Kaiser Leopold I., die Ursulinen nach Wien geholt. Kurz darauf wurde das Kloster in der Johannesgasse/Ecke Seilerstätte samt Klosterkirche gebaut“, erzählte Sr. Maria Elisabeth und: „Bei der Wiener Türkenbelagerung 1683 haben die Schwestern in der Gruft Zuflucht gesucht und dort bei Kerzenschein den Rosenornat, ein berühmtes Messgewand, gestickt.“
In der Ursulinen-Gruft fanden Ordensfrauen des traditionellen Schulordens bis ins 19. Jahrhundert hinein ihre letzte Ruhestätte. Sr. Maria Elisabeth: „Als der Stadtphysikus Bestattungen in der Gruft nicht mehr erlaubte, mietete der Orden ein Stück des Simmeringer Friedhofs.“
1960 übersiedelten die Ursulinen schließlich aus der Innenstadt in das neu gebaute Ordenshaus in Mauer. In der dortigen Ordensschule werden heute rund 1.000 Schüler unterrichtet. Im alten Ursulinen-Kloster öffneten in den folgenden Jahren die Musikuniversität und ein Studentenheim ihre Pforten.
In der Ursulinen-Gruft herrscht Stille. Nur das leise Rauschen aus den Rohren der Klimaanlage vom Gang dringt leise herüber. An einigen vermauerten Grabnischen sind schmiedeisene Kruzifixe befestigt und Metall-Täfelchen, die über die hier Bestatteten Auskunft geben.
Der Text schließt stets mit „Requiescat in Pace“: Ruhe in Frieden. Auffallend sind Gräber, die offenbar zu kurz waren und aus denen der Sarg, mit Mörtel bedeckt, auf Brettern herausragt.
Ein steinerner Altar mit einem Holzkreuz ist zu sehen. Eine Treppe führt zu einer vermauerten Stelle. „Hier befand sich der Originaleinang aus der darüber liegenden Kirche“, erklärt mir Schulwart Gerhard Metzker. Und er ist so freundlich, mir auch das Gotteshaus zu zeigen.
Hier in St. Ursula finden auch heute noch Gottesdienste und Konzerte statt. Ich trete danach durch eine Tür auf die Johannesgasse hinaus und hier ist es wieder: das Wien des Jahres 2018.
Sr. Maria Elisabeth Göttlicher
Sr. Maria Elisabeth Göttlicher war 24 Jahre lang Direktorin der Schule der Ursulinen in Wien. Zwölf Jahre leitete sie die Österreichische Provinz des Ordens und sechs Jahre lang war sie Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden in Österreich.
Ihre ersten Ordensjahre verbrachte Sr. Maria Elisabeth noch im „alten“ Ursulinenkloster in der Wiener Innenstadt.
Der Moment ihrer Berufung zur Ordensfrau ist ihr noch deutlich vor Augen: „Ich erinnere mich genau, wie ich einmal vor einem Rendezvous vor dem Spiegel stand und mir mit einem Zündhölzel die Augenbrauen nachzog.
Plötzlich kam mir aus heiterem Himmel die Idee: Was ist, wenn du ins Kloster gehst? Ich sagte mir: Das kommt nicht in Frage und bin vom Spiegel weggerannt.“
Die junge Frau, damals noch Sylvia Göttlicher, wollte diese Idee sofort loswerden. „Aber sie hat mich verfolgt und nicht mehr losgelassen“, erzählt Sr. Maria Elisabeth im Gespräch mit dem SONNTAG.
1950 ging sie nach Frankreich und schaute sich dort das Klosterleben an. Ihrer Familie sagte sie, sie wolle Französisch lernen, „denn die hätte mich mit der Polizei aus dem Kloster geholt.“
Nach Wien zurückgekehrt, stellte sie ihre Familie vor vollendete Tatsachen und wurde Ursuline. „Wir mussten aber eine Berufsausbildung haben, bevor wir eintraten. Ich ging an die Universität und machte die Lehramtsprüfung für Deutsch, Geschichte, Philosophie und studierte auch Pädagogik“.
Die Schule St. Ursula in Wien-Mauer führen die Ursulinen heute gemeinsam mit anderen Kongregationen. Sr. Maria Elisabeth lebt derzeit in Klagenfurt und feiert im September bereits ihren 85. Geburtstag.
Johannes Sachslehner und Robert Bouchal
Verborgene Orte · Vergessene Welten
Verlag: Pichler
ISBN: 978-3854317326
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