.... ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.
.... ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 6. Sonntag der Osterzeit am 1. Mai 2005,
(Joh 14,15-21)
Eine gewisse Wehmut liegt über diesem heutigen Evangelium. Die Worte Jesu sind ein Teil dessen, was man seine „Abschiedsreden“ nennt. Im Abendmahlssaal in Jerusalem, am Abend vor seiner Auslieferung, dem Prozess und dem Tod am Kreuz, spricht Jesus lange mit seinen Jüngern. Es sind Worte, die sein Innerstes zeigen, was ihm am wichtigsten ist. Und da er die Seinen geliebt hat, schenkt er ihnen vor allem Trost.
Er denkt dabei nicht nur an die kleine Schar, mit der er eben sein letztes Pessachmahl gehalten hat, sondern auch an die vielen, die nach ihnen kommen werden, alle die Generationen von Menschen, die an ihn glauben und ihm vertrauen, bis heute.
Welchen Trost spricht er ihnen (und uns) zu? Zuerst verheißt er „einen anderen Beistand“. Er kündigt das Kommen des Heiligen Geistes an. Wer ist das? Er lässt sich nicht so leicht erfassen. Man erkennt ihn an seinem Wirken. Der Namen, den Jesus ihm gibt, beschreibt sein Wirken. Er nennt ihn „Paraklet“, das heißt Fürsprecher, Tröster, Beistand. Er tritt für uns ein, richtet auf, spendet Trost, hilft, stärkt.
Jesus nennt ihn aber auch den „Geist der Wahrheit“. Seine Nähe und sein Wirken zeigen sich darin, dass er Lüge, Täuschung, Illusionen und Irrwege enthüllt und das klare Licht der Wahrheit schenkt. „Die Welt“, sagt Jesus, kann den Geist der Wahrheit nicht aufnehmen, weil sie mehr den Schein, die Meinungen, die Selbsttäuschungen liebt. Jesus sagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“
Wir fürchten immer wieder die Wahrheit. Sie einzugestehen, kann wehtun. Es kann viel Mut erfordern, zur Wahrheit zu stehen. Deshalb hat Jesus den Beistand verheißen, der uns Kraft und Trost gibt, wahrhaftig zu sein. Es ist ein sicheres Zeichen, dass der Heilige Geist am Werk ist, wenn Menschen eine klare Sicht über sich selber und über ihr Leben haben. Aber es ist auch ein Zeichen, dass der Heilige Geist sicher nicht am Werk ist, wenn die Wahrheit zur brutalen Keule, zur lieblosen Bloßstellung, zur zynischen Entlarvung wird. Der Geist Christi ist immer auch der Geist der Liebe. Kardinal König hatte sich als Wahlspruch die Worte gewählt: „Die Wahrheit in Liebe tun“.
Das ist auch das zweite Trostwort, das Jesus heute in seinen Abschiedsworten sagt. Er lädt zur Gegenliebe ein. Wie er uns geliebt hat, so sollen wir ihn zurücklieben. Aber wie können wir das tun, ohne ihn zu sehen? Jesus zeigt einen einfachen Weg: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“ Liebe zeigt sich in Worten, vor allem aber in Taten. Ob wir jemanden lieben, das beweisen wir zuerst durch unser Verhalten. Unter uns Menschen ist das einsichtig. Aber Gott gegenüber?
Jesus verweist uns auf die Gebote. Ist das nicht ein Widerspruch? Gebote und Liebe erscheinen uns oft als Gegensatz. Gebote sehen wir vor allem als Verbote. Sie grenzen ein: „Du darfst nicht …“, „du sollst …“. Und so ist es auch tatsächlich oft. Die Gebote setzen uns Grenzen. Das wissen die Eltern mit ihren Kindern. Wir brauchen Grenzen, weil wir auch eine Neigung zum Bösen haben.
Aber die Gebote Jesu wollen nicht nur eingrenzen. Sie sollen uns von uns selber und von den bösen Neigungen freimachen. Seine Gebote sind Ausdruck seiner Liebe. Und wir können ihm unsere Liebe zeigen, indem wir ehrlich versuchen, nach dem Evangelium zu leben. Er lässt uns nicht als Waisen zurück, hat er versprochen. Wir haben Seinen Beistand, die Kraft des Heiligen Geistes, und Seine Lebensregel, das Evangelium. Braucht es mehr?
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll.
Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird.
Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.
An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt